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23. Mai 2024
Wie politisch sind die Kapitalmärkte?

Wie politisch sind die Kapitalmärkte?

Was beeinflusst die Kurse an den Kapitalmärkten? Im Makro-Blick gibt es zahlreiche Wechselbeziehungen, z. B. Regulatorik, Geld-, Fiskal- und Geopolitik, die Einfluss auf Märkte und Kurse nehmen. Einige politische Faktoren bleiben ein kurzes Rauschen, andere bringen schleichende, aber nachhaltige Verschiebungen.

Ein Artikel von Michael Blümke, Senior Portfolio Manager bei ETHENEA Independent Investors S.A.

Politische Börsen haben kurze Beine“, heißt es unter Börsianern. Gemeint ist damit, dass Marktentwicklungen hauptsächlich durch sich längerfristig verändernde Fundamentaldaten und nicht durch kurzfristigen „Lärm“ auf der politischen Bühne beeinflusst werden. Grundsätzlich hat dieser Gedanke nicht nur Charme, sondern natürlich seine Berechtigung. Aber: Die Beziehung zwischen Politik und Kapitalmärkten ist tatsächlich komplizierter und vielschichtiger. Sie ist durch ein komplexes Zusammenspiel von Geld-, Fiskal- und Geopolitik, Regulatorik und wirtschaftlichen Faktoren gekennzeichnet. Die Kapitalmärkte – das heißt die Gesamtheit an Aktien-, Anleihen-, Rohstoff- und Währungsmärkten – werden nicht unbeträchtlich durch politische Entscheidungen und Maßnahmen gesteuert. Politische Entwicklungen wiederum werden häufig durch wirtschaftliche Bedingungen und die Dynamik der Finanzmärkte gelenkt. Diese Wechselwirkungen sind für Anleger, politische Entscheidungsträger und Analysten gleichermaßen wichtig.

Fiskalpolitik

Gerade in einem Jahr wie 2024, in dem fast die Hälfte der Weltbevölkerung zum Urnengang aufgefordert wird, gewinnt die Frage nach der Relevanz von Fiskalpolitik für die Börsen an Bedeutung. Staatsausgaben, Steuern und Haushaltsentscheidungen beeinflussen nicht nur die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch die daraus abgeleiteten Markterwartungen und nicht zuletzt die Stimmung der Anleger. So kann eine expansive Finanzpolitik in Form von Infrastrukturausgaben oder Steueranreizen das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Optimismus an den Märkten steigern. Sparmaßnahmen hingegen können einen gegenteiligen Effekt haben. Gewonnenes oder auch verlorenes Vertrauen der Anleger führt zu Kapitalbewegungen zwischen Asset-Klassen oder Währungen und verursacht Kursverschiebungen.

Geldpolitik

Veränderungen in der Verfügbarkeit von Liquidität und des zugehörigen Preises dafür, also der Zinsen, haben eine ähnliche Wirkung. Sowohl Staaten – in der Regel über die Aufnahme von Schulden – als auch Notenbanken im Rahmen ihrer Geldpolitik können steuernd eingreifen. Insbesondere aber die Zentralbanken spielen durch ihre geldpolitischen Entscheidungen eine zentrale Rolle bei der Liquiditätsversorgung der Real- und Kapitalmärkte – und damit auch bei der Steuerung von Inflationserwartungen. Durch ihre Maßnahmen wie Zinsanpassungen und quantitative Lockerung oder Straffung beeinflussen sie direkt die Refinanzierungskosten für Unternehmen, die Verfügbarkeit von Investitions- bzw. Spekulationskapital und damit indirekt die Preisveränderungen von Vermögenswerten – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Fiskal- und Geldpolitik haben damit entscheidenden Einfluss auf Wohl und Wehe der Märkte.

