Der erste Zinsentscheid des Jahres im Euroraum stand am Donnerstag an. Am Tag zuvor hatte die US-Notenbank Fed noch verlauten lassen, dass der Leitzins in den USA unverändert bleiben wird. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) marschiert im Euroraum weiter nach unten. Der Einlagensatz wird zum 05.02.2025 von 3% auf 2,75% gesenkt. Auch der Hauptrefinanzierungssatz und der Spitzenrefinanzierungssatz werden um je 25 Basispunkte nach unten gesetzt, auf respektive 2,90% bzw. 3,15%.
Im Vorfeld des Entscheids war der Tenor aus der Branche nicht so eindeutig wie bei den letzten Sitzungen. Einige hielten es für den besten Weg, einen Zinsschritt nach unten zu gehen, andere hätten den Hebel lieber unberührt gelassen. Wer aber auf jeden Fall am Tag des Entscheids stark unterwegs war: der Deutsche Aktienindex. Denn der startete mit einem neuen Rekord von 21.723 Zählern in den Tag und bewegt sich bis jetzt (Stand: Donnerstag, 16 Uhr) konstant seitwärts bei knapp unter 21.700 Punkten. Die Zinssenkung dürfte also im Markt eingepreist gewesen sein.
Meinungen zum Zinsentscheid
Schaut man sich einige Meinungen zur Entscheidung der Notenbank an, scheiden sich ein wenig die Geister. Der Bundesverband Deutscher Banken um Hauptgeschäftsführer Heiner Herkenhoff z. B. findet, dass die Leitzinssenkung „passt“. Und zwar trotz der in den letzten drei Monaten wieder auf fast 2,5% gestiegenen Inflation im Euroraum. Der Leitzins liege nun etwas sicherer im sogenannten neutralen Bereich, der zwischen 2 und 3% anzusiedeln sei.
In dieser Spanne würden die Leitzinsen die Konjunktur im Euroraum nicht mehr bremsen. „Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass die Inflationsrate im ersten Halbjahr wieder etwas zurückgehen und sich dem EZB-Ziel von 2% weiter annähern wird“, so Herkenhoff.
Opfert die EZB Spielraum?
Etwas negativer sieht es dafür Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE. Dass die Märkte den Zinsschritt längst eingepreist hatten, sei ein Zeichen dafür, dass die EZB kaum noch Spielraum habe, die Zinsen konstant zu halten, um beispielsweise die immer noch hohe Inflation zu bekämpfen. „Angesichts der derzeit niedrigen Realzinsen und einer wachsenden Geldmenge ist nicht klar, wie viel mehr Impuls durch niedrigere Leitzinsen wirklich nötig ist. Die heutige Entscheidung zeigt, dass die EZB ihren Kurs vorsichtig fortsetzt. Doch sie sollte sich nicht die Fähigkeit verbauen, ad hoc auf neue Entwicklungen zu reagieren.“
Dr. Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, hat ähnliche Bedenken: „Den Ausschlug zur Zinssenkungen dürfte die anhaltende Konjunkturschwäche im Euroraum gegeben haben, insbesondere die weiterhin enttäuschenden Frühindikatoren für die Schwergewichte Deutschland und Frankreich. Ob die Konjunkturschwäche zu einer baldigen Senkung der Inflationsrate in Richtung 2% führt, ist allerdings fraglich.“
Für die Wirtschaft?
Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei der ING, die vor allem bei der Zinswende nach oben häufiger Vorreiter bei attraktiven Zinsangeboten für ihre Kunden war, wird beim Branchenmagazin Cash. mit einer Tendenz zum Pragmatismus für die Wirtschaft zitiert: „Der Einlagenzinssatz von 2,75% ist […] immer noch restriktiv – zu restriktiv für den derzeit schwachen Zustand der Wirtschaft in der Eurozone. […] Solange der derzeitige Inflationsdruck im Laufe des Jahres vorsichtig nachlassen wird, wird die Bank den derzeitigen Inflationsanstieg wahrscheinlich übersehen. Die Erfahrung, die die EZB mit der langsamen Reaktion auf die steigende Inflation gemacht hat, wird die EZB zwar davon abhalten, ultraniedrige Zinsen einzuführen, doch der Wunsch, der Entwicklung immer einen Schritt voraus zu sein, bleibt ein zwingender Grund, die Zinsen so schnell wie möglich wieder auf neutral zu bringen.“
Wohin mit dem Zins und der Inflation?
Zusammenfassend also: Die EZB geht mit der Zinssenkung (so ist wohl zumindest die Zielsetzung) einen Schritt für die Wirtschaft. Ob sie damit zu nah an der Sonne fliegt, weil die Inflation doch wieder nach oben geht, muss sich erst zeigen – für die Märkte und die Konjunktur wäre das wohl der „Worst Case“. Doch wie immer weiß den tatsächlichen Ausgang der Situation nur die Glaskugel. (mki)
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