2008 lag der EZB-Leitzins noch bei über 4%. Seither kennt der, für die gesamte Finanzbranche eminent wichtige Zinssatz, nur noch eine Richtung: nach unten. Nun hat die EZB diesen Kurs fortgesetzt und den Leitzins von 0,15 auf 0,05% gesenkt. Dr. Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kritisiert diesen Schritt. „Dass die EZB die Leitzinsen auf 0,05% senkt, ist ein falsches Signal an alle Sparer. Dass Zinssenkungen nahe dem Nullpunkt keine positiven Wirtschaftsimpulse bringen, haben bereits die letzten Zinsschritte der EZB gezeigt“, so Erdland. „Weder kann eine weitere Leitzinssenkung die Kreditvergabe ankurbeln, noch ist sie angesichts der niedrigen Preissteigerungsraten angebracht. Diese sind Folge der – gewünschten – Anpassungsprozesse im Euroraum. Statt mit weiteren geldpolitischen Maßnahmen das Niedrigzinsumfeld zu verfestigen, müssen weitere und nachhaltige strukturelle Reformen in den Fokus rücken.“
Verringerter Reformdruck
Erdland ist mit seiner Kritik nicht allein. „Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering“, moniert Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. „Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderliche Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden.“
Übereilt und wenig konjunkturbelebend
Auch Dr. Andreas Martin, Vorstand des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) kritisiert die aktuelle Zinsentscheidung der EZB: „Die jüngste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank ist übereilt. Erst im Juni hat die EZB ein umfangreiches geldpolitisches Programm zur Belebung der Kreditvergabe beschlossen, dessen Umsetzung in der zweiten Septemberhälfte beginnt.“ Die konjunkturbelebende Wirkung der aktuellen Zinssenkung dürfte nach Ansicht des BVR-Vorstandes ohnehin äußerst gering ausfallen. „Sehr bedenklich ist das von der erneuten Zinssenkung ausgehende negative Signal auf die Sparanreize der Bundesbürger, insbesondere mit Blick auf eine ausreichende private Altersvorsorge“, warnt Martin. (mh)
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