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7. April 2025
Warum Altersvorsorge auch eine psychische Herausforderung ist
Warum Altersvorsorge auch eine psychische Herausforderung ist

Warum Altersvorsorge auch eine psychische Herausforderung ist

Geld ist für viele nicht nur eine Zahl auf dem Konto oder der Gehaltsabrechnung, sondern auch ein emotionales Thema – eines, mit dem man sich oft nicht so intensiv beschäftigt, wie man es eigentlich sollte. Woran liegt das? Und was können Makler und Berater tun?

Interview mit Prof. Dr. Julia Pitters, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der IU Internationale Hochschule
Frau Prof. Dr. Pitters, was sind aus psychologischer Sicht die häufigsten Hemmschwellen, die Menschen davon abhalten, sich mit ihren eigenen Finanzen und ihrer Altersvorsorge zu befassen?

Finanzthemen sind komplex und erfordern eine gewisse geistige Anstrengung, sich damit auseinanderzusetzen. Naturgemäß scheuen wir uns vor zu viel Aufwand. Die Psychologen bezeichnen den Menschen daher auch als „kognitiven Geizhals“, der sich nicht mehr anstrengt als unbedingt notwendig. Gleichzeitig ist das Thema Finanzen für die allermeisten Menschen hochrelevant. Die Altersvorsorge ebenso, jedoch, da sie uns erst in der Zukunft betrifft, schieben wir die Verantwortung gerne beiseite.

Spielen Bequemlichkeit und die Komplexität der Produkte eine Rolle bei der Entscheidungs­vermeidung?

Ja, persönliche Hürden sind hoch, insbesondere bei komplexen, unbequemen Entscheidungen. Einfache digitale und auch anonyme Lösungen bieten einen niederschwelligeren Einstieg, aber auch die Gefahr, auf unseriöse Angebote hereinzufallen.

Wie prägen die Erziehung und das soziale Umfeld die Einstellung zu Geld und Vorsorge?

In Tiefeninterviews mit jungen Menschen wurde immer wieder deutlich, wie sehr die ursprüngliche Erziehung den späteren Umgang mit Geld prägt. Sparsame Menschen bleiben sparsam, auch wenn sie viel Geld zur Verfügung haben. Je älter wir werden, desto mehr Anstrengung erfordert es, seinen gewohnten Umgang mit Geld zu verändern. In unseren Studien beklagt die Mehrheit, dass sie zu wenig über Finanzen im Elternhaus und vor allem auch in der Schule gelernt haben. Insofern besteht ein breiter Konsens, mehr Finanzbildung im Schulunterricht zu fordern.

Jüngere Kunden sehen das Thema Rente oft als „weit entfernt“. Wie könnten Berater Altersvorsorge für sie greifbarer machen?

Richtig, aus wirtschaftspsychologischer Perspektive wird das Nahe und Verfügbare im Vergleich zu dem Entfernten, gerade nicht Präsenten, systematisch überbewertet. Bei komplexen Entscheidungen orientieren sich Menschen an mentalen Hilfestellungen, Faustregeln oder sogenannten Heuristiken. Eine davon ist die Verfügbarkeitsheuristik, wonach die Wichtigkeit von verfügbarer Information systematisch überschätzt und die Relevanz von jenen Informationen ausgeblendet wird, die uns gerade nicht präsent sind.

Wenn wir ein akutes Problem haben, die Miete zahlen zu müssen oder über die Finanzierung eines neuen Autos nachzudenken, ist uns das wichtiger als irgendeine ferne Zukunfts­investition. Berater müssen jungen Menschen diese Zukunftsszenarien vergegenwärtigen, indem sie diese auf eine aktuelle Relevanz, zum Beispiel ein lebensqualitätssteigerndes Sicherheitsgefühl, herunterbrechen und vor allem eine tatsächliche Wirksamkeit erkennen lassen.

In Deutschland wird viel über den Mangel an Finanzbildung diskutiert. Gibt es „einfache“ Maßnahmen, die helfen könnten, das Wissen und damit auch die Motivation zu verbessern?

