AssCompact suche
Home
Management & Wissen praxistipp
24. Juli 2024
„Sehe Branche als spannend mit extremem Potenzial“

„Sehe Branche als spannend mit extremem Potenzial“

In der Versicherungsbranche ist derzeit viel los. Von Digitalisierung über Fachkräftemangel bis hin zu weitgehenden Neuerungen aufgrund von KI. Für Stefanie Weidner vom Versicherungsmakler GründerFinanz sind das alles hochspannende Themen, auf die sich ein genauerer Blick lohnt.

Interview mit Stefanie Weidner, Leitung Unternehmensentwicklung bei GründerFinanz und Unternehmerin
Frau Weidner, GründerFinanz ist nicht nur Versicherungsmakler. Geben Sie uns doch erst mal einen Überblick.

GründerFinanz ist einer der größten Versicherungsmakler für Scale-ups und Unternehmen, die mit ihrem neuartigen Kerngeschäft die Welt verändern und Standortsicherung betreiben. Neben dem Entwickeln neuer Versicherungskonzepte, gemeinsam mit starken Versicherungspartnern, liegt unser Fokus auf der gesundheitlichen und finanziellen Absicherung der Menschen, die diese revolutionären Schritte gehen. Wir sind selbst Unternehmer, die andere Unternehmer auf ihrer unternehmerischen Laufbahn begleiten und durch unser starkes Know-how und Netzwerk unterstützen. Eine Konsequenz daraus war die Gründung unserer Unternehmensberatung „Raketenberater“.

Damit haben Sie sich nun auch selbstständig gemacht. Wen unterstützen Sie mit Ihrem neuen Unternehmen?

Mit Raketenberater unterstütze ich Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit ihrem Unternehmen ohne Wachstumsschmerzen wachsen wollen. Ein Unternehmen aufzubauen, ist kein Hexenwerk. Es ist ein Handwerk, das man erlenen kann. Man muss es dann nur noch machen. Aktuell gibt es sogar Förderprogramme, die genau diese Begleitung unterstützen. Momentan begleite ich Unternehmerinnen und Unternehmer u. a. dabei, Arbeitgeber der Zukunft zu werden.

Sie wurden zudem ausgezeichnet als eine der Top-50-Frauen für eine digitale Zukunft. Was bedeutet für Sie Digitalisierung im Maklerhaus?

In den meisten Branchen bedeutet Digitalisierung Freiheit. In den Maklerhäusern beobachte ich zunehmende Abhängigkeiten.

Da die Versicherer die Kundendaten und einen Teil der Korrespondenz in das Kundenverwaltungsprogramm der Maklerinnen und Makler einspielen, sind diese z. B. von der Datenqualität und dem Grad der Digitalisierung der Versicherer abhängig. Deshalb wirst du so lange manuell nachbessern müssen, bis auch das letzte Versicherungsunternehmen digital top aufgestellt ist.

Daher erfreuen sich Dienstleister, die dir einen Großteil der Digitalisierung abnehmen, zu Recht großer Beliebtheit. Das betrachte ich persönlich mit gemischten Gefühlen. Die Versicherungsbranche gilt als Meister des Kleingedruckten. Es wäre ironisch, wenn genau das den Maklern um die Ohren fliegen würde. Aber hier kann jeder Makler und jede Maklerin bzw. deren Unternehmen für sich selbst abwägen, ob der Mehrwert der ausgelagerten Digitalisierung die damit einhergehende Abhängigkeit und Diktatur der Prozesse rechtfertigt.

Ich sehe die Versicherungsbranche insgesamt als eine wahnsinnig spannende Branche mit extremem Potenzial. Nicht ohne Grund werden z. B. bei vielen KI-Zukunftsszenarien Use Cases mit Versicherern und Maklerhäusern gezeigt.

Und wann werden „Aktenberge“ in der Versicherungswelt also vollkommen verschwinden?

