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26. Januar 2022
Betriebsschließungsversicherung: Das BGH-Urteil ist gefallen
Betriebsschließungsversicherung: Das BGH-Urteil ist gefallen

Betriebsschließungsversicherung: Das BGH-Urteil ist gefallen

Im Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung ist ein wegweisendes Urteil zugunsten der AXA gefallen. Ein Gastronom, der im Corona-Lockdown Ertragsausfälle zu verbuchen hatte, geht im Revisionsverfahren vor dem BGH leer aus. Experten sehen noch zahlreiche Fragen offen. Auch Makler könnten nun verstärkt ins Visier geraten.

Nach zahlreichen Urteilen in den Vorinstanzen und lang andauernder Unklarheit ist es nun soweit: Der BGH hat zu den Ansprüchen aus einer Betriebsschließungsversicherung im Corona-Lockdown geurteilt. Die Bundesrichter haben entschieden, dass dem klagenden Versicherungsnehmer aus Schleswig-Holstein auf der Grundlage der vereinbarten Versicherungsbedingungen keine Ansprüche aus seiner Betriebsschließungsversicherung zustehen. Die Entscheidung dürfte wegweisenden Charakter haben, da der beklagte Versicherer (AXA) sich bei der Formulierung seiner AVB eng an den Mustern des GDV orientiert hat.

Worum ging es?

Dr. Vincent Schreier von der FU Berlin stellt den verhandelten Sachverhalt vor dem BGH in der kommenden Februar-Ausgabe von AssCompact folgendermaßen dar: „Der Kläger, ein Gaststättenbetreiber aus Schleswig-Holstein, beansprucht von seinem Versicherer Versicherungsleistungen für den Ertragsausfall, der ihm aufgrund des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entstanden ist. Ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, hängt von der Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen in der Betriebsschließungsversicherung ab. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei eine Formulierung in den Versicherungsbedingungen, in der definiert wird, was unter meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern zu verstehen ist."

„Dort wird eine ganze Reihe von Krankheiten und Krankheitserregern aufgezählt, bei deren Auftreten der Versicherer leistet“, fährt Schreier fort. „Genannt werden hierbei unter anderem Cholera, Diphtherie, Salmonellen und viele weitere, jedoch nicht das neuartige Coronavirus, das man zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht kannte. Gleichzeitig nimmt diese Definition aber auch Bezug auf die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Frage ist nun, ob nur diejenigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, die in den Versicherungsbedingungen ausdrücklich genannt werden, oder ob die Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz als dynamischer Verweis zu verstehen ist. Letzteres würde bedeuten, dass auch das Coronavirus unter die versicherten Krankheitserreger fallen würde, das im Mai 2020 in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurde.“

BGH entscheidet zugunsten des Versicherers

Die Bundesrichter haben nun wie auch die Vorinstanzen gegen den klagenden Versicherungsnehmer entschieden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setze der Eintritt des Versicherungsfalls zwar nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraus. Die Vorinstanz habe aber zu Recht angenommen, dass dem Kläger gegen die AXA keine Ansprüche zustehen. Das sei darauf zurückzuführen, dass eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit Covid-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist, so der BGH.

Bundesrichter gehen von abschließender Aufzählung aus

Demnach bestehe Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger wiederum ergäben sich aus dem in den AVB aufgeführten Katalog, der abschließend zu verstehen sei und weder die Krankheit Covid-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt.

Aufzählungsumfang und das Wörtchen „namentlich“

In seiner Pressemitteilung zum Urteil gehen die Bundesrichter auch darauf ein, weshalb ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Aufzählung in den Versicherungsbedingungen als abschließend erachten dürfte. Als Gründe führt der Senat insbesondere den Umfang der aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger sowie eine spezielle Formulierung an. In den Bedingungen heißt es nämlich auch, dass für die „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz bestünde. Das Wörtchen „namentlich“ mache laut BGH deutlich, dass nur gegen die aufgezählten Krankheiten und Erreger Versicherungsschutz bestehe und der Versicherer sich bei der Abfassung des Katalogs lediglich auf das Infektionsschutzgesetz gestützt habe.

Unbegrenzte Deckung würde Prämienkalkulation unmöglich machen

Des Weiteren spreche der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel ebenfalls für die Abgeschlossenheit des Katalogs, so die Bundesrichter. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die unter Umständen erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist.

