Interview mit Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Herr Jöhnke, im Vergleich mit anderen Versicherungssparten: Wie häufig sind rechtliche Auseinandersetzungen bei der BU-Versicherung?
Rechtliche Auseinandersetzungen gegen BU-Versicherer finden im Vergleich zu anderen Versicherungssparten sehr häufig statt. Dieses liegt jedoch insbesondere auch an der „offenen“ BU-Klausel, über dessen Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vortrefflich gestritten werden kann. Denn die Frage, ob ein Versicherungsnehmer seine zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübte Tätigkeit noch zu mindestens 50% ausüben kann, ist zunächst erstmal eine medizinische Frage, bevor es eine rechtliche wird.
Was bedeutet das konkret?
Viele Mediziner können wiederum unterschiedliche Meinungen haben. So kann es sein, dass der von der Versicherung beauftragte Mediziner keine bedingungsgemäße BU feststellen kann. Der behandelnde Arzt und der Versicherungsnehmer können jedoch anderer Auffassung über das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU sein. Für den Fall keiner außergerichtlichen Einigung zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer müsste mittels anwaltlicher Hilfe notfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden, damit ein unabhängiges Gericht über den jeweiligen Einzelfall entscheiden kann.
Welches Thema führt denn regelmäßig zu Streit zwischen BU-Versicherten und seinem Versicherer?
Am häufigsten dürften Streitigkeiten über das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU bestehen. Geht der Versicherer davon aus, dass die BU-Klausel nicht erfüllt ist, lehnt er die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ab. Als dann kommen auch Leistungsablehnungen der BU-Versicherungen hinzu, bei welchen der Versicherer dem Versicherungsnehmer vorwirft, arglistig gehandelt zu haben. Gemeint ist damit, dass der Versicherungsnehmer im ursprünglichen Versicherungsantrag die gestellten Fragen des Versicherers nicht vollständig bzw. nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat. Ergeben sich so im Rahmen der Leistungsprüfung für den Versicherer Diskrepanzen bei den damaligen Angaben des Versicherten, könnten dadurch für den Versicherer Gestaltungsrechte (Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Vertragsanpassung) entstehen, mittels welcher er gegen das Versicherungsvertragsverhältnis vorgehen und sich vom Vertrag lösen kann. Und auch hierüber kann Streit bestehen, nämlich über die Frage, ob sich der Versicherer zu Recht vom Vertrag lösen konnte.
Die sogenannte Aggravation kann ebenfalls dazu führen, dass der Versicherer Leistungen aus einer BU-Versicherung ablehnt. Was genau ist unter diesem Begriff zu verstehen?
Um die Frage etwas besser zu verorten, ist anführen, dass Versicherer im Rahmen der Leistungsprüfung sehr häufig medizinische Sachverständige zu den jeweiligen Einschränkungen des Versicherten befragen. Im Rahmen dieser Sachverständigenbegutachtung kann es vorkommen, dass Gutachter beim Versicherten Aggravation, Simulation oder Beschwerdeverdeutlichung feststellen. Unter Aggravation versteht man die bewusst übertriebene Darstellung und Schilderung tatsächlich vorliegender Symptome oder Beschwerden durch einen Patienten. Dagegen ist die Simulation dadurch gekennzeichnet, dass überhaupt nicht vorhandene Symptome und Beschwerden vom Betroffenen bewusst und absichtlich vorgetäuscht werden. Davon zu unterscheiden sind Beschwerdeverdeutlichungen. Dabei versucht die begutachtete Person, den Gutachter vom Vorliegen von Symptomen und Beschwerden zu überzeugen, was auch häufig unbewusst geschieht. Das Problem hierin besteht, dass Versicherungen mit diesen Voten eines medizinischen Sachverständigen keine BU annehmen können, wenn der Gutachter annimmt, dass Versicherte „ergebnisorientiert“ argumentieren bzw. sich im Begutachtungstermin so darstellen. Da der Versicherte jedoch in der Beweislast für das Vorliegen einer bedingungsgemäßen BU ist, der Versicherer im Rahmen der Sachverständigenbegutachtung keine BU feststellen kann, sind Leistungsablehnungen „vorprogrammiert“. Festgestellte oder vermutete Aggravations- und Simulationstendenzen gehen damit zu Lasten des Versicherten.
Was sollten Versicherungsnehmer beachten, wenn der Versicherer ein Sachverständigengutachten einholen will und man dem Problem des Aggravationsvorwurfs aus dem Weg gehen will?
Für den Fall, dass Versicherte zu einer medizinischen Sachverständigenüberprüfung im Rahmen eines Leistungsantragsverfahren gebeten werden, ist zwingend anzuraten, termingerecht teilzunehmen und sich dieser medizinischen Untersuchung zu stellen. Anderenfalls droht eine Einstellung des Leistungsantragsverfahren durch den Versicherer wegen einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers. Als dann sollten sich Versicherte bei der Befragung und den Testungen durch den Sachverständigen weder verstellen noch ergebnisorientiert vorsprechen. Denn in diesem Fall droht eine Unergiebigkeit des Gutachtens, nämlich wenn der Sachverständige eine bedingungsgemäße BU nicht feststellen kann und der Versicherer so dann – nämlich wegen des Vorwurfs von Aggravation etc. – die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ablehnt.
Und was sollte geschehen, wenn der Versicherer wegen Aggravation die Leistung verweigert?
In diesem Fall sollte spätestens anwaltlicher Rat eingeholt werden. Denn aus Sicht des Versicherers ist im Regelfall das Leistungsantragsverfahren durch die Ablehnung der Leistungsansprüche formell beendet. Der Versicherte sollte sich in diesem Fall anwaltlich beraten und vertreten lassen, damit mit anwaltlicher Hilfe der Versicherer wieder in das Leistungsantragsverfahren eintritt und man sich möglicherweise auf eine neue Begutachtung verständigt, respektive eine gemeinsame Lösung erarbeitet.
Welche Rolle spielt der Versicherungsvermittler in einem solchen Fall?
In der Regel spielt der Vermittler dabei eine geringe Rolle. Es gibt aber auch Versicherungsvermittler, die sich sehr intensiv um diese Leistungsanträge kümmern und Versicherte unterstützen. An dieser Stelle besteht eine eigene Haftungsgefahr des Vermittlers. Denn zum einen ist der Bereich der unerlaubten Rechtsberatung durchaus tangiert. Zum anderen besteht die Gefahr, dass der Versicherte bei einer Leistungsablehnung des Versicherers die Ansprüche gegen den Vermittler richtet. Sind kausale Fehler im Leistungsprüfungsverfahren auf die Beratung bzw. Unterstützung des Vermittlers zurückzuführen, wäre eine Haftung des Vermittlers durchaus denkbar.
Und wie sollten Vermittler reagieren, sobald sich ein Verdachtsmoment auf Aggravation bei einem BU-Versicherten andeutet?
In solchen Fällen sollte in der Tat zeitnah anwaltlicher Rat eingeholt werden, damit nicht erst eine Leistungsablehnung im Raume steht, sondern diese bestenfalls mittels Rechtsberatung vermieden werden kann und keine Ansprüche des Versicherten vereitelt werden.
Bild: © Studio_East – stock.adobe.com; © Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
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