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22. Februar 2023
Robert Halver: „Das Strohfeuer geht naturgemäß nicht so weiter“

Robert Halver: „Das Strohfeuer geht naturgemäß nicht so weiter“

Der Deutsche Aktienindex hat zum Anfang des Jahres nur so vor Energie gestrotzt. Gerade am europäischen Aktienmarkt gab es einen frischen Aufwind – trotz der wiederholten Leitzinserhöhungen. AssCompact hat sich bei Robert Halver, Marktanalyst bei der Baader Bank, zur aktuellen Lage an der Börse erkundigt.

Interview mit Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG
Herr Halver, ganz simpel gefragt: Der DAX boomt derzeit. In den ersten zwei Januarwochen hatte er seinen besten Jahresstart der Geschichte. Woran liegt’s?

Wir haben es mit massiven Nachholeffekten zu tun. 2022 war noch tiefe Trauer angesagt. Aber mit der Wiederöffnung von China als systemrelevant für die Weltwirtschaft bekommen deutsche konjunkturabhängige Aktien wieder Wind unter ihre Flügel. Und die Marktkapitalisierung lag ja bei vielen Titeln sogar in der Nähe der Substanzbewertung. Insbesondere US-Anleger haben sich auf unsere Industrieperlen gestürzt.

Wird der Aufwind am deutschen Aktienmarkt trotz Zinserhöhungen und Inflationssorgen weitergehen?

Das Strohfeuer geht naturgemäß nicht so weiter. Wenn die Anlagewelt in unseren deutschen Aktien investiert ist, wird es ruhiger. Zukünftig wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Die einfachen Gewinne sind sozusagen gemacht. Jetzt klopfen die Anleger die Aktien auf fundamentale Substanz ab: „Nur die Harten kommen in den Garten." Und wenn diese stimmt und sich die allgemeine Wirtschaftslage nach derzeit vielversprechenden Frühindikatoren weiter stabilisiert, muss man sich um diese Werte keine Sorgen machen. Ich mag insbesondere die Ausrüstungsunternehmen. Denn in den letzten drei Jahren ist wegen Corona-Lockdown und Kriegsangst kaum investiert worden. Auf vorübergehende Konsolidierungen speziell im ersten Halbjahr muss man sich aber einstellen. Denn die Konjunkturerholung ist kein Schweinsgalopp.

Nach der Erhöhung des Leitzinses vonseiten der EZB und der Fed Anfang Februar machten DAX, Dow Jones und Nasdaq einen gehörigen Sprung nach oben. In der Regel aber sind Zinsanhebungen doch Gift für die Aktienmärkte. Wie also kommt diese Kursbewegung zustande?

Die Finanzmärkte erwarten, dass die Fed im Sommer mit der Zinserhöhungswelle durch ist. Die amerikanischen Notenbanker sprechen zwar hart im Ton von Inflationsbekämpfung, werden aber Milde im Handeln an den Tag legen. Denn Auftragskiller der US-Wirtschaft, die staatlich und privat mit biblischer Überschuldung zu kämpfen hat und insofern keine zu harte Zinspolitik verträgt, sind sie nicht. Worte sind also nicht Taten. Worte sollen aber die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer, also der Unternehmen und Konsumenten, mäßigen, damit die US-Notenbank weniger stark erhöhen muss. Natürlich könnte man die Inflation zinspolitisch auf 2% drücken. Doch fällt Amerika in eine tiefe Rezession.

Die EZB zögert derzeit nicht mit Zinsschritten nach oben. Wie wird sich das mittelfristig auf den europäischen Aktienmarkt auswirken?

Die EZB ist viel zu taubenhaft gewesen, ist viel zu spät auf den Zinserhöhungszug zur Bekämpfung der Inflation aufgesprungen. Das holt sie jetzt nach, indem sie ihr Falkenkostüm anzieht. Die Aktienmärkte sind froh, dass die EZB Inflation bekämpft wird. Denn sie frisst ja Kaufkraft und damit Wirtschaftswachstum auf. Aber aufgrund der Kraft des Faktischen – Überschuldung, immense Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Verteidigung und Klimaschutz – wissen sie auch, dass sie nicht zur Bundesbank 2.0 werden. Von daher wird sie trotz noch fortgesetzter Zinserhöhungen aber darauf achten, dass weder Leitzinsen noch Anleiherenditen real positiv werden. Denn dann kann die Inflation die für die gewaltigen Zukunftsaufgaben zu stemmenden Neuschulden der Euro-Länder nicht mehr künstlich auffressen.

Beim Blick in die USA ist also bei der Fed langsam ein Zurückschalten beim Zinserhöhungstempo zu erkennen. Was bedeutet das für die Aktienmärkte hüben wie drüben des Atlantiks?

Der Zins ist aus meiner Sicht entscheidender für die Aktien als die Konjunktur. Denn Zinspapiere sind die große alternative Anlageklasse zu Aktien. Und dabei ist die US-Notenbank grundsätzlich die „Mutter aller geldpolitischen Schlachten“. Was sie tut, hat weltweit immense Wirkung, auch in Europa. Zwar erwarten die Finanzmärkte, dass die Fed angesichts des noch eher nur zähen Inflationsrückgangs etwas länger als bislang gedacht restriktiv bleibt und zwei weitere Zinserhöhungen um jeweils 25 Basispunkte auf dann 5,25% durchführt. Dennoch ist das Ende der US-Zinswende absehbar. Vor allem aber wird die Zinssenkungsfantasie ab 2024 den Aktienmärkten guttun. Wenn die Zinsangst geht, kommen die Aktien.

Wann ist denn aus Ihrer Sicht eigentlich Schluss mit den Zinserhöhungen bei EZB und Fed?

Ich erwarte, dass die Fed vor der Sommerpause 2023 den Leitzinszenit erreicht. Die EZB wird diesen Zeitpunkt nach der Sommerpause erreichen.

Laut dem Deutschen Aktieninstitut gibt es derzeit so viele Aktionäre wie noch nie. Ein Mangel an Alternativen – oder steckt mehr dahinter?

Ich bin regelrecht glücklich, dass die junge Generation sich immer mehr für Aktien erwärmt. Sie begreifen, dass das klassische Zinssparen in Festgeldern oder deutschen Staatspapieren in Anbetracht nach Inflation negativer Renditen keine alternativlose Anlageform mehr ist. Aber um einen breiten, sozusagen „Volkskapitalismus“ zu erreichen, wobei große Bevölkerungsschichten in Aktien regelmäßig ansparen, muss der Staat nachhelfen. Dabei geht es nicht um läppische Erhöhungen der Sparerfreibeträge, sondern ein Anlagekonzept, das aktienbasiertes Sparen aus dem Steuer-Brutto fördert und dessen Erträge auch später steuerfrei bleiben. Wie will man ansonsten der drohenden Altersarmut entgehen? Der Sozialstaat Schweden hat es längst vorgemacht. Die deutsche Politik sollte ihre Scheuklappen endlich ablegen und statt ideologischem Gesundbeten der Rentenversicherung eine Altersvorsorge begünstigen, die den Namen verdient.

Bild: © Robert Halver bzw. © Smart Future – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Robert Halver