Ausblick
Das Urteil des BGH stärke laut Rechtsanwalt Czeremuga formal-juristisch die Position der Versicherer. Unabhängig vom Votum des BGH habe die Mehrzahl der deutschen Versicherer jedoch durch die wenig rühmliche Schadenregulierung in den Betriebsschließungsversicherungsfällen Vertrauen verloren. Versicherer sollten das entstandene Chaos nun zum Anlass nehmen, ihre Versicherungsbedingungen verständlicher zu gestalten, ihre vorvertragliche Beratungsqualität zu erhöhen und im Schadenfall besser zu kommunizieren, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, rät der Anwalt.
Ähnlich kritisch zeigt sich Dr. Mark Wilhelm von der Sozietät WILHELM: „Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass der BGH Klarheit für einen Teil der Versicherungsnehmer geschaffen hat, wenngleich das Ergebnis nicht überzeugt. Trotz des Urteils bleiben große Zweifel an der Transparenz vieler im Markt verwendeter Klauseln zum Deckungsumfang der Betriebsschließungspolicen.“
Noch viele Fragen offen
„Auch so manches vollmundige Werbeversprechen der Versicherer sowie auch das Verhalten der Versicherer und ihrer Vertreter in der vorvertraglichen Beratung und in der Schadenregulierung werden noch höchstrichterlich genau in den Blick zu nehmen sein“, so Wilhelm. „Beispielsweise sagten in vielen Fällen Versicherer zunächst eine Deckung für coronabedingte Schließungen zu. Es wird zu klären sein, ob diese Versicherer nicht ungeachtet der Listenklausel einstandspflichtig sind.“
Und wie sieht es mit der Maklerhaftung aus?
Zudem könnte nun auch das Thema Maklerhaftung verstärkt in den Fokus rücken, glaubt Wilhelm: „Es gab Policen mit und ohne Listen versicherter Krankheiten und Erreger. Wenn Listenklauseln den Versicherungsschutz wirksam beschränken können – bei vergleichbaren Prämien –, müssen sich viele Mehrfachagenten und Versicherungsmakler die Frage stellen, warum sie dazu nicht beraten haben.“
Dr. Vincent Schreier hatte diesen wunden Punkt für Makler noch vor der Urteilsverkündung jedoch weniger dramatisch eingeschätzt: „Dass auf die Versicherungsmakler eine Klagewelle zukommen wird, wenn der BGH tatsächlich den vertraglichen Leistungsanspruch ablehnen sollte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Man muss eine Pflichtverletzung des Versicherungsmaklers nämlich immer in der konkreten Situation beurteilen. Wir haben es hier mit Vertragsschlüssen zu tun, die meist lange vor der Pandemie erfolgt sind. Da hat noch niemand an eine Pandemie und einen Lockdown gedacht, sondern in erster Linie an die Schließung einer Gaststätte wegen Salmonellenbefalls. Zumal der Umfang der Beratungspflicht auch immer ins Verhältnis zu der Versicherungsprämie zu setzen ist.“ (tku)
BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21
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