Wichtig ist, die Schulen mit ins Boot zu holen und auch an den nichtwirtschaftsorientierten Bildungseinrichtungen praktische Grundlagen zu vermitteln, die einen niederschwelligen Einstieg in die eigene Finanzplanung ermöglichen. Diese Maßnahmen werden seit Jahrzehnten gefordert, in Österreich wurde das Fach Finanzbildung bereits in den Lehrplan aufgenommen. Zudem steigt das Angebot an Finanzberatern im Internet, bei deren Nutzung wichtig ist, zwischen seriösen und unseriösen Finfluencern für diverse Zielgruppen zu unterscheiden.

Gibt es gesellschaftliche und kulturelle Faktoren, die die Zurückhaltung vieler Menschen, sich aktiv mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen, verstärken?

Hier gibt es Unterschiede insbesondere, was die Transparenz betrifft. Während hierzulande lange das Motto „über Geld spricht man nicht“ galt, war das in den USA anders. Die „Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Mentalität“ hat Menschen dort motiviert, offen über ihr Gehalt zu sprechen und somit ihren Erfolg zu kommunizieren. Inzwischen ändert sich das aber auch in Deutschland und gerade in den jüngeren Generationen wird sich mehr über Finanzen ausgetauscht. In einer Befragung, die wir 2023 im Auftrag von Lowell durchgeführt haben, finden 63%, dass Schulden zu machen bereits gesellschaftlich anerkannt ist und entsprechend auch drüber gesprochen wird. Mehr Transparenz wird möglicherweise auch zu mehr Aktivität führen.

Wie wirkt sich die Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen – etwa Inflation, Rentenlücke oder Marktvolatilität – auf die Bereitschaft zur Altersvorsorge aus?

Zum einen verursacht es eine diffuse Angst zu wissen, dass eine ausreichende Rente in Zukunft nicht mehr sicher ist. Zum anderen fehlt es noch an Eigeninitiative und auch finanziellen Möglichkeiten, rechtzeitig privat vorzusorgen. Die vielen Unsicherheiten dienen dann als Ausrede, dass man sowieso nicht weiß, was kommt, und daher lieber in der Gegenwart lebt und die Zukunft erst mal verdrängt.

Können Vermittler und Finanz­berater ebenfalls helfen, Hemmschwellen bei ihren Kunden abzubauen? Welche Gesprächs­strategien oder Methoden wären aus Sicht der Wirtschaftspsycho­logie besonders wirksam?

Vor allem eine transparente und realistische Planung, idealerweise visualisiert, ist besonders effektiv. Hier geht es darum, subjektive Wünsche und finanzielle Möglichkeiten in einen realistischen Einklang zu bringen.

Viele Kunden misstrauen Finanzprodukten oder schieben Entscheidungen aufgrund schlechter Erfahrungen hinaus. Wie könnten Berater denn gezielt Vertrauen auf- und Ängste abbauen?

Beratern haftet aus Kundensicht natürlich das Image an, dass sie vor allem selbst verdienen wollen, insofern konkurrieren sie umso mehr mit günstiger Online- oder sogar KI-gesteuerter Beratung. Hier gilt es, als Berater den tatsächlichen Mehrwert des Persönlichen herauszuarbeiten und sich auch transparent mit den digitalen Alternativen zu messen.

Gibt es handfeste psychologische Tricks, die Berater im Alltag verwenden könnten, um Menschen dazu zu motivieren, sich intensiver mit ihrer Altersvorsorge zu beschäftigen?

Hier bietet die Psychologie ein großes Repertoire an mentalen Werkzeugen an, wie sie auch in der Verkaufspsychologie zu finden sind. Auch durch sogenannte Nudges, also kleine unbewusste Schubser über zum Beispiel soziale Normen, Belohnungsszenarien oder Default-Einstellungen, die langfristige Planungen auto­matisch berücksichtigen, kann die Motivation unbewusst gesteigert werden, was Beratern und Kunden wiederum hilft, das Thema Altersvorsorge zugänglicher zu gestalten.

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Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2025 und in unserem ePaper.

Bild: © Pitters, IU

 
Ein Interview mit
Prof. Dr. Julia Pitters