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17. Februar 2023
Jennifer Brockerhoff: „Öko-Kitsch muss endlich ein Ende haben“
Jennifer Brockerhoff: „Der Öko-Kitsch muss endlich ein Ende haben“

Jennifer Brockerhoff: „Öko-Kitsch muss endlich ein Ende haben“

Es gibt aktuell einige Entwicklungen, die die Finanzberatung rund um nachhaltige Geldanlagen beeinflussen. „Wer seinen Kundinnen und Kunden suggeriert, dass mit dem Kauf eines nachhaltigen Fonds oder ETFs die Welt gerettet sei, hat schon verloren“, meint Jennifer Brockerhoff. Wie tickt die junge Beratergeneration beim Thema Nachhaltigkeit?

Interview mit Jennifer Brockerhoff, Finanzberaterin und Inhaberin der Brockerhoff Finanzberatung
Frau Brockerhoff, im September 2022 ist Ihr neues Buch „30 Minuten – Nachhaltige Geldanlage“ erschienen. Entspricht diese Zeitspanne in etwa einem Beratungsgespräch über nachhaltige Investments?

Ein guter Scherz! Eine Beratung zu Vermögensan­lagen umfasst mehrere Termine, da kommt nun ein weiterer dazu, um die Komplexität des Themas Nachhaltigkeit adäquat zu erläutern.

Die wirtschaftlichen Rahmen­bedingungen bei Fragen rund um nachhaltige Geldanlage haben sich eingetrübt. Die hohe Inflation schränke die Sparbereitschaft in der Bevölkerung ein, heißt es. Was verspüren Sie davon in der Finanzberatung?

Eine Zurückhaltung bei der Neuanlage von Geldern war seit Beginn des russischen Angriffskrieges deutlich zu spüren, unabhängig davon, ob diese konventionell oder nachhaltig angelegt werden sollten. Bereits im Dezember ist die Anzahl an neuen Anfragen wieder vermehrt gestiegen, vor allem im Bereich nachhaltiger Investments.

Studien deuten an, dass das Thema „Nachhaltigkeit“ angesichts der Krisenstimmung aus Inflation, Krieg und Wirtschaftsflaute an Stellenwert verliert. Was stellen Sie bei Ihrer Kundschaft fest?

Wenn Sie kurzfristige Stimmungsbarometer meinen, mag das durchaus stimmen. Aktuelle Ereignisse lassen gerne den langfristigen Blick vorübergehend vernebeln. Die Anpassung der Wirtschaft an den bereits im Gang befindlichen Klimawandel bleibt die größte Herausforderung. Das treibt meine Kundschaft ebenfalls um, sodass ich bei ihr keine Veränderung des Stellenwertes feststellen kann – ganz im Gegenteil!

In diesem Zusammenhang sind die Erkenntnisse aus der Klimapsychologie hilfreich. Denn das innere Warnsystem des Menschen reagiert vor allem bei akuter Angst, Schock oder Panik. Der langsam, aber stetig voranschreitende Klimawandel erfüllt diese Kriterien nicht, sodass viele Menschen eher unterschwellig und unterbewusst besorgt sind.

Bei nachhaltigen Investments lässt sich zwischen privater Geldanlage einerseits und Altersvorsorgebausteinen andererseits unterscheiden. Welcher Bereich läuft wie gut?

Hier laufen beide Bereiche im Gleichschritt gut, obwohl die Auswahlmöglichkeiten bei der privaten Geldanlage deutlich größer sind.

Bei der privaten Geldanlage existieren nachhaltige Sparprodukte, Aktienfonds, ETFs und Anleihefonds. Worin investiert Ihre Kundschaft bevorzugt?

Meine Kundinnen und Kunden sind in der Regel langfristige Investoren, sodass Aktienfonds und ETFs in professionellen und gerne auch digitalen Vermögensverwaltungen bevorzugt werden.