Regulatorik und politische Rahmenbedingungen

Prägenden und meistens sogar nachhaltigeren Einfluss besitzt der erweiterte Komplex aus Regulatorik und Gesetzgebung. Denn Gesetze und Vorschriften, die die Finanzmärkte regulieren, die für grundsätzliche Rechtssicherheit sorgen, die den Arbeitsmarkt steuern, die die Energieversorgung sicherstellen, die Innovationen und Investitionen unterstützen, haben deutlich längerfristige Auswirkungen. Da sie sich in der Regel nicht sofort merklich auswirken, dienen sie Politikern weniger im Rennen um wahlkampfrelevante Stimmen – anders als die von Legislaturperiode zu Legislaturperiode veränderliche Fiskal- und Geldpolitik. Für einen funktionierenden und prosperierenden Kapitalmarkt ist jedoch ein verlässlicher politischer Rahmen eine unerlässliche Grundlage.

Geopolitik

Geopolitische Spannungen können erhebliche Auswirkungen auf die Kapitalmärkte haben, was sich auf das Anlegerverhalten, die Preise von Vermögenswerten und die politischen Reaktionen auswirken kann. Sie erhöhen tendenziell die Risikowahrnehmung der Anleger, was dazu führt, dass Risiken neu bewertet werden. In der Folge kann es sowohl zur Flucht in sichere Anlagen wie Gold, Staatsanleihen oder in Währungen von als sicher eingestuften Ländern kommen als auch zur Preisanpassung bei sonstigen Vermögenswerten. Geopolitischer Stress kann politische Entscheidungsträger Maßnahmen ergreifen lassen, die sich direkt oder indirekt auf die Kapitalmärkte auswirken. Änderungen in der Geldpolitik, der Handelspolitik oder durch fiskalische Anreize könnten Versuche sein, wirtschaftliche Auswirkungen geopolitischer Ereignisse zu mildern. Anhaltende geopolitische Auseinandersetzungen können aber auch längerfristige Anlageentscheidungen beeinflussen. Sowohl durch die Anpassung der strategischen Asset-Allokation als auch durch das Überdenken von Investitionszielen kann der Geopolitik Rechnung getragen werden, indem beispielsweise Regionen oder Branchen über- oder untergewichtet werden.

Dynamische Wechselbeziehungen

Die Beziehung zwischen Politik und Kapitalmärkten ist kompliziert und dynamisch. Sie ist gekennzeichnet durch einen stetigen Austausch von Einflüssen zwischen politischen Entscheidungen, geopolitischen Ereignissen und Marktdynamiken. Anleger und politische Entscheidungsträger müssen sich in dieser komplexen Beziehung zurechtfinden, um das Marktverhalten zu verstehen, Risiken zu antizipieren und fundierte Entscheidungen zu treffen. Als Investoren müssen wir entsprechende Entscheidungen für unsere zu betreuenden Portfolios treffen. Für einen nachhaltigen Vermögensaufbau kommt es weniger darauf an, jede politische Entscheidung oder Entwicklung in eine Transaktion umzumünzen. Trotz der Liebe zum Detail und der vermeintlichen Sicherheit, die ein hochfrequentes Umschichten suggeriert, ist es von viel größerer Bedeutung, die großen politischen Veränderungen im Auge zu behalten.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 05/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Pairat – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Michael Blümke

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Wilfried Stras… am 25. Mai 2024 - 23:44

Aktuell profitiert von geringeren Kosten und teuren Preisen für Ihre Produkte-Energie in die EU nur die USA. Für die EU wird das Bashing gegen Rohstoffländer Arabien, China, Russland, auch teilweise in Afrika mit viel Gegenwind bald definitiv ein Riesenproblem. Ca. 7 Milliarden Erdbürger teilen nicht unsere Weltsicht. Deswegen ist die Erwartung das alles wieder so wird wie zuvor, wohl eher Wunschdenken, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden wird. Immer mehr Staat, der nichts produziert, immer mehr Beamte die für Regeln sorgen-55% Beamte im Bundestag, zu teure Energie und Produkte, treffen auf Bürger die immer ärmer werden. IM/EXPORT eingeschränkt, Inlandsnachfrage, anders in USA, einbrechend, gute Zukunft? Leider sehr, sehr fraglich