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10. April 2023
BU: „Simulationstendenzen gehen zu Lasten des Versicherten“

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BU: „Simulationstendenzen gehen zu Lasten des Versicherten“

BU: „Simulationstendenzen gehen zu Lasten des Versicherten“

In der Berufsunfähigkeitsversicherung treten vergleichsweise häufig rechtliche Auseinandersetzungen auf. Ein Grund dafür kann Aggravation sein. Rechtsexperte Björn Thorben M. Jöhnke erklärt, was es damit auf sich hat, welche Rolle dabei Vermittler einnehmen und wie Versicherte reagieren sollten.

Interview mit Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Herr Jöhnke, im Vergleich mit anderen Versicherungssparten: Wie häufig sind rechtliche Auseinandersetzungen bei der BU-Versicherung?

Rechtliche Auseinandersetzungen gegen BU-Versicherer finden im Vergleich zu anderen Versicherungssparten sehr häufig statt. Dieses liegt jedoch insbesondere auch an der „offenen“ BU-Klausel, über dessen Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vortrefflich gestritten werden kann. Denn die Frage, ob ein Versicherungsnehmer seine zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübte Tätigkeit noch zu mindestens 50% ausüben kann, ist zunächst erstmal eine medizinische Frage, bevor es eine rechtliche wird.

Was bedeutet das konkret?

Viele Mediziner können wiederum unterschiedliche Meinungen haben. So kann es sein, dass der von der Versicherung beauftragte Mediziner keine bedingungsgemäße BU feststellen kann. Der behandelnde Arzt und der Versicherungsnehmer können jedoch anderer Auffassung über das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU sein. Für den Fall keiner außergerichtlichen Einigung zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer müsste mittels anwaltlicher Hilfe notfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden, damit ein unabhängiges Gericht über den jeweiligen Einzelfall entscheiden kann.

Welches Thema führt denn regelmäßig zu Streit zwischen BU-Versicherten und seinem Versicherer?

Am häufigsten dürften Streitigkeiten über das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU bestehen. Geht der Versicherer davon aus, dass die BU-Klausel nicht erfüllt ist, lehnt er die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ab. Als dann kommen auch Leistungsablehnungen der BU-Versicherungen hinzu, bei welchen der Versicherer dem Versicherungsnehmer vorwirft, arglistig gehandelt zu haben. Gemeint ist damit, dass der Versicherungsnehmer im ursprünglichen Versicherungsantrag die gestellten Fragen des Versicherers nicht vollständig bzw. nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat. Ergeben sich so im Rahmen der Leistungsprüfung für den Versicherer Diskrepanzen bei den damaligen Angaben des Versicherten, könnten dadurch für den Versicherer Gestaltungsrechte (Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Vertragsanpassung) entstehen, mittels welcher er gegen das Versicherungsvertragsverhältnis vorgehen und sich vom Vertrag lösen kann. Und auch hierüber kann Streit bestehen, nämlich über die Frage, ob sich der Versicherer zu Recht vom Vertrag lösen konnte.

Die sogenannte Aggravation kann ebenfalls dazu führen, dass der Versicherer Leistungen aus einer BU-Versicherung ablehnt. Was genau ist unter diesem Begriff zu verstehen?

Um die Frage etwas besser zu verorten, ist anführen, dass Versicherer im Rahmen der Leistungsprüfung sehr häufig medizinische Sachverständige zu den jeweiligen Einschränkungen des Versicherten befragen. Im Rahmen dieser Sachverständigenbegutachtung kann es vorkommen, dass Gutachter beim Versicherten Aggravation, Simulation oder Beschwerdeverdeutlichung feststellen. Unter Aggravation versteht man die bewusst übertriebene Darstellung und Schilderung tatsächlich vorliegender Symptome oder Beschwerden durch einen Patienten. Dagegen ist die Simulation dadurch gekennzeichnet, dass überhaupt nicht vorhandene Symptome und Beschwerden vom Betroffenen bewusst und absichtlich vorgetäuscht werden. Davon zu unterscheiden sind Beschwerdeverdeutlichungen. Dabei versucht die begutachtete Person, den Gutachter vom Vorliegen von Symptomen und Beschwerden zu überzeugen, was auch häufig unbewusst geschieht. Das Problem hierin besteht, dass Versicherungen mit diesen Voten eines medizinischen Sachverständigen keine BU annehmen können, wenn der Gutachter annimmt, dass Versicherte „ergebnisorientiert“ argumentieren bzw. sich im Begutachtungstermin so darstellen. Da der Versicherte jedoch in der Beweislast für das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU ist, der Versicherer im Rahmen der Sachverständigenbegutachtung keine BU feststellen kann, sind Leistungsablehnungen „vorprogrammiert“. Festgestellte oder vermutete Aggravations- und Simulationstendenzen gehen damit zu Lasten des Versicherten.