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10. Mai 2024
Gibt es eine Zeitenwende in der Weltwirtschaft?

Gibt es eine Zeitenwende in der Weltwirtschaft?

Am Mittwoch, den 08.05.2024, stand wieder die „Amundi Investment Konferenz“ ins Haus. Geblickt wurde dieses Mal sehr global: Auf die EZB, die Fed, die Inflationsentwicklung, allen voran aber die aktuellen geopolitischen Verhältnisse. Ein Experte sieht eine weitere „Zeitenwende“ kommen.

Je mehr Zeit vergeht und je mehr sich die Welt verändert, umso mehr könnte man den Eindruck gewinnen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Rede zur Zeitenwende, unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Kriegs, Recht gehabt haben könnte – bei aller Kritik, die er als Person des öffentlichen Lebens, sei sie verdient oder unverdient, einstecken muss. Denn mehr und mehr taucht der Begriff „Zeitenwende“ nicht nur auf nationaler und europaweiter Ebene auf (finanzpolitisch auch in der Variante „Zinswende“), sondern auch global sieht das Feld zunehmend anders aus. Und das könnte großen Einfluss auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Faktoren haben.

U. a. war die „Zeitenwende in der Weltwirtschaft“ Thema der „Amundi Investment Konferenz“, die alle paar Monate stattfindet. Am vergangenen Mittwoch war es wieder soweit. Moderiert wurde die Sendung wie gewohnt von ntv-Börsenexpertin Sabrina Marggraf. Im Fokus diesmal: die Zinsen (natürlich) und die Inflation, die aktuelle Marktlage, vor allem aber die derzeitigen globalen geopolitischen Fragen.

Was machen die Notenbanken?

Mittlerweile sind sich die meisten Experten sicher: Die erste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt im Juni, also bei der nächsten Sitzung. So sieht es auch Amundi-Chefanlagestratege Thomas Kruse. Für den Rest des Jahres erwartet er drei weitere Schritte nach unten.

Doch wie sieht es mit der Inflation aus? Hier sieht vor allem Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Deutschland, aktuell mehr Druck und erwartet daher eine eher zurückhaltende Politik von Fed und EZB. Ende des Jahres rechnet Brzeski in der Eurozone mit einer Teuerungsrate von 2,5 bis 3%. Den Inflationsdruck sieht er vor allem auf geopolitischer Ebene, u. a. aus den USA mit der potenziellen Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Diese könne die EZB zu einer weiteren geldpolitischen Wende zwingen und auch zu Spekulationen, über etwaige Handelskriege oder aber die Mitgliedschaft der USA in der NATO, führen. Sollte Trump wiedergewählt werden und seine Wirtschaftspolitik für ein schwaches Wachstum in Europa sorgen, werde die EZB umdenken und die Zinsen stärker senken, um das Wirtschaftswachstum zu unterstützen, so Brzeski.

Dem entgegenwirken könnte der Export der Disinflation aus China, wo aktuell eine schwächelnde Wirtschaft vorherrscht. Doch das würde, findet Brzeski, nicht reichen, um den Inflationsdruck, der bspw. von Lohnsteigerungen durch den demografischen Wandel oder gestiegene Kosten durch den Umbau von Lieferketten ausgelöst wird, auszugleichen.

Zeitenwende…

Als hochkarätigen Gast aus der Wirtschaftsforschung hatte Amundi Moritz Schularick, den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, eingeladen. Sein 30-minütiger Vortrag beschäftigte sich mit der „Weltwirtschaft von morgen“ und der Frage, ob es derzeit auch in der Weltwirtschaft eine Zeitenwende gibt – und die Devise „Wandel durch Handel“ noch aktuell ist.

Grundsätzlich habe die Globalisierung ihr ökonomisches Versprechen erfüllt, denn viele Menschen seien aus der Armut gehoben worden, die Welt insgesamt sei reicher geworden. Tatsache sei aber: Die Welt ist kein stabilerer, sichererer Ort. Durch das „Globalisierungsparadigma“ seien wir verletzlich, denn es seien viele Abhängigkeiten entstanden. Jetzt jedoch bewege sich die Welt von einem regelbasierten System hin zu einem System, in dem politische Entscheidungen das Ausmaß der wirtschaftlichen Öffnung und die Handelsströme bestimmen. Die Marktintegration werde bei der Entscheidungsfindung nun geopolitischen Zielen untergeordnet und ökonomische Werkzeuge werden vermehrt für diese Ziele eingesetzt. Machtfragen werden immer prominenter, es herrsche vermehrt wieder das Recht des Stärkeren. Der „Geoökonomische Giftschrank“ komme in solchen Situationen zum Einsatz, der bspw. die Versicherung der Versorgung mit Schlüsselrohstoffen beinhalte, oder den Erwerb und Erhalt absoluter technologischer Vorteile.

Was wäre, wenn…?

Schularick ging auch auf die potenziellen Auswirkungen ein, die eine wirtschaftliche Trennung von China für Deutschland nach sich ziehen könnte. Angenommen, Deutschland müsste sich über Nacht von China trennen, würde man einen kurzfristigen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 5% bis 7% verspüren. Dies wäre ein harscher Wirtschaftseinbruch verglichen mit dem in der Finanzkrise oder der Coronapandemie – aber auch kein zweistelliger Verlust. Deutschland wäre zwar in Europa am stärksten betroffen, wäre allerdings „in einer zweiten Runde“ auch Profiteur, da Deutschland einen komparativen Vorteil bei der Herstellung von diversen Kapitalgütern habe.

Problematisch sei für Schularick auch die Tatsache, dass die deutsche und europäische Politik darauf beruhe, dass die USA unsere Rückversicherung sei. Doch in einem Land, in dem man sich gerne gegen alles Mögliche versichere, halte er dies für eine recht riskante Strategie. So langsam verstehe man in Berlin allerdings, dass man dauerhaft sehr viel mehr für Investitionen in „unsere Sicherheit“ ausgeben müssen.

In Deutschland sei man bei der Politik drei Wetten eingegangen: günstige russische Energie, die Globalisierung und chinesisches Wachstum als Exportmotor sowie die amerikanische Sicherheitsgarantie und die Dauerhaftigkeit der Friedensdividende. Doch aus diesen drei Wetten seien mehrere hausgemachte Herausforderungen entstanden: der Rückstand bei der Digitalisierung und der öffentlichen Infrastruktur, die abnehmende Innovations- und Risikobereitschaft, eine Strukturkrise bei der Autoindustrie oder die Wachstumsbremse am Wohnungsmarkt. (mki)

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