Die auf Berufsunfähigkeitsfälle spezialisierte Kanzlei Weßels Rechtsanwälte weist in einem aktuellen Beitrag auf anwalt.de auf ein Urteil des Oberlandesgericht Koblenz (OLG) hin.
Eine selbstständige Friseurmeisterin forderte Leistungen von ihrem BU-Versicherer, da sie aufgrund von Rückenbeschwerden und Bewegungseinschränkungen ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte. Sie gab an, mindestens 50% berufsunfähig zu sein. Der Versicherer bestritt dies und argumentierte, dass die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen für ihre Berufsausübung nicht nachgewiesen seien. Ein zentraler Streitpunkt war, ob die Beschwerden der Klägerin auf eine orthopädische degenerative Rückenerkrankung oder auf eine Spondyloarthritis zurückzuführen sind. Trotz zweier Gutachten – eines internistisch-rheumatologischen und eines orthopädischen – blieb die genaue Diagnose weiterhin umstritten.
Das OLG Koblenz entschied jedoch, dass nicht die genaue Diagnose, sondern die Tatsache ausschlaggebend sei, dass die Klägerin ihren Beruf als selbstständige Friseurin zu mindestens 50% aufgrund Erkrankung dauerhaft nicht mehr ausüben konnte. Das Gericht legte sich dabei auf eine orthopädische degenerative Rückenerkrankung als Ursache fest und verneinte eine Spondyloarthritis. Die Beklagte wurde zur Leistung wegen Berufsunfähigkeit verurteilt.
Dieses Urteil bestätigt die obergerichtliche Rechtsprechung, so Jan-Martin Weßels, dass in Berufsunfähigkeitsfällen die Auswirkungen der krankheitsbedingten Beschwerden auf die berufliche Tätigkeit und nicht die zugrunde liegende medizinische Diagnose entscheidend seien.
Uneinigkeit bei den Gutachtern
Eine Besonderheit des Falls bestand laut Weßels darin, dass die beiden vom Gericht beauftragten Gutachter in erster und zweiter Instanz jeweils die Diagnose ihres eigenen Fachgebiets ablehnten und stattdessen eine fachfremde Diagnose stellten. Beide Experten bestätigten jedoch, dass die selbstständige Friseurin aufgrund ihrer Schmerzen und Bewegungseinschränkungen berufsunfähig sei. Der orthopädische Gutachter schloss eine orthopädische degenerative Rückenerkrankung aus und diagnostizierte stattdessen eine Spondyloarthritis. Im Gegensatz dazu verneinte der internistisch-rheumatologische Gutachter das Vorliegen einer Spondyloarthritis und wies auf eine orthopädische Grunderkrankung hin. Das OLG Koblenz folgte schließlich der Einschätzung einer orthopädischen degenerativen Rückenerkrankung und verurteilte den Versicherer ab dem festgestellten Zeitpunkt zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsleistungen.
Beschwerden und Beschwerdefolgen ausschlaggebend
Wichtig sei, erklärt Weßels, dass den Beschwerden und den Auswirkungen der Beschwerden auf die konkrete berufliche Tätigkeit die maßgebliche Bedeutung im Leistungsprüfungsverfahren und gerichtlichen Verfahren zukommt und nicht der Diagnose, wenn jedenfalls feststeht, dass eine Erkrankung oder Verletzung vorliegt. Dann kann weiter geprüft und festgestellt werden, ob diese Erkrankung oder Verletzung auch zur Berufsunfähigkeit führt. (bh)
OLG Koblenz, Urteil vom 26.07.2022 - Az: 10 U 258/22
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