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1. April 2023
Sachwerte in Zeiten der Zinswende
Sachwerte in Zeiten der Zinswende

Sachwerte in Zeiten der Zinswende

Die Inflation ist hartnäckiger, als zunächst gedacht. Ob die Notenbanker gegen sie Erfolg haben werden, ist ungewiss. Denn immer höhere Zinsen könnten zu Kollateralschäden im Finanzsystem führen. Was bedeutet das für die Wirtschaft und Investoren? Eines ist sicher: Ohne Aktien wird es nicht gehen.

Ein Artikel von Dr. Bert Flossbach, Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG

Die Notenbanken haben keine Wahl: Sie müssen die aus dem Ruder gelaufene Inflation bekämpfen. Anderenfalls könnten die Menschen das Vertrauen in den Wert ihres Geldes verlieren. Allerdings gibt es die Rückkehr zu niedrigeren Inflationsraten nicht kostenlos, im Gegenteil. Die Inflationsbekämpfung ist nach allgemeiner Einschätzung lediglich kostengünstiger, als die Inflation einfach laufen zu lassen.

Wie weit die Notenbanken die Zinsen tatsächlich noch erhöhen und ihre Bilanzen abbauen können, bevor die Kosten der Inflationsbekämpfung nicht mehr vertretbar sind und schwerwiegende Kollateralschäden im Finanzsystem auftreten, weiß allerdings niemand, auch die Notenbanker nicht.

Zinsausgaben verdoppeln sich

Viele Staaten müssen sich jedenfalls auf spürbar steigende Zinskosten einstellen, erstmals seit Jahrzehnten. Im Jahr 2021 fielen für die Eurostaaten Zinskosten von 180,3 Mrd. Euro an. Bezogen auf die Gesamtstaatsverschuldung von 12,3 Bio. Euro entsprach das einer durchschnittlichen Zinslast von lediglich 1,5%. Sollten die Marktrenditen auf dem derzeitigen Niveau verharren, würden sich die Zinsausgaben bei unveränderter Verschuldung in einigen Jahren verdoppelt haben. Dennoch ist die Schuldentragfähigkeit der (meisten) Staaten nicht ernsthaft in Gefahr, da Wirtschaftsleistung und Steuereinnahmen inflationsbedingt mitsteigen.

Diesen Ausgleich haben viele private Kreditnehmer nicht oder nur bedingt. Je kürzer die Zinsbindung ist, desto eher schlägt das höhere Zinsniveau voll durch. Während deutsche Privathaushalte überwiegend lang laufende Immobilienkredite abgeschlossen haben, ist in Großbritannien etwa jede fünfte Hypothek variabel verzinst. Die übrigen 80% weisen nur eine kurze Zinsbindung auf, die für gut zwei Millionen britische Kreditnehmer schon in diesem Jahr endet.

Aktuell beträgt der Zins für Hypothekenkredite in Großbritannien – je nach Laufzeit – das Drei oder Vierfache im Vergleich zu den Konditionen Anfang 2022. Wann und in welchem Umfang dies zu Ausfällen bei Hypothekendarlehen führt, wird sich in den nächsten Quartalen zeigen. Auf jeden Fall wird die Bank of England die Auswirkungen weiterer Zinserhöhungen auf die Bedienbarkeit der Hypothekenkredite und damit die Solvenz des Bankensektors im Auge behalten.

Mangel an Liquidität

Auch für hoch verschuldete Unternehmen, die in den nächsten Jahren fällige Kredite oder Anleihen refinanzieren müssen, wird es eng. Dies gilt vor allem für die sogenannten Zombieunternehmen, die sich in der Vergangenheit nur dank niedriger Zinsen über Wasser halten konnten. Auch unprofitable Wachstumsunternehmen, denen jetzt langsam das Geld ausgeht, leiden unter dem hohen Zinsniveau und den gestiegenen Risikoprämien. Die Aufnahme von Eigenkapital an der Börse oder von Venture-Capital-Gesellschaften ist schwieriger geworden, Fremdkapital ist zu teuer oder schlicht nicht mehr verfügbar.

Hierbei handelt es sich um eine gesunde Marktbereinigung, die die Notenbanken bei ihrem Kampf gegen die Inflation billigend in Kauf nehmen dürften. Ein anderes Problem ist dagegen virulenter: ein zunehmender Mangel an Liquidität. Während die Notenbanken ihre Anleihebestände sukzessive abbauen, sprich am Markt verkaufen wollen, planen die Staaten gleichzeitig mit einer anhaltend hohen Nettoneuverschuldung. Das wirkt sich auch auf die Nachfrage nach Unternehmensanleihen aus, deren Risikoaufschläge steigen und die Unternehmensrefinanzierung verteuern dürften.

Im Herbst vergangenen Jahres hatte der starke Zinsanstieg bei britischen Staatsanleihen (Gilts) bereits die Bank of England genötigt, ihre Geldpolitik temporär zu ändern, weil die Kurse der Gilts ins Bodenlose fielen.

Auch die Realwirtschaft leidet unter steigenden Zinsen. Unmittelbar sichtbar ist dies in der Bauwirtschaft, wo die Zahl der Auftragseingänge bereits deutlich gefallen ist. Ob und wo es zu einer Rezession kommt, wie tief sie sein wird und wie lange sie dauern könnte, sind müßige Fragen. Die Notenbanken müssen sie als Folge einer restriktiven Geldpolitik in Kauf nehmen, wenn sie die Nachfrage so stark drücken wollen, dass der Preisauftrieb fast zum Erliegen kommt.

Ohne Aktien geht es nicht

Ob sie Erfolg haben werden bei der Inflationsbekämpfung, steht angesichts der zuvor beschriebenen Risiken und potenziellen Kollateralschäden in den Sternen. Die Investoren werden sich deshalb von einer Notenbanksitzung zur nächsten hangeln; sie werden immer wieder versuchen, das Ende des Zinserhöhungszyklus auszuloten. Mal wird es gefühlt nah sein, so wie zu Beginn des Jahres, und die Kurse steigen, mal in weiter Ferne, und sie fallen. Ein ständiges Auf und Ab – ohne verlässlichen Trend. Deutlichere Rücksetzer nicht ausgeschlossen.

Nichtsdestotrotz braucht es für den Kapitalerhalt langfristig die Aktien guter Unternehmen. Stand heute entsprechen deren Bewertungen in etwa dem derzeitigen Zins- und Renditeniveau. Höhere Zinsen würden die Bewertungen abermals drücken. Umso mehr kommt es für langfristig denkende Investoren darauf an, die richtigen Titel auszuwählen und das Portfolio möglichst intelligent zu diversifizieren – einerseits.

Andererseits dürfte das aktuelle Umfeld immer wieder Gelegenheiten bieten. Das gilt nicht nur für Aktien, sondern auch für Anleihen. Deren Chance-Risiko-Profil hat sich in den vergangenen zwölf Monaten spürbar verbessert. Als langfristig denkende Investoren sind wir deshalb zuversichtlich, dass die Zukunft wieder bessere Jahrgänge für Anleger bereithält, auch wenn der Weg dorthin erst einmal steinig sein wird.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2023, S. 68 f., und in unserem ePaper.

Bild: © mimadeo – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Bert Flossbach