Interview mit Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG
Herr Halver, ganz simpel gefragt: Der DAX boomt derzeit. In den ersten zwei Januarwochen hatte er seinen besten Jahresstart der Geschichte. Woran liegt’s?
Wir haben es mit massiven Nachholeffekten zu tun. 2022 war noch tiefe Trauer angesagt. Aber mit der Wiederöffnung von China als systemrelevant für die Weltwirtschaft bekommen deutsche konjunkturabhängige Aktien wieder Wind unter ihre Flügel. Und die Marktkapitalisierung lag ja bei vielen Titeln sogar in der Nähe der Substanzbewertung. Insbesondere US-Anleger haben sich auf unsere Industrieperlen gestürzt.
Wird der Aufwind am deutschen Aktienmarkt trotz Zinserhöhungen und Inflationssorgen weitergehen?
Das Strohfeuer geht naturgemäß nicht so weiter. Wenn die Anlagewelt in unseren deutschen Aktien investiert ist, wird es ruhiger. Zukünftig wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Die einfachen Gewinne sind sozusagen gemacht. Jetzt klopfen die Anleger die Aktien auf fundamentale Substanz ab: „Nur die Harten kommen in den Garten." Und wenn diese stimmt und sich die allgemeine Wirtschaftslage nach derzeit vielversprechenden Frühindikatoren weiter stabilisiert, muss man sich um diese Werte keine Sorgen machen. Ich mag insbesondere die Ausrüstungsunternehmen. Denn in den letzten drei Jahren ist wegen Corona-Lockdown und Kriegsangst kaum investiert worden. Auf vorübergehende Konsolidierungen speziell im ersten Halbjahr muss man sich aber einstellen. Denn die Konjunkturerholung ist kein Schweinsgalopp.
Nach der Erhöhung des Leitzinses vonseiten der EZB und der Fed Anfang Februar machten DAX, Dow Jones und Nasdaq einen gehörigen Sprung nach oben. In der Regel aber sind Zinsanhebungen doch Gift für die Aktienmärkte. Wie also kommt diese Kursbewegung zustande?
Die Finanzmärkte erwarten, dass die Fed im Sommer mit der Zinserhöhungswelle durch ist. Die amerikanischen Notenbanker sprechen zwar hart im Ton von Inflationsbekämpfung, werden aber Milde im Handeln an den Tag legen. Denn Auftragskiller der US-Wirtschaft, die staatlich und privat mit biblischer Überschuldung zu kämpfen hat und insofern keine zu harte Zinspolitik verträgt, sind sie nicht. Worte sind also nicht Taten. Worte sollen aber die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer, also der Unternehmen und Konsumenten, mäßigen, damit die US-Notenbank weniger stark erhöhen muss. Natürlich könnte man die Inflation zinspolitisch auf 2% drücken. Doch fällt Amerika in eine tiefe Rezession.
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Seite 2 Die EZB zögert derzeit nicht mit Zinsschritten nach oben. Wie wird sich das mittelfristig auf den europäischen Aktienmarkt auswirken?
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