Ein Artikel von Dr. Martin Pracher, selbstständiger Kunstsachverständiger und Dozent für Technische Kunstgeschichte und Präventive Konservierung sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schadenbewertung bei Gemälden und Skulpturen
Ein interessanter Streit beschäftigt derzeit die Museumswelt. Das Amsterdamer Rijksmuseum zeigt ab Februar 2023 eine Vermeer-Ausstellung. Über den berühmten Delfter Maler Jan Vermeer (1632–1675) ist wenig bekannt. Er starb relativ jung und hinterließ weniger als 50 überlieferte Gemälde.
Unter den Exponaten in Amsterdam ist das „Mädchen mit Flöte“, 1669/1675, Öl auf Holztafel, aus der National Gallery of Art, Washington. Das erst 1906 entdeckte Bild war bisher, trotz einiger Unsicherheiten, dem Meister selbst zugeschrieben. Nach intensiver Untersuchung in den letzten Jahren kamen nun die Washingtoner Kunsthistoriker, Restaurierungs- und Materialwissenschaftler zum Schluss, dass das „Mädchen mit Flöte“ lediglich von einem Künstler aus dem engsten Umfeld Vermeers gemalt worden sei. Spekuliert wurde über einen unbekannten Werkstattmitarbeiter und auch Vermeers älteste Tochter wurde in Betracht gezogen. Diese ist aber noch nicht als Malerin nachgewiesen worden. Die Argumentation aus Washington stützt sich unter anderem darauf, dass die Pigmente in der obersten Farbschicht vergleichsweise grob gemahlen seien. Bruchstücke von Pinselhaaren in der Farbe deuteten auf ungewöhnlichen Druck beim Malen oder auf schlechte Pinsel und einen ungelenken Duktus hin.
Ein echter Vermeer oder nicht?
Ob das Rijksmuseum Amsterdam der jüngsten Abschreibung folgt oder das Werk aufgrund eigener Erkenntnisse als eigenhändig ausstellt, ist noch unklar. Das „Mädchen mit Flöte“ ist ein authentisches Bild des 17. Jahrhunderts. Stilistisch Vermeer zuordenbar, mit passenden Materialien aus der Zeit, mit dem richtigen Alter und einer glaubwürdigen Provenienzgeschichte. Ist es aber ein „echter Vermeer“?
Eine zusätzliche Wendung im Fall wurde gerade von einem unabhängigen Londoner Kunstexperten proklamiert: Das Bild sei durch zwei intensive Reinigungen so stark verändert worden, dass die Echtheit ohnehin nicht mehr festzustellen sei.
Das wäre dann ein Verlust der Echtheit durch Verlust der Authentizität. Genau hier greift bei Versicherungsfragen das Konzept der „Wertminderung nach Restaurierung“. Egal wie gut eine Konservierung und Restaurierung nach einem Schaden ist, das Werk ist nicht mehr unversehrt. Diese Veränderung der Integrität eines Kunstwerks im Teilschadenfall wird dann monetär ausgeglichen.
Versicherungswert bei angezweifelter Echtheit?
Der Wert eines Kunstwerks wird also maßgeblich durch seine Echtheit geprägt. Wie verändert sich der Versicherungswert bei einer plötzlich unsicheren oder angezweifelten Echtheit? Wer ist haftbar, wenn sich das Millionenobjekt bei erneuter Untersuchung als Fälschung oder zumindest als falsche Zuschreibung herausstellt?
Besonders wenn es um hohe Werte geht, sollten alle verfügbaren Recherche-, Untersuchungs- und Analysemöglichkeiten ausgeschöpft werden. Es reicht oft nicht, sich auf eine Expertenmeinung oder Untersuchungsart zu verlassen. Im Sachverständigenwesen kommen bei Echtheitsfragen drei bzw. vier Disziplinen zum Einsatz:
- Stilkritik
- Materialanalyse
- Provenienzforschung
- Oft wird die Kunsttechnologie unterstützend hinzugezogen.
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