Ein Artikel von Ivan Domjanic, Kapitalmarktstratege DACH-Region bei M&G Investments
Nach dem Debakel an den Anleihemärkten im Jahr 2022 folgte im laufenden Jahr die Erholung. So konnten sich europäische Staatsanleihen beispielsweise insgesamt positiv entwickeln und zumindest einen Teil der Verluste seit Anfang 2022 wieder ausgleichen. Positiv hervorzuheben waren bislang auch Unternehmensanleihen und hier vor allem solche aus dem Hochzinssegment, das in der Regel stärker auf die Konjunkturlage reagiert als Papiere von Investment-Grade-Emittenten.
Überraschend stabile Konjunktur
Ein wesentlicher Grund für die solide Entwicklung der risikoreicheren Anleihesegmente wie etwa der Hochzinsanleihen liegt darin, dass die Konjunktur in den USA bislang trotz der deutlich gestiegenen Finanzierungskosten überraschend stabil geblieben ist. Zwar ist die jüngste Datenlage für Europa nicht ganz so positiv, allerdings scheint die Abkühlung bislang auch hier relativ milde auszufallen. Die Stabilität dürfte unter anderem auf die fiskalpolitische Unterstützung und die Ersparnisse aus der Zeit der Covid-Pandemie zurückzuführen sein. Es ist jedoch alles andere als sicher, dass diese beiden Aspekte auch in Zukunft die Konjunktur weiter antreiben werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass steigende Zinsen ihre volle Wirkung in der Regel erst mit einiger Verzögerung entfalten. Das wirtschaftliche Umfeld bleibt daher mit Unsicherheiten behaftet.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für Anleger nun die Frage, wie sie aktuell bei Anleihen agieren sollten.
Duration statt Cash
Eine Besonderheit am Anleihemarkt ist derzeit die inverse Zinsstrukturkurve: Anleger erhalten bei kurz laufenden Anleihen wie z. B. Geldmarktpapieren höhere Zinsen als bei solchen mit langen Laufzeiten. Viele Anleger fühlen sich daher im Geldmarktbereich sehr wohl, denn die Verzinsung ist durchaus attraktiv – bei einem Risiko, das gegen Null geht.
Das ist aus unserer Sicht jedoch zu kurz gedacht, denn Anleger sollten immer die Gesamtstruktur ihres Portfolios berücksichtigen. Zwar bieten Anleihen mit längeren Laufzeiten wie beispielsweise zehnjährige deutsche Bundesanleihen oder US-Treasuries eine niedrigere Verzinsung als Geldmarktinstrumente, das Chance-Risiko-Verhältnis der längeren Duration dieser Anleihen hat sich in den letzten zwei Jahren aber deutlich verbessert.
Sie können für den Fall, dass sich die Konjunktur stärker abkühlt als derzeit erwartet, eine sinnvolle Absicherung gegen Kursrückgänge am Aktienmarkt sein. Zwar ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Renditeniveaus am langen Ende noch etwas weiter steigen. In Anbetracht des voraussichtlichen Endes des Zinserhöhungszyklus dürfte das weitere Anstiegspotenzial nach M&G-Einschätzung jedoch relativ begrenzt sein, zumindest solange sich die Inflation weiterhin in Richtung der 2%-Marke bewegt. Denn ein deutlicher Anstieg der Renditeniveaus ohne einen plötzlichen Inflationsschub könnte für die Realwirtschaft erhebliche Konsequenzen haben. Ein erneutes Einschreiten der Zentralbanken wäre in einem solchen Szenario zu erwarten.
Hinzu kommt der mittlerweile attraktive Kupon, der die potenziellen Kursverluste im Falle weiter steigender Renditeniveaus ausgleichen oder zumindest abfedern kann. Sollten andererseits aber die Ablaufrenditen von zehnjährigen US-Treasuries beispielsweise um 100 Basispunkte sinken, was im Falle einer Rezession alles andere als unwahrscheinlich wäre, dann würde nach einem Jahr zusammen mit dem Kupon ein zweistelliges Plus winken. Bei noch stärker sinkenden Renditeniveaus wären theoretisch aktienähnliche Gewinne denkbar. Längere Laufzeiten bei Anleihen bzw. eine längere Duration als Absicherung gegen negative Szenarien und fallende Aktienmärkte erscheinen daher derzeit aus Gesamtportfolioperspektive sinnvoll.
Mehr Selektivität bei Unternehmensanleihen
Die Ablaufrenditen von Unternehmensanleihen sind derzeit attraktiv wie lange nicht mehr. So bieten Investment-Grade-Anleihen in Euro aktuell rund 4%, Hochzinsanleihen sogar rund 7%. Entscheidend für die Beurteilung, ob Unternehmensanleihen attraktiv bewertet sind oder nicht, ist jedoch nicht die Ablaufrendite allein, sondern vor allem die Credit Spreads, also die Risikoaufschläge, die Anleger für das zusätzliche Ausfallrisiko von Unternehmensanleihen erhalten. Bezogen auf die globalen Indizes für Unternehmensanleihen liegen die Spreads sowohl bei Investment-Grade-Titeln als auch im Hochzinssegment etwas tiefer als im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre.
Positiv zu bewerten ist dabei, dass vor allem im Investment-Grade-Segment die Bilanzen der Unternehmen gesund aussehen. Viele haben die Niedrigzinsphase vor über zwei Jahren genutzt, um sich längerfristig zu refinanzieren. Diese Unternehmen sollten daher genügend Zeit haben, um ihre Bilanzen auf ein künftiges Szenario mit längerfristig erhöhten Finanzierungskosten auszurichten. Die Ausfallraten sollten somit relativ überschaubar bleiben. Bei Hochzinspapieren könnte es dagegen vor allem ab 2025 für einige hoch verschuldete Unternehmen etwas turbulenter werden, denn dann beginnen die ersten großen Refinanzierungswellen.
Investoren sollten daher bei Unternehmensanleihen selektiv vorgehen und nach Einzeltiteln suchen, deren Spreads den Anleger selbst für möglicherweise steigende Ausfallrisiken im Falle einer weltweiten Rezession komfortabel entschädigen. Auch wenn der Markt insgesamt im Vergleich zur Historie etwas überbewertet erscheint, sind solche Anleihen durchaus noch zu finden. Anleihen zwischen Investment Grade und High Yield, also mit BBB- und BB-Rating, sind hier am interessantesten. Außerdem bevorzugen wir derzeit Emittenten aus defensiven Sektoren, die weniger stark vom Wirtschaftszyklus abhängig sind.
In diesem schnelllebigen Umfeld mit vielen Unsicherheiten ist außerdem entscheidend, flexibel zu bleiben und schnell auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren zu können. Ist das gegeben, dann dürften sich in den kommenden Jahren aus unserer Sicht für aktive Investoren durchaus attraktive Renditen am Anleihemarkt erzielen lassen.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Pixel-Shot – stock.adobe.com
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