Adventszeit ist… Börsenzeit? Der erste Advent steht vor der Tür und damit auch eine Zeit an der Börse, die für gewöhnlich zu den besseren des Jahres zählt. Doch der Deutsche Aktienindex hat mit den Kurssteigerungen nach dem eher mauen Oktober bereits im gesamten November zugelegt. An Allerheiligen saß der Dax mit 14.923 Punkten noch unter der 15.000er-Marke. Am frühen Nachmittag des 30. Novembers, an dem dieser Artikel entsteht, liegt er dagegen nach kontinuierlichem Wachstum im Bereich zwischen stolzen 16.200 und 16.250 Punkten – etwa 300 Punkte entfernt von seinem Rekordwert, den er im Juli 2023 erreichte.
Und nicht nur in Deutschland geht es seit rund vier Wochen bergauf: Auch die New Yorker Indizes S&P 500 und Dow Jones verzeichnen seit Ende Oktober gehörige Anstiege, genauso der EURO STOXX 50 (mit ein paar Startschwierigkeiten am 07. und 10.11.). Ist das diese „Jahresendrallye“, von der alle sprechen? Was steckt dahinter? Und auch wenn der berühmte Blick in die Glaskugel am Kapitalmarkt keinem vergönnt ist: Geht es im Dezember so weiter oder ist das Gros des Pulvers bereits verfeuert?
Dezember: ein stärkerer Monat des Jahres
Sebastian Dörr, Kapitalmarktanalyst von HQ Trust, hat die Renditen aller Börsenjahre am S&P 500 seit 1872, stattliche 150 an der Zahl, untersucht. Dabei kommt er zunächst zu dem Schluss, dass der Dezember einer der besseren Monate des Jahres ist, denn im Schnitt legte der S&P 500 in den vergangenen 150 Jahren um rund 1,3% zu. Besser waren im Mittel nur Januar, April und Juli. Und auch die Hoffnung, dass der Markt dieses Jahr im Dezember weiter zulegt, kann Dörr befeuern, denn: „Je stärker die Performance in den ersten elf Monaten eines Börsenjahrs, desto besser fiel in der Tendenz auch der letzte Monat des Jahres aus“, so Dörr. Und um diese These noch weiter zu unterstreichen: „Nur in einem Fall endete der Dezember im Schnitt im Minus: Wenn die Aktienkurse von Januar bis November bereits Verluste von mehr als 6,7% eingefahren hatten.“
Im Mittel das beste Ergebnis erreichte der Dezember in Jahren, in denen die Performance in den ersten elf Monaten zwischen 14% und 23% lag. In diesen Dezembermonaten legte der S&P 500 im Schnitt um 2,4% zu – eine Bandbreite, in der er sich auch aktuell befinde, so Dörr. Der Analyst weist allerdings ebenso darauf hin, dass es sich dabei „natürlich trotzdem“ nicht um eine „Jahresendrallyegarantie“ handle. Denn auch hier gebe es eine Bandbreite: Im besten Fall, im Dezember 1991, gewann der Index über 11% hinzu, im Dezember 1899 verlor er allerdings auch mehr als 6%.
Ist die Jahresendrallye ein Mythos?
Doch einmal abseits der Zahlen: Inwiefern ist die Jahresendrallye nur eine selbst erfüllende Prophezeiung? Woher kommt das Phänomen überhaupt? Dieser Frage geht die Volkswirtin und Journalistin Christiane von Hardenberg in ihrer Kolumne für die „Zeit“ auf den Grund. Demnach hieß die Jahresendrallye ursprünglich „Santa Claus Rallye“, nach einer Studie von 1972, in der der US-Wissenschaftler Yale Hirsch die Kursbewegungen an den letzten fünf Handelstagen des Jahres und den ersten zwei Handelstagen des Folgejahres betrachtet hatte – und zwischen 1952 und 1972 hier in 17 von 20 Jahren eine positive Entwicklung wahrgenommen hatte.
Doch um etwas neuere Zahlen zu betrachten, zitiert von Hardenberg auch den Wirtschaftswissenschaftler Jayden Patel, der den S&P 500, den Dow Jones und den Nasdaq zwischen 2000 und 2021 näher beobachtete und in dieser Zeit keine Jahresendrallye feststellte. Dabei war es egal, ob diese Jahre im Ganzen oder getrennt – von 2000 bis 2009 und von 2010 bis 2021 – betrachtet wurden.
Die möglichen Gründe für eine Jahresendrallye, die von Hardenberg in ihrer Kolumne nennt, findet sie selbst zweifelhaft. Der „Tax-Harvesting-Effekt“, bei dem viele Investoren ihre Aktien verkaufen, um Gewinne bzw. Verluste auszugleichen und dadurch Steuern zu sparen, und wodurch die Kurse dann fallen, um anschließend stärker zu steigen, werfe eigentlich nur die Frage auf, warum die Kurse dann, so wie dieses Jahr, schon ab November nach oben gehen.
Und auch die Theorie, dass Arbeitnehmer ihre Boni in der Weihnachtszeit am Markt anlegen, erscheint ihr zweifelhaft. Denn Boni werden in verschiedenen Monaten ausgezahlt – mal abgesehen davon, dass die Anlage des Jahresbonus in Aktien ganz im Gegensatz zum Klischee des gemeinen, risikoaversen Deutschen steht. Vielleicht also, so Hardenberg, steckt auch einfach die Psychologie dahinter: „Weil alle an die Jahresendrallye glauben, kaufen alle Aktien.“
Kommt sie oder kommt sie nicht?
Die Zeit der Besinnlichkeit will genutzt sein – und die noch bevorstehende Rush Hour beim Weihnachtsgeschäft wird dazu wohl kaum einen Teil beitragen. Zur Beruhigung aber: Ob die Jahresendrallye als jährliches Phänomen wirklich existiert oder nicht und woher sie kommt, wird man wohl auch in diesem Jahr nicht herausfinden. Vielleicht aber ist das Christkind großzügig und beschert den Anlegern nicht nur unter dem Baum, sondern auch im Depot ein kleines Präsent. (mki)
Bild: © syhin_stas – stock.adobe.com
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