Herr Thelen, Sie sind einer der bekanntesten Tech-Investoren in Deutschland. Was hält der Tech-Investor von Kryptowährungen?
Um den Wert von Kryptowährungen einschätzen zu können, muss man zunächst die Technologie verstehen, auf der sie beruhen. Die Blockchain oder genauer Distributed Ledger Technology ermöglicht es uns, sicher und ohne zentrale Instanz oder Mittelsmänner Assets zu verwalten und Transaktionen durchzuführen. In meinen Augen bietet das eine große Chance im Bereich Wertanlage. Daher habe ich sehr früh in Ether investiert. Hier entsteht eine aktive Plattform mit sogenannten Smart Contracts, auf der andere ihre Software aufbauen.
Lange Zeit war ich jedoch Bitcoin gegenüber skeptisch, da sie, anders als eine aktive Plattform, keinen echten Wert verkörpern, solange sie nicht als Wertespeicher akzeptiert werden. Dies scheint nun der Fall zu sein, die ersten Unternehmen haben bereits einen Teil ihres frei verfügbaren Kapitals ihres Balance Sheets in Bitcoin übertragen. In meinen Augen ein kluger Schritt – Bitcoin ist, ähnlich wie Gold, begrenzt und eignet sich somit sehr gut als Wertespeicher. Auch ich habe meine Position in Kryptowährungen inzwischen ausgebaut. Wer in Bitcoin und Co. investieren will, sollte sich dennoch über die Risiken und zu erwartenden Kursschwankungen im Klaren sein.
Wie blicken Sie auf die Rallye bei den Aktien der Tech-Riesen wie Amazon, Facebook, Tesla & Co?
Aktuell befinden wir uns ja wieder in einer Korrektur, dennoch glaube ich langfristig an den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit dieser Unternehmen und habe deshalb meine Positionen in den letzten Tagen auch nochmal ausgebaut. Tesla wird volatil bleiben und ist deshalb nicht geeignet für Anleger mit kurzem Investmenthorizont, wird meiner Einschätzung nach aber langfristig weiter steigen. Amazon und Facebook passen nicht in meine persönliche Anlagestrategie, da ich nur noch Aktien halte, bei denen ich erwarte, meinen Einsatz in den kommenden zehn Jahren mindestens verdoppeln zu können. Das geht natürlich auch mit einem höheren Risiko einher, und jeder sollte für sich selbst entscheiden, welche Anlagestrategie er verfolgen kann und will. Ich investiere in Tech-Aktien, nicht weil ich die nächste Rallye mitnehmen will, sondern weil ich wirklich langfristig an den Erfolg und die Innovationskraft dieser Unternehmen glaube.
Werden solche Riesen aber nicht automatisch irgendwann zu träge?
Oft ist das leider so, aber ich denke, dass die aktuelle Gründergeneration in den USA das sogenannte Innovators-Dilemma und das damit verbundene Risiko, jederzeit von einem innovativen Start-up disruptiert werden zu können, sehr gut verinnerlicht hat. Amazon, Alphabet, Tesla und Co. setzen alles auf neue Technologien, investieren ihre Gewinne in Forschung und Entwicklung, anstatt eine Dividende an ihre Aktionäre auszuzahlen, und denken und handeln langfristig und nicht wie viele deutsche Unternehmen anhand von Quartalszahlen. Dieses Mindset sollten dringend auch unsere deutschen Vorstände entwickeln, wenn sie unsere Unternehmen zukunftsfähig machen wollen.
Wie wichtig sind Unternehmer- und Führungspersönlichkeiten wie etwa Jeff Bezos, Steve Jobs oder auch Elon Musk für den Erfolg solcher Unternehmen?
In meinen Augen sind solche Unternehmerpersönlichkeiten essenziell für wirkliche Innovationen. Innovationen entstehen nicht in der Komfortzone oder auf vorgeschriebenen Wegen und es braucht mutige und entschlossene Gründerpersönlichkeiten, die ihre Visionen auch dann umsetzen, wenn sonst niemand daran glaubt. Steve Jobs, Jeff Bezos und Elon Musk waren und sind solche Persönlichkeiten. Ich hoffe, dass wir in Deutschland bald auch mehr von dieser 10xDNA und diesem Gründergeist sehen.
Welches Potenzial bieten disruptive Technologien generell für Investoren?
