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24. Juni 2022
Kranken- und Pflegeversicherung finanziell massiv unter Druck
Kranken- und Pflegeversicherung finanziell massiv unter Druck

Kranken- und Pflegeversicherung finanziell massiv unter Druck

Inflation und Gesetzesänderungen schrauben die Ausgaben im Gesundheits- und Pflegesystem ordentlich nach oben. Daher drohen der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung abermals hohe Defizite. Das wiederum verheißt wenig Gutes für die Sozialbeiträge.

Im Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland drohen große Finanzierungslücken. Ausschlaggebend für die fortwährend steigenden Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung (SPV) sind die galoppierende Inflationsrate sowie die „kleine Pflegereform“ – eine Gesetzesänderung aus der vergangenen Legislaturperiode. Damit beabsichtigte die Große Koalition die steigenden Eigenanteile von Pflegeheimbewohnern und ihren Angehörigen zu dämpfen. Der Mechanismus sah vor, aus Beitragsmitteln Zuschläge an Heimbewohner zu zahlen, die nach der Aufenthaltsdauer gestaffelt sind. Wer also länger als drei Jahre im Heim lebt, erhält den höchsten Zuschlag von 70% zu den Eigenanteilen bei den pflegebedingten Kosten. Bei einem zwei- bis dreijährigem Heimaufenthalt beträgt der Zuschlag 45%, bei 13 bis 24 Monaten sind es 25%. Bei Pflegebedürftigen, die seit höchstens einem Jahr im Heim betreut werden, reduziert sich der Eigenanteil durch den Zuschlag um 5%.

Defizit der sozialen Pflegeversicherung dürfte steigen

Allerdings basierte die Kalkulation der Mehrkosten für die SPV auf einer fehlerhaften Datenbasis, wie das Handelsblatt nun berichtet hat. So war das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) offenbar davon ausgegangen, dass Pflegebedürftige nur eine relativ kurze Zeit im Heim verbringen würden. Die Praxis zeichnet entsprechend einer Auswertung der Ersatzkasse DAK-Gesundheit jedoch ein völlig anderes Bild. Demnach leben bereits über 40% der DAK-Versicherten mehr als drei Jahre in einem Heim.

Auf Basis einer Berechnung des Bremer Pflegeexperten Heinz Rothgang für die Krankenkasse DAK-Gesundheit dürften die Ausgaben daher im laufenden Jahr deutlich höher liegen als vom Bundesgesundheitsministerium ursprünglich geplant, wie das Handelsblatt mitgeteilt hat. Rechnet man diese Daten auf alle Heimbewohner in Deutschland hoch, dann hat die Pflegeversicherung nach Rothgangs Berechnungen im ersten Quartal schon 822 Mio. Euro für die Zuschläge aufgewendet. Auf das Jahr 2022 aufsummiert wären es rund 3,3 Mrd. Euro – statt der im Gesetz veranschlagten 2,6 Mrd. Euro. Das bisher erwartete Defizit der SPV dürfte damit im laufenden Jahr nicht bei 2,3 Mrd. Euro, sondern bei 3 Mrd. Euro liegen, prognostiziert das Wirtschaftsmagazin.

Auch in der GKV türmen sich die Defizite

Nicht viel besser als in der SPV sieht die Finanzierungsbasis in der GKV aus (AssCompact berichtete bereits). Auch in der GKV könnte nächstes Jahr noch mehr Geld fehlen als bislang angenommen. Durch die derzeit außerordentlich hohe Inflationsdynamik könnte sich der Fehlbetrag in der GKV nach Berechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomik im kommenden Jahr auf bis zu 25 Mrd. Euro summieren, während bisherige Schätzungen „nur“ von einem Fehlbetrag in Höhe von 17 Mrd. Euro für 2023 ausgehen.

Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit hat der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen aber auch darauf verwiesen, dass die Finanzierungslücke das Ergebnis struktureller Defizite sei. So läuft die Schere im Gesundheitsfonds zwischen Beitragseinnahmen und -ausgaben bereits seit 2015 immer weiter auseinander – auf zuletzt 42,9 Mrd. Euro im Jahr 2021. „Es ist [also] nicht Corona, so viel können wir sagen“, erklärte Wasem. „Es ist hauptsächlich die expansive Ausgabenpolitik der vorherigen Koalition. Wobei man sagen muss, dass das teils sehr gut angelegtes Geld ist“, resümiert Wasem.

Folgen für die Beitragssätze?

Doch welche Folgen haben die größer werdenden Finanzierungslücken in der GKV und der SPV für die Beitragssätze? Bereits zum 01.01.2022 kletterte zumindest der Beitrag in der SPV bereits moderat, was im Koalitionsvertrag zwischen den Ampel-Parteien schon beschlossene Sache und damit keine Überraschung mehr war. Aber wird das angesichts der Kassenlage ausreichen? Denn: Die fortwährende Dynamisierung des Bundeszuschusses zum Gesundheitsfonds – der Zuschuss für 2022 beträgt bereits 28,5 Mrd. Euro (AssCompact berichtete) – sei keine realistische Lösung, so Gesundheitsökonom Wasem.

Bezogen auf die GKV äußerte Kai Senf, Geschäftsführer Politik und Unternehmensentwicklung im AOK-Bundesverband, auf dem Hauptstadtkongress dazu, dass sich die Bundesregierung bei der Frage nach einer Erhöhung der Beitragssätze nicht aus der Affäre stehlen und die Krankenkassen damit alleinlassen könne. „Wenn an der Beitragsschraube gedreht wird, muss die Politik den allgemeinen Beitragssatz erhöhen. Zu dieser Verantwortung muss sie stehen“, forderte Senf. Vom GKV-Spitzenverband hieß es zuletzt dazu, dass zur Schließung des GKV-Finanzierungsdefizits allein der Zusatzbeitrag um 1,0 bis 1,1 Prozentpunkte steigen müsste. Der Vorstandsvorsitzende der DAK Gesundheit, Andreas Storm, warnte laut BILD angesichts der Zahlen vor einem „Beitragstsunami“ und forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, zügig ein Gesetz zur Stabilisierung der Finanzen der GKV vorzulegen. (as)

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