AssCompact suche
Home
Assekuranz
1. Januar 2010
„Eine Elementarschadenversicherung ist genauso wichtig wie eine Feuerversicherung“

„Eine Elementarschadenversicherung ist genauso wichtig wie eine Feuerversicherung“

Der Ruf nach einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden wurde nach dem jetzigen – teilweise noch immer andauernden – Hochwasser wieder laut. Aber macht eine Pflichtversicherung Sinn, oder ist das nur ein weiterer Eingriff in die Vertragsfreiheit? Nachgefragt bei Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, Fachanwalt für Versicherungsrecht in der Kanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr und Professor am Institut für Versicherungswesen an der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der FH Köln

Der Ruf nach einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden wurde nach dem jetzigen – teilweise noch immer andauernden – Hochwasser wieder laut. Aber macht eine Pflichtversicherung Sinn, oder ist das nur ein weiterer Eingriff in die Vertragsfreiheit? Ob Befürworter oder Kritiker einer Pflichtversicherung: Alle wollen, dass die Versicherungsdichte bei der Elementarschadenversicherung erhöht wird. Nachgefragt bei Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, Fachanwalt für Versicherungsrecht in der Kanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr und Professor am Institut für Versicherungswesen an der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der FH Köln

AssCompact: Herr Professor Günther, was halten Sie von einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden?

Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther: Nun, die Einführung einer Elementarschadenversicherung scheint sich angesichts der aktuellen Hochwasserkatastrophe aufzudrängen. Auf der anderen Seite wäre dies ein Eingriff in die Vertragsfreiheit in einen funktionierenden Markt. Er wäre auch systemfremd, da es bei den Pflichtversicherungen in Deutschland um die Abdeckung von Schäden Dritter, wie in der Kfz-Pflichtversicherung, geht, nicht um die Abdeckung des Eigenschadens. Warum ich gegen eine Pflichtversicherung bin: Gegenwärtig sind nur ein Drittel aller Wohnhäuser gegen Elementarschäden versichert. Nicht versicherbar sind nur Häuser in der höchsten Gefährdungsklasse 4 des von den Sachversicherern benutzten Zonierungsmodells „ZÜRS“. Diese soll aber nur 1 bis 3% des Gesamtbestandes ausmachen. Mit anderen Worten: Fast alle Hauseigentümer können sich gegen Elementarschäden versichern – tun es aber oft nicht.

AC: In anderen Ländern gibt es bereits Pflichtversicherungen. Auch in der ehemaligen DDR gab es eine. Könnten diese ein Vorbild für ein deutsches Modell sein?

DCG: Auch in der alten BRD existierte bis zur Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahr 1994 eine Pflichtversicherung, und zwar in Baden-Württemberg und Hamburg. Eine „richtige“ Pflichtversicherung wäre allerdings absurd. Wie soll deren Einhaltung überprüft werden? Sollen Ordnungsämter oder Polizei überprüfen, ob jeder eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen hat und Verstöße werden wie in der Kfz-Pflichtversicherung verfolgt?

Denkbar wäre eine Übernahme des Schweizer Modells. Dort ist in Art. 33 des Versicherungsaufsichtsgesetzes geregelt, dass Feuerversicherungsverträge nur mit eingeschlossener Elementarschadenversicherung vom Versicherer angeboten werden dürfen. Ferner muss der Deckungsumfang und der Prämientarif einheitlich sein. Es gibt dort aber keinen Zwang für den Versicherungsnehmer eine Gebäudeversicherung abzuschließen.

AC: Welche Schäden müssten eine Pflichtversicherung abdecken und wäre sie überhaupt bezahlbar?

DCG: Eine „Pflichtversicherung“ würde dieselben Gefahren abdecken, wie die gegenwärtig bestehende „freiwillige“ Elementarschadenversicherung, also neben Überschwemmung und witterungsbedingtem Rückstau auch zum Beispiel Erdrutsch, Schneedruck, Erdbeben. Gegenwärtig sind die Kosten für eine Elementarschadendeckung recht gering. Bei einer „Pflichtversicherung“ wären natürlich alle Gebäude zu versichern, also auch die eher nicht gefährdeten. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der Versicherungsnehmer mit ihren Prämien dann die wenigen Versicherungsnehmer in den hochgefährdeten Gebieten „subventionieren“. Auch dies spricht gegen eine Pflichtversicherung.

AC: Auch die Versicherer sind nach jetzigem Stand gegen eine Pflichtversicherung. Wie könnte denn eine Alternative aussehen?

DCG: Das Allerwichtigste ist es, die Versicherungsdichte bei der Elementarschadenversicherung, und zwar ganz deutlich, zu erhöhen. Es ist leider immer noch nicht im Bewusstsein vieler Gebäudeeigentümer verankert, dass eine Elementarschadenversicherung genauso wichtig ist wie eine Feuerversicherung. Bei den wenigen nicht versicherbaren Gebäuden in der höchsten Gefährdungslage sollten die Versicherer nicht pauschal eine Elementarschadendeckung verweigern, sondern versuchen individuelle Lösungen zu finden, zum Beispiel höherer Selbstbehalt, Vereinbarung von vertraglichen Sicherungsobliegenheiten...

Bei den selbst dann nicht versicherbaren Häusern stellt sich bei allem persönlichen Leid die Frage: Macht es wirklich Sinn, diese extrem gefährdeten Häuser nach jeder Flut auf Kosten des Versicherers und damit der Versichertengemeinschaft an derselben Stelle und ohne zusätzliche Schutzvorkehrungen wieder aufzubauen? Bei der gegenwärtigen Diskussion kommt mir die Prävention zu kurz, und zwar sowohl beim einzelnen Hauseigentümer als auch beim staatlichen Hochwasserschutz.

AC: Was glauben Sie, wird tatsächlich passieren? Wird die Pflicht kommen?

DCG: Nach der Flut des Jahres 2002 gab es intensive Überlegungen zur Einführung einer Elementarschadenpflichtversicherung. Zwei Jahre später wurde diese verworfen. Grund sollen verfassungs- und europarechtliche Bedenken gewesen sein, aber wohl in erster Linie, dass die Frage einer staatlichen Absicherung in Form einer Staatsgarantie nicht geklärt werden konnte. Eine Elementarschadenversicherung als Vollversicherung wird sich ohne zumindest mittelbare staatliche Unterstützung nicht realisieren lassen.

 
Ein Artikel von
Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther