Im Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland drohen große Finanzierungslücken. Ausschlaggebend für die fortwährend steigenden Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung (SPV) sind die galoppierende Inflationsrate sowie die „kleine Pflegereform“ – eine Gesetzesänderung aus der vergangenen Legislaturperiode. Damit beabsichtigte die Große Koalition die steigenden Eigenanteile von Pflegeheimbewohnern und ihren Angehörigen zu dämpfen. Der Mechanismus sah vor, aus Beitragsmitteln Zuschläge an Heimbewohner zu zahlen, die nach der Aufenthaltsdauer gestaffelt sind. Wer also länger als drei Jahre im Heim lebt, erhält den höchsten Zuschlag von 70% zu den Eigenanteilen bei den pflegebedingten Kosten. Bei einem zwei- bis dreijährigem Heimaufenthalt beträgt der Zuschlag 45%, bei 13 bis 24 Monaten sind es 25%. Bei Pflegebedürftigen, die seit höchstens einem Jahr im Heim betreut werden, reduziert sich der Eigenanteil durch den Zuschlag um 5%.
Defizit der sozialen Pflegeversicherung dürfte steigen
Allerdings basierte die Kalkulation der Mehrkosten für die SPV auf einer fehlerhaften Datenbasis, wie das Handelsblatt nun berichtet hat. So war das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) offenbar davon ausgegangen, dass Pflegebedürftige nur eine relativ kurze Zeit im Heim verbringen würden. Die Praxis zeichnet entsprechend einer Auswertung der Ersatzkasse DAK-Gesundheit jedoch ein völlig anderes Bild. Demnach leben bereits über 40% der DAK-Versicherten mehr als drei Jahre in einem Heim.
Auf Basis einer Berechnung des Bremer Pflegeexperten Heinz Rothgang für die Krankenkasse DAK-Gesundheit dürften die Ausgaben daher im laufenden Jahr deutlich höher liegen als vom Bundesgesundheitsministerium ursprünglich geplant, wie das Handelsblatt mitgeteilt hat. Rechnet man diese Daten auf alle Heimbewohner in Deutschland hoch, dann hat die Pflegeversicherung nach Rothgangs Berechnungen im ersten Quartal schon 822 Mio. Euro für die Zuschläge aufgewendet. Auf das Jahr 2022 aufsummiert wären es rund 3,3 Mrd. Euro – statt der im Gesetz veranschlagten 2,6 Mrd. Euro. Das bisher erwartete Defizit der SPV dürfte damit im laufenden Jahr nicht bei 2,3 Mrd. Euro, sondern bei 3 Mrd. Euro liegen, prognostiziert das Wirtschaftsmagazin.
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