Falle der „Über-Incentivierung“: Warum materielle Anreize oft das Gegenteil bewirken
Der Wettkampf um die besten Köpfe ist in vollem Gange. Und die Waffen der Wahl sind oft – man kann es nicht anders sagen – goldene Ketten: modernste Firmenwagen, satte Boni, flexible Arbeitszeitmodelle, Home-Office, Fitnessstudiozuschüsse, Hunde am Arbeitsplatz – der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Doch ist dieser Fokus auf materielle Anreize wirklich der richtige Weg, um Mitarbeiter langfristig zu binden und zu motivieren? Psychologische Studien zeigen: eher nicht. Denn was auf den ersten Blick verlockend erscheint, kann schnell zum Rohrkrepierer werden. Wer sich nur des Geldes oder der Benefits wegen für ein Unternehmen entscheidet, wird sich schnell nach neuen, noch besseren Angeboten umsehen. Die intrinsische Motivation, also die ursprüngliche Freude an der Arbeit selbst, wird überdeckt von eigentlich unnötigen Anreizen. Und schließlich fangen die gepamperten Mitarbeitenden gar nicht mehr ohne materiellen Incentive an zu arbeiten, selbst wenn sie den Job ursprünglich gerne gemacht haben. Dabei vergessen viele Unternehmen: Menschen wollen nicht nur arbeiten, um Geld zu verdienen. Sie wollen etwas bewirken, sich einbringen, ihre Fähigkeiten nutzen und dabei auch noch Spaß haben. Kurzum: Sie suchen nach Sinn und Erfüllung in ihrer Arbeit. Zumindest macht ein solches Menschenbild die Sache mit dem Fachkräftemangel leichter. Hier liegt die Chance für Unternehmen, die im „War for Talents“ bestehen wollen. Statt auf immer neue materielle Anreize zu setzen, sollten sie sich auf die Schaffung einer Arbeitsumgebung konzentrieren, die intrinsische Motivation fördert. Das heißt:
- Sinnhafte Aufgaben: Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit einen Unterschied macht und zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Es muss nicht gleich die große Weltverbesserung sein, sondern das kleine, aber konkrete Wirken und Bewirken im unmittelbaren Umfeld.
- Eigenverantwortung und Gestaltungsspielräume: Mitarbeiter blühen auf, wenn sie ihre Fähigkeiten einbringen und ihren Arbeitsbereich aktiv mitgestalten können – indem man ihnen vertraut.
- Wertschätzung und Anerkennung: Ein ehrliches Lob, ein Dankeschön oder die Wertschätzung der eigenen Leistung sind oft mehr wert als jeder Bonus. Es ist nicht der Blumenstrauß vom Chef, sondern die echte Begeisterung der Führungskraft, dass sie den Arbeitsbeitrag der Mitarbeitenden wirklich wertschätzt.
- Gemeinschaft und Teamgeist: Der Austausch mit Kollegen, das Gefühl, Teil eines Teams zu sein und gemeinsam Ziele zu erreichen, sind wichtige Motivationsfaktoren. Es geht dabei nicht schlicht um Spaß bei der Arbeit, sondern um eine Gruppe von Menschen, die sich kennen und sich gegenseitig Anerkennung und Vertrauen entgegenbringen.
Auf dem Weg zu einer neuen Leistungskultur
Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Neue Technologien, veränderte Wertvorstellungen und der demografische Wandel stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Doch gerade in solchen Zeiten ist es wichtiger denn je, dass wir die urmenschliche „Lust am Machen“ nicht aus den Augen verlieren. Die Zukunft gehört Unternehmen, die es schaffen, eine Arbeitskultur zu etablieren, die sowohl den Bedürfnissen der Mitarbeiter als auch den Anforderungen des Marktes gerecht wird. Eine Kultur, die auf Vertrauen, Eigenverantwortung und Sinnhaftigkeit basiert. Eine Kultur, die es den Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten einzubringen, sich weiterzuentwickeln und gemeinsam erfolgreich zu sein.
Gerade in diesem Wandel liegt auch eine große Chance: die Chance, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und die besten Köpfe für sich zu gewinnen, die Chance, eine neue Leistungskultur zu prägen, die von Freude, Engagement und dem Stolz auf die gemeinsame Leistung geprägt ist.
Über Prof. Dr. Ingo Hamm
Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt, war McKinsey-Berater und Manager in einem Dax-Konzern. Zudem berät er Menschen und Organisationen bei den Herausforderungen der neuen Arbeitswelt und ist Autor diverser Sachbücher.
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