Von Thomas Grüner, Gründer und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments
Mit der Verbreitung von Impfstoffen in den Industrieländern – und ungeachtet der Ausbrüche der Delta-Variante – scheint die Covid-19-Pandemie endgültig auf dem Rückzug zu sein. Dies veranlasst viele Analysten und Beobachter zu der Spekulation, dass Aktien, die von einer wirtschaftlichen „Wiedereröffnung“ profitieren – wie Reise-, Freizeit- und Value-Titel, die stark vom Wirtschaftsumfeld beeinflusst werden –, die Märkte gegenüber großen, wachstumsorientierten Unternehmen anführen werden. Zu Beginn dieses Jahres waren sie auch eine Zeit lang führend. Die Rotation von Wachstums- zu Substanzwerten zu Beginn des Jahres sieht aber eher wie ein kurzer Gegentrend aus.
Der elfjährige globale Bullenmarkt, der nach der Finanzkrise 2008 entstand und der längste in der Geschichte war, endete im letzten Frühjahr unter höchst ungewöhnlichen Umständen. Als die Regierungen weltweit die Wirtschaft runterfuhren, preisten die Aktienmärkte den kommenden, plötzlichen wirtschaftlichen Abschwung mit dem schnellsten Kursabsturz der Geschichte ein (ein Rückgang von mehr als 20%) und markierten den Beginn eines Bärenmarkts. Normalerweise beginnen Bärenmärkte allmählich und beschleunigen sich erst nach Monaten des langsamen Rückgangs. Der Abschwung im letzten Jahr hingegen kam plötzlich – und war nach etwa einem Monat vorbei. Angesichts dessen wirkt die Entwicklung weniger wie ein traditioneller Bärenmarkt, sondern vielmehr wie eine überdimensionale Korrektur des Bullenmarktes. Und es ist nicht allein die Geschwindigkeit des Abschwungs, die darauf hindeutet.
Keine klassische Rezession
Institutionelle Schließungen und Restriktionen führten zu einer globalen Kontraktion. Aber auch dies war keine Rezession im klassischen Sinne, sondern eine konstruierte Kontraktion. Die Märkte erfassten diese Information schnell und die traditionelle Marktrotation, die man in rezessiven Umgebungen und Bärenmärkten sieht, fand nicht statt.
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