Entscheidung mit Breitenwirkung

Rechtsanwalt Cäsar Czeremuga von der Kanzlei NORDEN Rechtsanwälte erkennt in dem Urteil eine Entscheidung mit Breitenwirkung. „Der BGH entschied heute zwar einen Einzelfall und hob hervor, dass es stets auf die konkret vereinbarte Bedingungslage ankommt. Doch die dem Verfahren zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen – insbesondere die Liste mit einer Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern – ist marktüblich und weit verbreitet. Die Entscheidung hat also Breitenwirkung. Viele hunderte versicherte Unternehmen werden wohl keine Versicherungsansprüche realisieren können. Allerdings muss man die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, um beurteilen zu können, welche weiteren Bedingungskonstellationen keine Aussicht auf Erfolg haben dürften und welche eben doch.“

Hoffnung für Kunden mit Versicherungsbedingungen ohne Liste

Hoffnung können sich noch jene Betriebe machen, deren Versicherungsbedingungen ohne Liste versicherter Krankheiten bzw. Krankheitserreger auskommen. Denn der BGH folgte nicht der Argumentation des Versicherers, dass nur solche Gefahren versichert seien, die aus dem einzelnen Betrieb selbst herrühren. Czeremuga fasst zusammen: „Eine sogenannte intrinsische Gefahr forderte der BGH nicht für den Versicherungsschutz.“

Offen bleibe in diesen Fällen jedoch, ob Betriebe während des Lockdowns im Sinn der Versicherungsbedingungen überhaupt geschlossen waren oder nicht. Hier argumentieren die Versicherer, dass eine Betriebsschließung einen umfassenden Betriebsstillstand voraussetzt; sodass kein Versicherungsfall vorliege, wenn z. B. ein Außerhausverkauf möglich war. Beim Kläger vor dem BGH war auch genau das der Fall. Der Gastronomiebetreiber hatte seine Gaststätte zwischenzeitlich auf Außerhausverkauf umgestellt.

Ausblick

Das Urteil des BGH stärke laut Rechtsanwalt Czeremuga formal-juristisch die Position der Versicherer. Unabhängig vom Votum des BGH habe die Mehrzahl der deutschen Versicherer jedoch durch die wenig rühmliche Schadenregulierung in den Betriebsschließungsversicherungsfällen Vertrauen verloren. Versicherer sollten das entstandene Chaos nun zum Anlass nehmen, ihre Versicherungsbedingungen verständlicher zu gestalten, ihre vorvertragliche Beratungsqualität zu erhöhen und im Schadenfall besser zu kommunizieren, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, rät der Anwalt.

Ähnlich kritisch zeigt sich Dr. Mark Wilhelm von der Sozietät WILHELM: „Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass der BGH Klarheit für einen Teil der Versicherungsnehmer geschaffen hat, wenngleich das Ergebnis nicht überzeugt. Trotz des Urteils bleiben große Zweifel an der Transparenz vieler im Markt verwendeter Klauseln zum Deckungsumfang der Betriebsschließungspolicen.“

Noch viele Fragen offen

„Auch so manches vollmundige Werbeversprechen der Versicherer sowie auch das Verhalten der Versicherer und ihrer Vertreter in der vorvertraglichen Beratung und in der Schadenregulierung werden noch höchstrichterlich genau in den Blick zu nehmen sein“, so Wilhelm. „Beispielsweise sagten in vielen Fällen Versicherer zunächst eine Deckung für coronabedingte Schließungen zu. Es wird zu klären sein, ob diese Versicherer nicht ungeachtet der Listenklausel einstandspflichtig sind.“

Und wie sieht es mit der Maklerhaftung aus?

Zudem könnte nun auch das Thema Maklerhaftung verstärkt in den Fokus rücken, glaubt Wilhelm: „Es gab Policen mit und ohne Listen versicherter Krankheiten und Erreger. Wenn Listenklauseln den Versicherungsschutz wirksam beschränken können – bei vergleichbaren Prämien –, müssen sich viele Mehrfachagenten und Versicherungsmakler die Frage stellen, warum sie dazu nicht beraten haben.“

Dr. Vincent Schreier hatte diesen wunden Punkt für Makler noch vor der Urteilsverkündung jedoch weniger dramatisch eingeschätzt: „Dass auf die Versicherungsmakler eine Klagewelle zukommen wird, wenn der BGH tatsächlich den vertraglichen Leistungsanspruch ablehnen sollte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Man muss eine Pflichtverletzung des Versicherungsmaklers nämlich immer in der konkreten Situation beurteilen. Wir haben es hier mit Vertragsschlüssen zu tun, die meist lange vor der Pandemie erfolgt sind. Da hat noch niemand an eine Pandemie und einen Lockdown gedacht, sondern in erster Linie an die Schließung einer Gaststätte wegen Salmonellenbefalls. Zumal der Umfang der Beratungspflicht auch immer ins Verhältnis zu der Versicherungsprämie zu setzen ist.“ (tku)

BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21

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