Wir stehen kurz vor der zweiten Welle an disruptiven Technologien. Die erste Welle hat mit der Entwicklung von Mikrochips, dem Internet, Smartphones und der Cloud die aktuell wertvollsten Unternehmen der Welt entstehen lassen: Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft und Co. Die Technologien, die als Nächstes Marktreife erreichen – künstliche Intelligenz, 3D-Druck, Blockchain, 5G, Roboter, Edge-Computing, synthetische Biologie und Grüne-Energie-Technologien bringen eine noch größere Disruptionskraft mit sich und werden nicht nur bestehende Märkte umwälzen, sondern auch komplett neue Märkte entstehen lassen. Ein gutes Beispiel ist der gerade entstehende Markt für Urban Air Mobility, der Schätzungen zufolge bis 2030 auf 7,9 Mrd. Dollar wachsen könnte.
Sehen Sie auch in der Finanz- und Versicherungswelt spannende disruptive Geschäftsmodelle?
Auch die Finanz- und Versicherungswelt steht vorm Wandel, denn durch Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz und Blockchain werden sich auch hier neue Möglichkeiten auftun. Kryptowährungen als Wertspeicher, Smart Contracts auf der Blockchain als Form von Asset-Management und KI-Algorithmen, die speziell für die Auswertung in der Versicherungsbranche trainiert sind, zählen hier für mich aktuell zu den spannendsten Möglichkeiten.
Was halten Sie von Neobrokern wie Trade Republic oder Robinhood?
Ich finde es gut, dass es nun auch Anbieter gibt, die sich an kleinere Anleger richten. In meinen Augen sollte jeder von uns ein Depot haben, der am Ende des Monats mindestens 50 Euro übrig hat. Fakt ist, dass unser Geld auf der Bank allein durch die Inflation bedingt an Wert verliert. Um nicht immer weiter in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu laufen, müssen wir die Vorteile und Chancen der Geldanlage also allen ermöglichen. Hierbei muss man sich den Broker aber genau anschauen, Robinhood würde ich zum Beispiel aufgrund der Intransparenz nicht empfehlen.
Die Neobroker spielten auch beim spektakulären GameStop-Zock eine wichtige Rolle. Wie haben Sie diesen verfolgt?
Mit der zunehmenden Anzahl an Retail-Investoren und durch die zentrale Rolle von Social Media werden natürlich auch immer mal wieder unvorhergesehene Ereignisse am Markt passieren, was im Fall von GameStop für einige Hedgefonds fatale Folgen hatte. Ich finde das Konzept von Shortsellern nicht gut und habe das Geschehen daher interessiert verfolgt – allerdings von der Seitenlinie, denn diese kurzfristigen Hypes passen nicht zu meiner Anlagestrategie.
Was halten Sie generell davon, dass sich junge Leute plötzlich online zusammenschließen, um mit Aktien zu handeln?
Ich finde es grundsätzlich erst mal gut, dass junge Leute sich mit dem Thema Geldanlage beschäftigen und so hoffentlich etwas für ihre Altersvorsorge tun. Aber die Idee sollte natürlich nicht sein, den Kurs durch Internet-Hypes oder Aufrufe beeinflussen zu wollen. Stattdessen sollten wir eine bessere Aufklärung schaffen, damit jeder mit Substanz und Geduld in die Unternehmen investiert, an die er oder sie langfristig glaubt.
Braucht es für diesen Bereich eine stärkere Finanzaufsicht?
Es braucht keine stärkere, sondern eine klügere Finanzaufsicht. Es sollte nur das reguliert werden, was wirklich nötig ist. Obwohl ich kein Freund von Shortselling bin, finde ich, dass es weiterhin erlaubt sein sollte. Der Markt regelt das in fast allen Fällen fair. Was wir brauchen, ist mehr Bildung und volle Transparenz. Wie verdient zum Beispiel ein Robinhood? Das sollte reguliert werden.
Bei der Höhle der Löwen haben Sie eine überraschende Liebe zu Food-Unternehmen entwickelt. Ist die auch auf den Aktienanleger Frank Thelen übergeschwappt?
Nein, bei meinem Aktiendepot konzentriere ich mich auf Technologie-Aktien, die das Potenzial haben, ihren Wert innerhalb von fünf bis sieben Jahren zu verzehnfachen. Diese exponenzielle Entwicklung durch technologische Vorteile gibt es sehr selten im Food-Bereich. (mh)
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2021, Seite 56 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Goodvibes Photo – stock.adobe.com
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