Eines Ihrer Ziele ist, den Anteil an Kolleginnen über alle Hierarchieebenen hinweg zu erhöhen. Wie wollen Sie das erreichen? Können Quoten helfen?
JD Unser langfristiges Ziel ist, dass Netzwerke wie fidi zukünftig nicht mehr gebraucht werden. Doch bis dahin ist es ein langer und steiniger Weg. Quoten können eine Option zur Zielerreichung sein. Ich denke allerdings, dass diese in der Industrieversicherung weniger erforderlich sind, wenn stattdessen ein Umdenken stattfindet. Es geht doch um Unternehmensziele, die erreicht werden und nicht aus den Augen verloren werden sollen. Im Fokus steht, dass die Tätigkeit, die ausgeführt werden soll, zu der Person, die sie ausführt, passt – und umgekehrt. Demnach sollte die Unternehmensführung gezielt nach diesem Puzzlestück suchen. Und hier bedarf es eines kulturellen Wandels: beginnend mit einem intrinsischen Bewusstsein, im Vorfeld die Arbeitnehmerinnen zu motivieren sowie diese individuell aus- und weiterzubilden. Zudem zählen hierzu Programme wie Talentförderung, Mentoring, Coaching sowie Netzwerkarbeit bis hin zu Prozessen in der Personalauswahl, die Frauen ermutigen, sich auf einen Job auf höheren Hierarchieebenen zu bewerben. Noch mal: Quoten sind eine Option, wenn alles andere nicht funktioniert. Aber sie sind nicht der alleinige Ansatz – und erst recht keine Lösung auf Dauer.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland meist schlecht da, wenn es um Diversität im Management geht. Aber gibt es auch etwas, was in der deutschen Versicherungs- und Finanzbranche die Diversität betreffend schon gut läuft?
AB In der Tat: der Wille aller Beteiligten, etwas zu verändern, ist außergewöhnlich. Wir erhalten viel Zuspruch und Unterstützung auf freiwilliger Basis von allen Marktteilnehmern, die über die ureigenen Unternehmensinteressen hinausgehen – das ist einzigartig in Europa. Gemeinsam versuchen wir, Hebel zu finden, um nachvollziehbare Erfolge zu verzeichnen und Veränderung voranzutreiben. Dies geschieht nicht über Nacht. Aber jeder Schritt in diese Richtung ist ein guter und richtiger.
Wo sehen Sie denn die Vorteile von diversen und inklusiven Teams in der Arbeitswelt?
DP Es ist mittlerweile erwiesen, dass diverse und inklusive Teams erfolgreicher sind. Darüber sollte heutzutage gar nicht mehr diskutiert werden müssen. Kein Mensch muss sich verbiegen, um „reinzupassen“. Wenn das „So wie ich bin“-Sein akzeptiert und geschätzt wird, kann jeder Mensch sich frei entfalten. Vielfältige Hintergründe O und unterschiedliche Erfahrungsschätze bereichern das Arbeiten an Problemlösungen oder die Neugestaltung von Prozessen und Strukturen. Das öffnet den Blick für neue Wege.
Gibt es große Unterschiede zwischen der Situation bei Versicherern und Maklerunternehmen?
ST Im Großen und Ganzen habe ich nicht den Eindruck, dass es signifikante Unterschiede zwischen Versicherern und Maklern gibt. Ich denke, es hängt im Wesentlichen von den handelnden Personen ab, die in den jeweiligen Unternehmen Inklusion und Diversität vorantreiben. Diversity Management gelingt, wenn es vom Top-Management (vor)gelebt wird. fidi kann über die große Zahl an engagierten Mitgliedern sicher dabei unterstützen, die entsprechenden Themen kontinuierlich in die Unternehmen zu tragen und diese dadurch zum Umdenken und Handeln zu bewegen.
Sehen Sie auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Fachkräftemangel und zu geringer Frauenförderung?
DP Ja, das sehe ich. Wir haben hervorragend ausgebildete Frauen, die sich oft immer noch zwischen Familie oder Karriere entscheiden müssen. Auch wenn dies in erster Linie ein gesellschaftliches Thema ist, kann jeder und jede Einzelne etwas dagegen tun. Wir wollen Wege aufzeigen, wie Führung in Teilzeit möglich ist, und diese anhand von Beispielen belegen. Wir möchten Frauen stärken, sich in ihren Unternehmen für derartige Regelungen einzusetzen, sowie Unternehmen motivieren, offen für solche Lösungsvorschläge zu sein. Die „Das haben wir immer so gemacht“-Mentalität hat spätestens seit der Pandemie in der Arbeitswelt ausgedient. Wir hoffen, dass dies zudem die Attraktivität des Berufszweigs erhöhen wird.
Laut Destatis waren im Jahr 2022 56,8% Frauen in der sogenannten Stillen Reserve, also Personen ohne Arbeit, die zwar kurzfristig nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar sind oder momentan nicht aktiv nach Arbeit suchen, sich aber trotzdem Arbeit wünschen. Gehen wir mal davon aus, dass darunter auch Frauen sind, die Beruf und Familie nur schwer vereinbaren können. Sehen Sie hier Potenzial für Unternehmen?
JD Selbstverständlich. Das sind genau die Aspekte, mit denen wir uns bei fidi intensiv beschäftigen. Der Wunsch muss natürlich da sein. Vielleicht muss dieser aber auch erst geweckt werden, weil über viele Jahrzehnte das Bild entstanden ist, es sei ein „Frauenproblem“, Beruf und Familie zu vereinbaren. Manchmal frage ich mich, warum Frauen um Gleichberechtigung kämpfen müssen und nicht die Männer. Wird ihren Aufgaben weniger Wert zugestanden als den Aufgaben des Mannes? Dieses Bild hat nachhaltig zu einem akzeptierten Ungleichgewicht geführt und damit zu jenen Ungleichheiten, die uns heute dazu bewegen, sich für echte Gleichberechtigung zu engagieren. Es ist an der Zeit, veraltete Denkmuster aufzubrechen und Lösungen zu erarbeiten, die für beide Geschlechter förderlich sind. Zum Beispiel haben größere Unternehmen häufig die Möglichkeit, eine betriebliche Kinderbetreuung oder ein Eltern-Kind-Zimmer einzurichten. Für Elternteile, die nach einer Auszeit in den Büroalltag zurückkehren, bieten sich Mentoring oder speziell auf sie zugeschnittene Schulungsangebote und Karrierepläne mit flexiblen Arbeitszeitmodellen an. Sofern Frauen an Führungspositionen interessiert sind, sollten ihnen Wege und Möglichkeiten offenstehen – auch wenn sie nicht in Vollzeit arbeiten.
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