Ein Artikel von Dr. Frank Baumann, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Sozietät Wolter Hoppenberg
Im vorliegenden Fall klagte eine Versicherungsnehmerin, die als Auszubildende zur Steuerfachangestellten berufstätig gewesen ist, auf eine Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Hintergrund des Leistungsantrags waren die aus Sicht der Versicherten unangemessenen Reaktionen ihrer Vorgesetzten auf ihr unterlaufene Fehler. Sie gab an, auf die Überforderung mit psychosomatischen Beschwerden und Angstattacken reagiert zu haben, die so weit gegangen seien, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, das Gebäude zu betreten, in dem sich der Ausbildungsbetrieb befunden habe.
LG spricht BU-Anspruch zu
Das zunächst mit der Sache befasste Landgericht Kiel (LG) beauftragte zur Abklärung der behaupteten Berufsunfähigkeit einen medizinischen Sachverständigen, der angab, die Versicherungsnehmerin sei durchaus in der Lage gewesen, die konkret an sie herangetragenen Tätigkeiten zu erledigen. Zweifelsohne sei sie in der Lage, die Ausbildungstätigkeit in einer beliebigen anderen Steuerkanzlei erledigen zu können; bei einer Fortsetzung der Tätigkeit im Ausbildungsbetrieb werde es hingegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem erneuten Aufflackern der Beschwerden kommen. Diese Feststellung reichte dem LG aus, um der Versicherungsnehmerin die geltend gemachten Ansprüche zuzusprechen.
OLG kassiert Einschätzung des LG
Das Oberlandesgericht Schleswig (OLG) hat durch Urteil vom 25.07.2022 (Az. 16 O 165/21) die Ansprüche der Versicherungsnehmerin wegen behaupteter Berufsunfähigkeit aufgrund einer „Arbeitsplatz-Allergie“ allerdings abgelehnt und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, der wesentliche Grund für die partielle Erkrankung der Versicherungsnehmerin seien nicht die von ihrer Ausbildungstätigkeit herrührenden Anforderungen, sondern die sozialen Umstände am Arbeitsplatz gewesen. Die Klägerin habe sozusagen eine Arbeitsplatz-Allergie entwickelt, welche aber für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht ausreiche.
Das OLG nahm an, dass die Erkrankung der Versicherungsnehmerin in ihrer Ausprägung wesentlich in den Bedingungen am Arbeitsplatz begründet gewesen sei, sodass praktisch auf der Hand liege, dass sich ihr Zustand mit Abstand dazu rasch bessern würde, was tatsächlich auch der Fall war. Eine Kündigung des Arbeitsplatzes und eine Orientierung auf einen anderen Ausbildungsplatz seien in derartigen Fällen die probaten und zumutbaren Mittel für die Wiederherstellung der Berufsfähigkeit.
Das Urteil ist bemerkenswert, weil das OLG zwar einerseits wie regelmäßig üblich auf den konkret zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf bei der Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, abstellt, andererseits aber zwischen den konkreten Anforderungen an den Arbeitnehmer einerseits und persönlichen Verhaltensweisen von Vorgesetzten und Kollegen andererseits differenziert. Das OLG hat eine Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Fazit: In der Sache selbst ist das Urteil des OLG überzeugend
Gegen diese Entscheidung hat die Versicherungsnehmerin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt, sodass abzuwarten bleibt, ob sich der BGH der Rechtsauffassung des OLG anschließen wird.
In der Sache selbst ist das Urteil des OLG überzeugend, denn wenn der Auszubildende durch einen schlichten Wechsel des Ausbildungsbetriebs seine volle Einsatzfähigkeit wiederherstellen kann, gibt es an sich keinen Grund, dem Versicherungsnehmer weitere Leistungen zuzusprechen, weil seine Berufsunfähigkeit weniger auf Krankheit, sondern eher auf Untätigkeit, nämlich mangelndem Wechselwillen, beruht. Auch ist stets zu beachten, dass nicht das Mobbing selbst, sondern nur eine dadurch entstehende Gesundheitsbeeinträchtigung eine versicherte Ursache für Berufsunfähigkeit sein kann.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2022, S. 126, und in unserem ePaper.
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