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12. August 2024
„Wir brauchen auch bei Gesundheit und Pflege eine Zeitenwende“

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„Wir brauchen auch bei Gesundheit und Pflege eine Zeitenwende“

Rund 90% der Deutschen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. DAK-Chef Andreas Storm warnt vor Milliardenlöchern in der Finanzierung, die für Versicherte in einem „Beitragstsunami“ enden könnten. Wie es um die Zukunft der GKV steht und wie Makler von der GKV-Vermittlung profitieren können, darüber spricht er mit AssCompact.

Interview mit Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender DAK-Gesundheit
Herr Storm, die DAK-Gesundheit hat im Juni ihr 250-jähriges Bestehen gefeiert. Im Sinne einer Bestandsaufnahme – wo sehen Sie die größten Chancen und Herausforderungen für Ihre Krankenkasse und die GKV insgesamt?

Die DAK-Gesundheit steht mit ihrer langen Geschichte dafür, dass das System der selbst verwalteten Krankenversicherung einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Sicherung darstellt. Wir haben in 250 Jahren Kriege, Katastrophen und Krisen überstanden. Das ist eine gute Basis für aktuelle Herausforderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch wenn die DAK-Gesundheit in diesem Jahr ihren Beitragssatz stabil halten konnte und ihn auch nicht unterjährig erhöht, stehen wir in der GKV vor der größten Finanzkrise seit Jahrzehnten. Sowohl die gesetzliche Krankenversicherung als auch die soziale Pflegeversicherung sind dramatisch unterfinanziert. Die Probleme sind so groß, dass wird grundsätzliche Änderungen benötigen. Deshalb brauchen wir wie in der Sicherheitspolitik auch bei Gesundheit und Pflege eine Zeitenwende.

Was ist in den vergangenen Jahren konkret schiefgelaufen?

Es ist völlig inakzeptabel, dass die GKV aus dem Bundeshaushalt keine ausreichenden Steuermittel für die Leistungen an die Bürgergeldempfangenen erhält. Die GKV ist hier mit 9,2 Mrd. Euro unterfinanziert.

2025 kommen wieder Beitragserhöhungen auf die Versicherten zu – die Rede war von bis zu 0,6 Prozentpunkten. Ist das künftig jährlich der Fall?

Schon jetzt heben mehrere Krankenkassen ihre Beitragssätze unterjährig zum 01.07. oder 01.08. deutlich an. Die finanziellen Rücklagen der Kassen schmelzen wie das Eis in der Sonne. Die Politik handelt nicht und verweist auf die Schuldenbremse. Steigen die Kassenbeiträge im nächsten Jahr um mindestens 0,6 Prozentpunkte an, dann beträgt die Steigerung einen vollen Beitragspunkt innerhalb von vier Jahren – der historisch höchste GKV-Beitragsanstieg in einer Wahlperiode. Wenn die Bundesregierung dies weiter ignoriert, steht uns in den nächsten beiden Jahren in der Tat ein Beitragstsunami bevor.

Wie kann die Entwicklung gestoppt werden? Bisher scheint es keine konkreten Pläne zu geben, wie die Krankenkassen in Zukunft entlastet werden sollen.

Laut IGES-Gutachten für die DAK-Gesundheit könnte bis 2035 der Gesamtbeitrag der Sozialversicherung um 7,5 Beitragspunkte auf 48,6% ansteigen. Damit ist die 40%-Marke als Obergrenze definitiv nicht zu halten. Wir müssen vielmehr einen Anstieg in Richtung 50% verhindern, der Versicherte und Arbeitgeber überfordern würde.

Ich schlage einen zweistufigen GKV-Stabilitätspakt vor. Die Unterfinanzierung der GKV muss endlich beendet werden. Der Bund muss den Kassen die ihnen zustehenden Ausgaben für Bürgergeldempfänger in Höhe von 9,2 Mrd. Euro erstatten. Ferner muss der Bundeszuschuss für die GKV dynamisiert und jährlich angepasst werden. Beide Forderungen stehen im Koalitionsvertrag und könnten den Beitragssatzanstieg langfristig um 0,6 Prozentpunkte reduzieren.

Zudem schlage ich vor, dass sich die Ausgabendynamik in der GKV an der durchschnittlichen Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen orientieren muss. Darüber hinaus ist es völlig abwegig, dass die gesetzlichen Krankenkassen jährlich 2,5 Mrd. Euro zur Finanzierung des Transformationsfonds bei der Krankenhausreform bezahlen sollen. Durch eine dynamische Ausgabendeckelung und den Verzicht auf die Mitfinanzierung des Transformationsfonds könnte der Beitragsanstieg bis 2035 um gut zwei Beitragspunkte reduziert werden.

Wo befindet sich das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich? Sowohl im finanziellen als auch im qualitativen Sinne. Wo kann Deutschland besser werden?

Es wird diskutiert, dass das deutsche Gesundheitssystem zwar ziemlich teuer, aber nicht effizient genug ist. Das wird auch an Indikatoren wie der Lebenserwartung festgemacht, bei der wir im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich zurückgefallen sind. Aber wir dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: In Deutschland leben prozentual viel mehr ältere Menschen. Dadurch haben wir automatisch höhere Gesundheitskosten. Vergleicht man die Systeme altersbereinigt, stehen wir bei den Kosten besser da. Trotzdem müssen wir auch an der Effizienz und der Qualität unserer Medizin arbeiten, was ein Ziel der Krankenhausreform ist.

 
Ein Interview mit
Andreas Storm

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Norbert Heuser… am 13. August 2024 - 10:48

Warum wird Hr. Storm bei der Aussage, die hälftige Finanzierung der Krankenhausreform über die GKV ohne Beteiligung der PKV sei ein sozialpolitischer Skandal, nicht umgehend seitens des Interviewers damit konfrontiert, das PKV-Versicherte aber auch seit Jahrzehnten mit Ihren Steuergeldern die GKV quersubventionieren, ohne hierfür an einer Gegenleistung zu partizipieren! Niemand bezeichnet dies als sozialpolitische Skandal. 

Stattdessen werden PKV-Versicherte gerne als Rosinen-Picker bezeichnet, die sich der Solidargemeinschaft entziehen. Dabei ist der Steuermittelzufluss der gutverdienenden und damit hoch besteuerten PKV-Versicherten eben genau deren Solidarbeitrag zur GKV! Und um nicht missverstanden zu werden: Ich halte diese Form des Solidarbeitrags für richtig und sinnvoll; hingegen der gebetsmühlenartig vorgetragene Vorwurf, man entzöge sich der Solidargemeinschaft, ist der eigentliche sozialpolitische Skandal. 

Und wollte man aufrechnen, dann stellt es sich doch vielmehr so dar: Gegenüber dem jahrzehntelangen steuerbasierten Quersubventions-Anteil der PKV-Versicherten in die GKV dürften die Kosten der Krankenhausreform eher übersichtlich sein.

Wo also ist der journalistische Anspruch, insbesondere seitens eines Fachmagazins, hier einmal in aller Deutlichkeit den Finger in die Wunde zu legen und der Polemik eines vermeintlichen Lobbyisten - so der Eindruck, wenn man ihn zuvor über die Krisenfestigkeit einer 250jährigen DAK-Historie fabulieren hört - Einhalt zu gebieten? Hier interviewt doch nicht ein drittklassiger Focus-Redakteur, sondern ein Journalist, der fachlich im Thema sein sollte, oder?