Ein Artikel von Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG
Welche Daten sind im nächsten Börsenjahr bestimmend und was heißt das für die Anlageklassen?
Wenn dich der deutsche Standort nicht liebt, wie gut, dass es noch andere gibt
Die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland ist getrübt. Tatsächlich sind ideologische „Wirtschaftsexperimente“ kaum geeignet, die massiven Strukturdefizite und Verunsicherung bei Unternehmen und Konsumenten zu beheben.
Doch für Aktienkurse positiv, findet eine zunehmende Verlagerung deutscher und europäischer Unternehmen in Standorte wie Amerika und Asien statt, die massiv in zukünftiges Wachstum investieren. So machen sie sich unabhängiger von den heimischen Niederungen und laben sich an den weltwirtschaftlichen Perspektiven.
Geldpolitik: Die Wende der Zinswende
In den USA und der Eurozone sind 2024 Inflationsraten von 2% möglich. Nach einem Verweilen auf dem aktuellen Zinsplateau rechnen die Finanzmärkte ab Frühjahr jeweils mit drei Zinssenkungen. Da wir uns also auf dem Zinsgipfel mit anschließendem Abstieg befinden, sind Anlagen in möglichst lang laufende Staats- und Unternehmensanleihen zu empfehlen, um vom Kurshebel zu profitieren. Festgelder sind aber mit Vorsicht zu genießen: Mit den Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank werden auch die Anlagezinsen fallen.
Grundsätzlich gilt: Wenn Zinsen der natürliche Feind der Aktien sind, haben Letztgenannte 2024 wenig zu befürchten.
Rohstoffe: Für und Wider
Öl hat um die 80 US-Dollar je Barrel eine Unterstützung. Doch ist aufgrund der Revitalisierung von Fracking, Kernkraft und Kohle sowie dem Ausbau von alternativen Energien auch nicht mit Notierungen in Richtung 100-US-Dollar-Marke oder darüber zu rechnen. Längerfristig spricht das Megathema Klimaschutz für höhere Metallnachfrage. Mit der Zinsentspannung in Amerika und daher Dollar-Beruhigung ist ein Goldpreis deutlich über 2.000 US-Dollar je Unze zu erwarten.
Aktienmärkte: Die Wiederentdeckung Europas
US-Aktien bleiben zwar der Anlageklassiker. Doch sprechen eine weiche US-Konjunkturlandung sowie eine Wirtschaftsstabilisierung in China deutlich für europäische Export- und Industriewerte auch aus der zweiten Reihe. Nicht zuletzt wird 2024 wieder ein gutes Dividendenjahr.
Ein politisches Risiko für Europa ist allerdings die US-Präsidentschaftswahl Ende 2024, bei der nach Umfragen ein Republikaner in das Weiße Haus einziehen könnte. In Japan bleibt die freizügige Bank of Japan der beste Freund des Aktienmarkts.
Schwellenländer: Wieder einen Blick wert
Aufgrund der Zinsentspannung der Fed werten die Währungen der Schwellenländer auf, was die Kapitalflucht in die USA bremst und den Schuldendienst für Dollar-Kredite senkt. Insbesondere profitieren zyklische oder techlastige Märkte in Südkorea, Taiwan oder Indien. Von der Verschiebung der US-Produktion aus China profitieren Mexiko und Brasilien. Zu einem echten Aktien-Durchbruch in China kommt es erst, wenn mehr Marktwirtschaft betrieben wird.
Branchenbetrachtung: Die Wiedergeburt der Substanzwerte
Tech-Aktien auch aus der zweiten Reihe bleiben wegen der Zinsberuhigung und angesichts der Digitalisierung und KI aussichtsreich.
Über die Reflation der Weltkonjunktur stehen aber auch zyklische europäische Konjunkturwerte im Fokus, die teilweise dramatisch unterbewertet sind.
Kryptos: Sie gehören mittlerweile zur Anlage-Familie, sind aber spekulativ
Mit den Zinssenkungsfantasien und der Vielzahl an Anträgen auf Bitcoin- und Ethereum-ETFs kommt es zu weiterem Tauwetter im „Krypto-Winter“. Doch aufgrund der im Vergleich z. B. mit Aktien erschwerten Einschätzung sind Kryptos nicht als klassisches Investment zu betrachten.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Baader Bank
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