Sobald die Fragen zu Energie und Ethik geklärt sind. Wie viel Energie kosten die neuen digitalisierten Prozesse und wo kommt diese Energie her? Besonders seitdem KI immer mehr Einzug in den Arbeitsalltag erhält. Wer bestimmt den Grad der Ethik unserer KI, die wir tagtäglich einsetzen? Und wo werden uns Regulatorien helfen und wo einschränken oder sogar zu einem drastischen Wettbewerbsnachteil führen?

Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung denn als die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung von Maklerbetrieben bezeichnen?

Die größten Herausforderungen sind die Menschen und die Bereitschaft bzw. Möglichkeit, Ressourcen zu investieren. Die Digitalisierung entwickelt sich schneller, als wir Menschen lernen können. Wir müssen in der Lage und gewillt sein, uns an die Geschwindigkeit der Entwicklungen an sinnvollen Stellen anzupassen und an allen anderen gelassener zu werden. Wenn die Menschen das Know-how und die notwendige Einstellung besitzen, wird der Wandel gelingen. Am Ende des Tages ist es nämlich (noch) der Mensch, der die Entscheidungen trifft und einen Großteil der Tätigkeiten ausführt oder zumindest anstoßen muss.

Außerdem geht mit der Digitalisierung in den Maklerhäusern eine zunehmende Abhängigkeit einher. Das halte ich für bedenklich, aber ich beobachte gespannt die Entwicklungen. Werden die Unternehmerinnen und Unternehmer sich dieser Abhängigkeit bewusst und sind sie bereit, Ressourcen für ihre unternehmerische Freiheit zu investieren? Die eigenen Geschäftsmodelle und das Unternehmen müssen flexibel bleiben und aufgrund des Tempos fluide gedacht und angelegt werden. Da können externe Dienstleister, Apps oder Tools, die z. B. komplette Prozesse vorgeben, zu einer Bremse werden.

Sie haben noch viele weitere Interessen und Talente. Einer Ihrer Schwerpunkte liegt aber auf betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) und Employer Branding. Für wie wichtig halten Sie diese Themen für die Versicherungsbranche, speziell Maklerhäuser?

Als Hochbegabte verfüge ich über Kapazitäten, mich mit vielen Themen tiefgehend auseinanderzusetzen. Mit BGM nimmst du direkten und auch langfristig einen positiven Einfluss auf das Leben der Menschen, mit denen du arbeitest. Mit Employer Branding redest du darüber und zeigst, was du machst. Beides sind Maßnahmen, die nicht direkt am nächsten Tag eine Wirkung zeigen. Dafür halten die positiven Wirkungen nachhaltig an.

Außerdem liegt der Altersdurchschnitt der Maklerbranche laut AfW-Vermittlerbarometer bei knapp 54 Jahren. Sie hat ein sehr schlechtes Image. Der Nachwuchs und die Fachkräfte fehlen. Für all diese Miseren sind BGM und Employer Branding ein Lösungsansatz. Deshalb halte ich diese beiden Themen für sehr wichtig. Und je gesünder, glücklicher und befähigter die Menschen durch dich bzw. dein Unternehmen werden, desto gesünder und besser wird dein Unternehmen, dessen Umfeld und damit auch die Leistungen, die du für deine Kunden bietest.

Es gibt tolle Versicherungsprodukte, die jedes Maklerhaus für sich und auch seine Kundinnen und Kunden einsetzen kann, um sowohl das BGM als auch das Employer Branding positiv zu gestalten.

Wie könnte die Branche bei diesen oder anderen Themen vielleicht auch ansetzen, um speziell das Berufsbild Makler zu verbessern und für junge Leute allgemein – und besonders für Frauen – attraktiver zu machen?

Da Frauen immer noch den Großteil der Care-Arbeit leisten, wäre der erste Ansatz, sich von dem Gedanken zu trennen, dass nur eine Vollzeitkraft eine vollwertige Arbeitskraft ist. Ob Mann oder Frau, Gen X, Y oder Z – alle Menschen können davon profitieren, wenn Jobs, egal auf welcher Hierarchiestufe, im Tandem möglich werden. Das Unternehmen profitiert davon extrem: Sofort (!) erhöht sich der potenzielle Bewerberpool um weitere 66% aller erwerbstätigen Mütter und 7% aller erwerbstätigen Väter, wie aus einer Destatis-Statistik hervorgeht. Die Kreativität, Innovationskraft und das Optimierungspotenzial bekommen einen Booster, da zwei Köpfe sich austauschen und gemeinsam an einer Sache arbeiten. Die Stelle ist nie unbesetzt, weil man sich im Urlaub gegenseitig vertritt. Und es gibt noch viele Gründe, die dafürsprechen.

