Interview mit Prof. Dr. Julia Pitters, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der IU Internationale Hochschule
Frau Prof. Dr. Pitters, was sind aus psychologischer Sicht die häufigsten Hemmschwellen, die Menschen davon abhalten, sich mit ihren eigenen Finanzen und ihrer Altersvorsorge zu befassen?
Finanzthemen sind komplex und erfordern eine gewisse geistige Anstrengung, sich damit auseinanderzusetzen. Naturgemäß scheuen wir uns vor zu viel Aufwand. Die Psychologen bezeichnen den Menschen daher auch als „kognitiven Geizhals“, der sich nicht mehr anstrengt als unbedingt notwendig. Gleichzeitig ist das Thema Finanzen für die allermeisten Menschen hochrelevant. Die Altersvorsorge ebenso, jedoch, da sie uns erst in der Zukunft betrifft, schieben wir die Verantwortung gerne beiseite.
Spielen Bequemlichkeit und die Komplexität der Produkte eine Rolle bei der Entscheidungsvermeidung?
Ja, persönliche Hürden sind hoch, insbesondere bei komplexen, unbequemen Entscheidungen. Einfache digitale und auch anonyme Lösungen bieten einen niederschwelligeren Einstieg, aber auch die Gefahr, auf unseriöse Angebote hereinzufallen.
Wie prägen die Erziehung und das soziale Umfeld die Einstellung zu Geld und Vorsorge?
In Tiefeninterviews mit jungen Menschen wurde immer wieder deutlich, wie sehr die ursprüngliche Erziehung den späteren Umgang mit Geld prägt. Sparsame Menschen bleiben sparsam, auch wenn sie viel Geld zur Verfügung haben. Je älter wir werden, desto mehr Anstrengung erfordert es, seinen gewohnten Umgang mit Geld zu verändern. In unseren Studien beklagt die Mehrheit, dass sie zu wenig über Finanzen im Elternhaus und vor allem auch in der Schule gelernt haben. Insofern besteht ein breiter Konsens, mehr Finanzbildung im Schulunterricht zu fordern.
Jüngere Kunden sehen das Thema Rente oft als „weit entfernt“. Wie könnten Berater Altersvorsorge für sie greifbarer machen?
Richtig, aus wirtschaftspsychologischer Perspektive wird das Nahe und Verfügbare im Vergleich zu dem Entfernten, gerade nicht Präsenten, systematisch überbewertet. Bei komplexen Entscheidungen orientieren sich Menschen an mentalen Hilfestellungen, Faustregeln oder sogenannten Heuristiken. Eine davon ist die Verfügbarkeitsheuristik, wonach die Wichtigkeit von verfügbarer Information systematisch überschätzt und die Relevanz von jenen Informationen ausgeblendet wird, die uns gerade nicht präsent sind.
Wenn wir ein akutes Problem haben, die Miete zahlen zu müssen oder über die Finanzierung eines neuen Autos nachzudenken, ist uns das wichtiger als irgendeine ferne Zukunftsinvestition. Berater müssen jungen Menschen diese Zukunftsszenarien vergegenwärtigen, indem sie diese auf eine aktuelle Relevanz, zum Beispiel ein lebensqualitätssteigerndes Sicherheitsgefühl, herunterbrechen und vor allem eine tatsächliche Wirksamkeit erkennen lassen.
In Deutschland wird viel über den Mangel an Finanzbildung diskutiert. Gibt es „einfache“ Maßnahmen, die helfen könnten, das Wissen und damit auch die Motivation zu verbessern?
Wichtig ist, die Schulen mit ins Boot zu holen und auch an den nichtwirtschaftsorientierten Bildungseinrichtungen praktische Grundlagen zu vermitteln, die einen niederschwelligen Einstieg in die eigene Finanzplanung ermöglichen. Diese Maßnahmen werden seit Jahrzehnten gefordert, in Österreich wurde das Fach Finanzbildung bereits in den Lehrplan aufgenommen. Zudem steigt das Angebot an Finanzberatern im Internet, bei deren Nutzung wichtig ist, zwischen seriösen und unseriösen Finfluencern für diverse Zielgruppen zu unterscheiden.
Seite 1 Warum Altersvorsorge auch eine psychische Herausforderung ist
Seite 2 Gibt es gesellschaftliche und kulturelle Faktoren, die die Zurückhaltung vieler Menschen, sich aktiv mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen, verstärken?

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