Herr Dr. Bader, welche Punkte kritisieren die Aktuare am Entwurf zum sogenannten LVRG II?
Als Deutsche Aktuarvereinigung sehen wir vor allem in zwei Bereichen Handlungsbedarf: Das betrifft zum einen den Höchstrechnungszins und zum anderen den vorgesehenen Provisionsdeckel.
Lassen Sie mich mit dem Höchstrechnungszins beginnen: Die Deutschen haben ein nachgewiesen großes Bedürfnis nach Planungssicherheit, sodass Garantien in den Lebensversicherungsprodukten weiterhin von hoher Bedeutung sind. Zum Schutz der Verbraucher setzen sich die Aktuare seit jeher für den Erhalt des Höchstrechnungszinses ein. Er ist ein bewährtes System der vorsichtigen Reservierung und damit ein wichtiger Baustein im Sinne einer langfristig gesicherten Altersvorsorge. Von daher ist es sehr zu begrüßen, dass der Höchstrechnungszins weiterhin erhalten bleiben soll. Er muss aber reformiert werden und sollte sich künftig am historisch beobachteten Zinsniveau und der aktuellen Erwartung an zukünftig erzielbare Renditen genauso orientieren wie am derzeit beobachtbaren Kapitalanlageverhalten der Branche. Er sollte also stärker als bisher einen prinzipienbasierten Rahmen bekommen. Zudem sind derzeit keine Vorlaufzeiten für die Festlegung eines neuen Höchstrechnungszinses vorgesehen. Dies sollte präzisiert werden, denn wir Aktuare brauchen ausreichend Vorlaufzeit für die erforderliche Neukalkulation der Tarife und die notwendige Umsetzung in der Technik. Explizit fordern wir eine Vorlaufzeit von elf Monaten.
Daneben sehen wir auch Nachbesserungsbedarf bei den Vorschlägen zum viel diskutierten Provisionsdeckel. Unabhängig von der nicht aktuariellen Frage, ob ein Provisionsdeckel gerechtfertigt ist oder nicht, scheinen die vorgelegten Entwürfe an mehreren Stellen noch nicht sauber durchdacht zu sein. Vor allem sehen wir eine Tendenz zu mehr einmaliger und weniger laufender Provision.
Nicht alle Versicherer haben konsequent auf laufende Vergütungen umgestellt. Manche machen es rigoroser als andere. Was ist davon zu halten?
Durch das LVRG von 2014 wurde der sogenannte Höchstzillmersatz von 40 auf 25‰ der Bruttobeitragssumme gesenkt. Das hat zur Folge, dass zu Vertragsbeginn im Wege der Zillmerung 37,5% weniger Kosten in die Beiträge eingerechnet werden können. Darüber hinausgehende Provisionszahlungen müssen vom Unternehmen vorfinanziert und durch Kostenzuschläge auf künftige Beitragszahlungen amortisiert werden. Um die damit einhergehende bilanzielle Belastung zu Vertragsbeginn zu vermeiden, sind etliche Versicherer in der Folge zu mehr laufenden und weniger einmaligen Vergütungen übergegangen. Diese Tendenz zu einer in Teilen laufenden Abschlussprovision ist politisch erwünscht und entspricht auch dem Beratungsaufwand der Vermittler besser als eine einmalig gezahlte Provision zu Vertragsbeginn. In welchem Maße aber auf laufende Vergütung umgestellt wurde, war eine geschäftspolitische Entscheidung jedes einzelnen Unternehmens. Eine wichtige Aufgabe der Aktuare ist es, im Rahmen der Kostenkalkulation für einen angemessenen Ausgleich der verbleibenden Vorfinanzierungskosten zu sorgen.
Was könnte der Provisionsdeckel an der Stelle negativ bewirken?
Der klare politische Wille hinter dem LVRG I waren die Senkung der Abschlusskosten und ein Übergang zu mehr laufenden Provisionen. Mit Blick in den Rückspiegel lässt sich sagen: Beide Ziele wurden erreicht – über den Umfang kann man sicherlich streiten. Was wir jetzt sehen, ist eine Umkehr dieser positiven Entwicklung. Denn nach dem derzeitigen Gesetzentwurf würden laufende Vergütungen aufgrund der vorgesehenen Abzinsungsregeln gegenüber einmaligen Provisionen unattraktiv: Wird dem Versicherungsvermittler statt einer einmaligen Provision eine laufende Vergütung gezahlt, so trägt er das volle Risiko, wenn der Vertrag vorzeitig beendet wird. Verstirbt die versicherte Person oder wird der Vertrag vor Ablauf gekündigt, so endet auch die Provisionszahlung. Warum sollte sich ein Vermittler darauf einlassen, wenn er diese Provisionen gesamthaft auch schon zu Vertragsbeginn erhalten könnte?
Wie sehen die Vorschläge der Aktuare im Hinblick auf den Provisionsdeckel und das LVRG aus?
Wir fordern, das Risiko vorzeitiger Abgänge bei der Bewertung laufender Vergütungen im Rahmen des Provisionsdeckels mit einzubeziehen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird ja bereits vorgeschlagen, laufende Beiträge mit einem Marktzins zu bewerten, was aus aktuarieller Sicht auch völlig sachgerecht ist. Hier könnte man statt des Marktzinses einen erhöhten Zinssatz ansetzen, beispielsweise pauschal 6%, mit dem auch vorzeitige Abgänge berücksichtigt werden. Alternativ können wir uns auch einen nach Vertragslaufzeiten gestaffelten, prozentualen Abschlag auf laufende Provisionen vorstellen, bevor diese in die Berechnung des Provisionsdeckels eingehen.
Welchen Aufwand bedeutet die Neukalkulation der Tarife?
Zunächst ist zu festzuhalten: Anders als das LVRG I, das auf die eingerechneten Kosten abzielte, greift der Provisionsdeckel nicht explizit in die Tarifkalkulation ein. Daher ist es die Entscheidung jedes Unternehmens, ob die Kalkulation geändert werden soll oder nicht. Im ersten Fall ist der Umsetzungsaufwand mit dem für das LVRG I vergleichbar. Denn im Normalfall müssen dann alle Tarife neu kalkuliert werden, sodass eine ganz neue Tarifgeneration entsteht. Für diese sind zum einen aufwendige aktuarielle Kalkulationen notwendig. Das ist für die Aktuare in den Unternehmen neben der normalen Arbeit ein großer Kraftakt. Zum anderen müssen zahlreiche technische Fragen geklärt werden. Für all diese Facetten brauchen die Aktuare und die Unternehmen genug Vorlaufzeit. Entsprechend sehen wir den 01.01.2021 als realistisches Startdatum an.
Bild: © fotomek – stock.adobe.com
Lesen Sie auch: Provisionsdeckelgesetz: Es hagelt Kritik von allen Seiten
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können