Welchen Stand hat Ihrer Meinung nach denn die Diversität – als Teil der Nachhaltigkeit – aktuell in der Maklerschaft? Beschäftigen sich Maklerhäuser damit oder liegt der Fokus eher woanders?

Die Maklerbranche besteht aus einer homogenen Gruppe, deren Altersdurchschnitt wie gesagt bei knapp 54 Jahren liegt. Da hatte Diversität in den letzten Jahrzehnten offensichtlich keinen hohen Stellenwert. Das ist alles andere als nachhaltig. Gleichzeitig bietet das jetzt eine große Chance. Die Versicherungsbranche hat die Möglichkeit, Vorreiter in Sachen Diversität zu werden. Vielleicht muss sie es sogar, weil es vielleicht der einzige Weg ist, damit die Maklerschaft nicht kollabiert.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 07/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Andreas Bierwirth, ABmotion GmbH & Co. KG

Praxistipps von Stefanie Weidner für Unternehmen

Praxistipp

1. Wenn man sich für einen Dienstleister oder ein Tool zur Digitalisierung entscheidet, sollte man auf das Kleingedruckte und die Prozesse, die der Dienstleister/das Tool vorgeben, achten. Passen die Prozesse zu deiner Arbeitsweise? Passt die Kommunikation zu deiner Art der Kommunikation? Unterstützt dich das Tool oder ist es zu pushy? Gibt es Schnittstellen, um Daten aus dem Tool in andere Programme zu exportieren? Werden Backups gemacht? Wem gehören die Daten? Wo werden die Daten verarbeitet? Wer hat Zugriff auf die Daten? Wie und wo werden die analogen Daten digitalisiert?

2. Es gibt aktuell Fördermittelprogramme, die die Digitalisierung im Unternehmen, BGM, Employer-Branding-Maßnahmen und viele andere wichtige unternehmerische Themen fördern. Die Programme richten sich meistens an Unternehmen mit 2 bis 249 Mitarbeitenden.

3. Es gibt tolle Versicherungsprodukte, die perfekt als Employer Benefits geeignet sind. Sowohl für das eigene Unternehmen als auch für Gewerbekunden. Beispiele für diese Produkte sind u. a. betriebliche Altersvorsorge, betriebliche Krankenversicherung, arbeitgeberfinanzierte Risikolebensversicherung …

4. Die zehn wichtigsten Themenbereiche im Unternehmen, wenn du Arbeitgeber der Zukunft werden willst, sind: Employer Branding, Arbeitsplatzgestaltung, Karriereentwicklung, Work-Life-Balance, Entlohnung, Teamarbeit und Zusammenarbeit, Kommunikation und Feedback, Unternehmenskultur, Flexibilität, Mitarbeiterbindung.

5. „Digitalisierung ist erreicht, wenn beim Durchlüften kein Papier mehr fliegt.“ (Holger Hegemann)

Schau dich in deinem Büro um: Wo liegt Papier und welchen Zweck erfüllt es? Notiere alle Zwecke in einer (digitalen) Liste. Beginne für den Zweck, der am häufigsten in deiner Liste genannt wird, ein digitales Tool einzusetzen. Wenn ein Prozess notwendig ist, überlege dir den Prozess, bevor du das Tool einsetzt. Wenn du nämlich einfach einen schlechten analogen Prozess digitalisierst, hast du einen schlechten digitalen Prozess. Und dieser ist in den meisten Fällen keine große Hilfe. Wenn du mehrere Tools miteinander verknüpfen oder Prozesse automatisieren möchtest, empfehle ich dir, dich mit den Themen No Code und Low Code auseinander zu setzen.

 
Ein Interview mit
Stefanie Weidner