In Brüssel gibt es Pläne zur Vertiefung der Kapitalmärkte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – und zwar schon seit gut zehn Jahren, nämlich mit der sogenannten Kapitalmarktunion. Jetzt hat die EU-Kommission eine Art Nachfolgekonzept vorgestellt, die „Spar- und Investitionsunion“. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht darin die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürgern „einerseits eine größere Auswahl“ zu bieten, damit sie ihr Erspartes optimal nutzen können, und „gleichzeitig Investitionen in den ökologischen und digitalen Wandel, die Verteidigung und andere wichtige Wachstumssektoren“ voranzutreiben. Es würden alle gewinnen, wenn Erspartes möglichst produktiv eingesetzt wird und stetig Investitionen über integrierte EU-Kapitalmärkte fließen.
Neben der Förderung des Wohlstands der Bürger soll also gleichzeitig das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der EU gesteigert werden. Laut dem September 2024 veröffentlichten Report des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU könnten sich die Investitionen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen bis 2030 auf zusätzliche 750 bis 800 Mrd. Euro belaufen.
Sparer sollen profitieren
Die EU verfüge über talentierte Arbeitskräfte, innovative Unternehmen und erhebliches Sparvermögen in Form von Bankeinlagen in Höhe von rund 10 Bio. Euro, heißt es in der Mitteilung der EU-Kommission. Bankeinlagen seien sicher und leicht zugänglich, würfen aber in der Regel weniger Rendite ab als Investitionen an den Kapitalmärkten. Die Spar- und Investitionsunion könne „zum Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger beitragen“, indem sie es ihnen ermöglicht, durch die Anlage ihres Sparvermögens an den Kapitalmärkten bessere Konditionen und Renditen zu erzielen.
Vier Arbeitsbereiche
Die Spar- und Investitionsunion umfasst vier Arbeitsbereiche:
- Bürger und Sparvermögen: Privatkunden spielen mit ihren Sparvermögen bereits eine zentrale Rolle bei der Finanzierung der EU-Wirtschaft über Bankeinlagen. Sie sollten aber auch die Möglichkeit haben, einen größeren Teil ihres Ersparten, auch zur Altersvorsorge, in Kapitalmarktinstrumenten anzulegen, so die EU-Kommission.
- Investitionen und Finanzierung: Um Investitionen in kritischen Sektoren anzuregen, plant die Kommission Initiativen, die die Verfügbarkeit von Kapital und den Zugang für alle Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, verbessern sollen.
- Integration und Größe: Dieser Arbeitsbereich umfasst Bemühungen zur Beseitigung regulatorischer, aufsichtlicher oder politischer Hindernisse für grenzüberschreitende Transaktionen von Marktinfrastrukturen, Vermögensverwaltung und Mittelverteilung, damit Unternehmen in der gesamten EU effizient skalieren können.
- Effiziente Aufsicht im Binnenmarkt: Die Kommission plant außerdem Maßnahmen, um sicherzustellen, dass alle Finanzmarktteilnehmer unabhängig von ihrem Standort in der EU von den Aufsichtsbehörden gleichbehandelt werden.
Das sagen GDV und AfW
Aus der Finanzbranche regten sich schnell einige Kommentare, so auch vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Für diesen greifen die Pläne für die „Savings and Investment Union“ zu kurz und bleiben „deutlich“ hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Angesichts der enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen seien Milliardeninvestitionen in Wirtschaft, Infrastruktur und Sicherheit nötig.
„Als größter institutioneller Investor Deutschlands spielen die Versicherer eine Schlüsselrolle, um den Investitionsstau in Europa aufzulösen. Sie verwalten schon heute über 1,9 Bio. Euro, finanzieren Straßen, Energieversorgung, Unternehmen und öffentliche Haushalte. Nur, während die Branche bereitsteht, tritt Brüssel auf die Bremse. Die vorgestellten Maßnahmen wirken wie ein Geschenk mit schöner Schleife – doch wer es öffnet, findet wenig Inhalt. Die Kommission muss endlich aufwachen und größer denken, um den notwendigen Kapitalbedarf zu decken“, so der stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführer, Moritz Schumann.
Altersvorsorge als Chance zur Kapitalmobilisierung
Die Spar- und Investitionsunion laufe laut GDV Gefahr, das Potenzial der Altersvorsorge zur Entwicklung des EU-Kapitalmarktes zu verschenken. Aus Sicht der Versicherer sei ein gründlicher Review-Prozess des europäischen Altersvorsorgeprodukts überfällig. Es brauche eine echte Reform, die Kapital mobilisiert und Altersarmut wirksam bekämpft.
Steuervorteile könnten bei der Verbreitung europäischer Altersvorsorgeprodukte eine zentrale Rolle spielen. Das Problem hierbei sei, dass Steuererleichterungen auf europäischer Ebene kaum realisierbar seien. Der Verband spricht sich daher dafür aus, nationale Steueranreize besser in EU-Initiativen zu integrieren.
Vermittlerverband AfW fordert Gleichlauf von Regelungen zur Kleinanlegerstrategie
Und auch der Vermittlerverband AfW hat am Freitagnachmittag noch die Pläne zur Spar- und Investitionsunion kommentiert – auch vor dem Hintergrund der Trilog-Verhandlungen zur EU-Kleinanlegerstrategie (RIS). Die Initiative der Kommission, eine EU-weite Aufsicht über Kapitalmärkte zu etablieren, lasse nämlich Fragezeichen bei der Kleinanlegerstrategie nochmal größer werden. Bis Ende April will die Kommission konkrete Vorschläge unter anderem dazu vorlegen, wie die Regelungen zum Preis-Leistungs-Verhältnis (Value for Money) und den Berichtspflichten in der RIS besser ausgestaltet werden können.
AfW-Vorstand Frank Rottenbacher sieht dies als letzte Möglichkeit für die Kommission, die Kleinanlegerstrategie überhaupt noch über die Ziellinie zu bringen: „Wenn die Kommission es nicht schafft, hier einen echten Gleichlauf mit den übergeordneten Zielen der Spar- und Investitionsunion herzustellen, sollte das Projekt RIS ganz beerdigt werden. Niemandem – und schon gar nicht den Anlegern und Vermittlern – ist geholfen, wenn in fast planwirtschaftlicher Manier an Regulierungsprojekten festgehalten wird, die zu einer Zeit angeschoben wurden, als die Lage der Europäischen Union noch eine ganz andere war.“ (mki)
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