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13. Dezember 2024
Warum die Branche eine neue Leistungskultur braucht

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Warum auch die Branche eine neue Leistungskultur braucht

Warum die Branche eine neue Leistungskultur braucht

Was nützen neue Freiheiten, wenn die Arbeit selbst keine Freude mehr bereitet, fragt sich der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Ingo Hamm. Er setzt nicht (nur) auf materielle Anreize, sondern stellt vielmehr die intrinsische Motivation in den Mittelpunkt. Und er spricht sich dafür aus, die Lust am Machen wiederzuentdecken.

Ein Artikel von Prof. Dr. Ingo Hamm, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt

„Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“ Dieser Satz von Albert Camus mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Schließlich ist Sisyphos dazu verdammt, einen Fels immer wieder einen Berg hinaufzurollen, nur um ihn dann wieder hinunterrollen zu sehen. Doch genau hier liegt der Kern der Aussage: Es geht um die Akzeptanz der Aufgabe, um die Freude am Tun selbst, ohne den Anspruch auf einen höheren Sinn. Eine Sichtweise, die auch in der modernen Arbeitswelt neue Relevanz gewinnt. Denn zwischen dem Wunsch nach individueller Freiheit und dem Bedürfnis nach Gemeinschaft, zwischen materiellen Anreizen und intrinsischer Motivation, zwischen New-Work-Utopien und der Realität des Arbeitsalltags scheint die Lust am Machen oft verloren zu gehen.

Haben wir verlernt, uns an der Arbeit zu erfreuen? Überall ist die Rede von New Work, flachen Hierarchien und Vier-Tage-­Woche. Die neuen Arbeitsmodelle haben durchaus ihre Berechtigung. Sie können – richtig implementiert – die Work-Life-­Balance verbessern, die Eigenverantwortung stärken und die Kreativität fördern. Doch sie bergen auch eine Gefahr: Nämlich die Vernachlässigung des menschlichen Bedürfnisses nach Gemeinschaft, nach geteiltem Erfolg und dem Stolz, Teil von etwas Größerem zu sein.

Von Freiheiten und Teamgeist

Nicht nur die Versicherungswirtschaft ist geprägt von Digitalisierung, neuen Wettbewerbern und dem stetigen Ruf nach mehr Effizienz. Da liegt der Gedanke nahe, die „Flexibilisierung“ auf die Spitze zu treiben, die Mitarbeiter ins Home-Office zu schicken und ihnen maximale Freiheit zu gewähren. Und auch im schicken neuen Büro ist alles „flex“, der eigene Schreibtisch längst passé. Es gibt zwar guten Espresso en masse, aber wenig Ruhe, viele mühsam kondensierte Meetings und dauernd Kollegen, die „ausgerechnet nicht da sind, wenn ich mal im Büro bin“. Hier lauert die Gefahr der Isolation, der Sinnentleerung – der „professionellen Einsamkeit“, nicht nur im Home-Office, sondern auch im zerhackten, neuen, agilen Projektgeschäft. Die Frage lautet also: Was nützen neue Freiheiten, wenn die Arbeit selbst keine Freude mehr bereitet, wenn der Austausch mit Kollegen fehlt und der Sinn des eigenen Tuns im Nebel der Anonymität verschwindet?

Hinzu kommt ein grundlegendes Dilemma: Unternehmen – auch und gerade in der Versicherungsbranche – sind auf Zusammenarbeit, auf Teamgeist und eine gemeinsame Kultur angewiesen. Nur so entstehen Innovationen, lassen sich komplexe Aufgaben bewältigen. Doch wie lassen sich diese zentralen Bedürfnisse mit dem Wunsch nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung in Einklang bringen? Die Antwort liegt in einer neuen Leistungskultur, die die Bedürfnisse von Unternehmen und Mitarbeitern gleichermaßen berücksichtigt. Diese neue Leistung ist Psychologie, nicht Ökonomie. Sie baut auf eine Kultur, die nicht auf Kontrolle und Anweisung setzt, sondern auf Vertrauen und Eigeninitia­tive. Eine Kultur, die die einzigartigen Talente und Fähigkeiten jedes Einzelnen wertschätzt und gleichzeitig den Wert von Gemeinschaft und Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt.

Warum Talentförderung auf Fakten basieren muss

Ein wichtiger Baustein dieser neuen Leistungskultur ist die Talentförderung: eine, die sich auf Kompetenzen und nützliche, konkrete Erfahrungen fokussiert, in denen Talente gezeigt haben, dass sie einen nachweisbaren Impact erzeugen können. Doch auch hier scheinen sich Wunsch und Wirklichkeit oft zu widersprechen. Da ist die Rede von „Potenzialentfaltung“ und der Suche nach „Hidden Champions“. Hand aufs Herz: Wie oft entpuppen sich diese „verborgenen Potenziale“ als schwammige Hoffnungsträger, die im Dschungel der Arbeitswelt schnell den Anschluss verlieren? Die Lösung liegt, so ernüchternd es klingen mag, in der Konzentration auf nachweisbare Fähigkeiten und Talente: Wo liegen die nachweislichen Stärken? Und wie lassen sich diese im Unternehmen optimal einsetzen und fördern? Es geht nicht um die vage Hoffnung auf schlummernde Potenziale, sondern um die konsequente Förderung von bereits vorhandenen Kompetenzen. Nur so entsteht echte Wertschätzung seitens der Beschäftigten, nur so entwickelt sich echter Werkstolz bei den Talenten selbst. Und nur so entsteht am Ende auch echter Erfolg, für den Einzelnen und für das Unternehmen.

 
Ein Artikel von
Prof. Dr. Ingo Hamm