Die Produkte der Anbieter berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien in unterschiedlicher Intensität. Wie streng darf die nachhaltige Geldanlage denn bei Ihrer Kundschaft sein?

Die Frage aller Fragen, die nicht kurz zu beantworten ist. Warum? Weil erst einmal ein Verständnis dafür geschaffen werden muss, was Nachhaltigkeit bei der Geldanlage überhaupt heißt. Wir haben eine regulatorische Definition sowie eine eigene subjektive Definition. Die wenigsten Kundinnen und Kunden haben eine konkrete Vorstellung von ihren Nachhaltigkeitspräferenzen. Das ist auch kein Wunder, denn Finanzen sind nach wie vor kein Schulfach, nachhaltige Finanzen ebenso wenig. Um dieses Thema gemeinsam mit meiner Kundschaft zu erörtern, habe ich vor Kurzem ein Schaubild erstellen lassen, mit den fünf Dingen, die man über nachhaltiges Investieren wissen muss. Zum Beispiel darüber, dass jede Asset-Klasse auch ganz unterschiedliche Wirkung erzielt.

Mehrere Produktgeber stufen aktuell ihre Artikel-9-Fonds auf Artikel-8-Fonds zurück. Viele Produkte sind damit über Nacht weniger „dunkelgrün“. Wie erklären Sie dieses Vorgehen Ihrer Kundschaft?

Fondsgesellschaften und Produktanbieter haben sich selbst keinen Gefallen getan, in dem sie die Klassi­fizierung in Artikel-6-, -8- oder -9-Fonds als eine Art Gütesiegel nach außen propagiert haben. Ich habe noch keinen einzigen Kunden bzw. noch keine einzige Kundin kennengelernt, der einen Fonds oder ETF nach dieser Klassifizierung auswählen wollte.

Diese Rückstufungen überraschen mich nicht und habe ich erwartet. Nachhaltigkeitsbanken hatten im Vergleich zu konventionellen Banken einen ehrlicheren Umgang mit der Klassifizierung, sodass sie von den Rückstufungen am wenigsten betroffen sind.

Macht sich bei Ihren Kundinnen und Kunden darüber auch Enttäuschung breit?

Keineswegs. Wer ehrlich kommuniziert, was nachhaltige Geldanlagen heute leisten können und was nicht, fährt bzw. berät am besten. Da wären wir beim Stichwort Impact, also die Wirkung nachhaltiger Geldanlagen. Wie entsteht Wirkung und was ist der Unterschied zwischen direkter und indirekter Wirkung – ein hochspannendes Thema! Wer seinen Kundinnen und Kunden suggeriert, dass mit dem Kauf eines nachhaltigen Fonds oder ETFs die Welt gerettet sei, hat schon verloren. Daher meine eindringliche Bitte: Der Öko-Kitsch muss endlich ein Ende haben!

Und welche Gütesiegel und andere Hilfestellungen nutzen Sie, um den Nachhaltigkeitsanspruch eines Finanzprodukts einschätzen zu können?

Das FNG-Siegel des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) sowie die mittlerweile mehr als 600 Nachhaltigkeitsprofile für Fonds bieten eine gute Grund­lage. Der Eco­Reporter bewertet seit 1999 eine Vielzahl von nachhaltigen Produkten wie Konten, Fonds, ETFs, Aktien und Direktbeteiligungen sowie öffentliche Portale wie Faire Fonds oder MeinFairMögen sind außerdem gute Recherchemöglichkeiten.

Auch die Einführung der ESG-­Abfragepflicht für Versicherungsvermittler im August 2022 wurde lautstark debattiert. Spätestens ab Sommer 2023 gilt sie auch für Finanzanlagenvermittler. Für wie praktikabel halten Sie die Vorgabe für die Beratung?

Jeder Anfang ist mühselig und anstrengend. Als ich vor zwei Jahren das erste Mal von der verpflichtenden Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen erfuhr, war ich begeistert. Diese Begeisterung hat sich in der Zwischenzeit schnell gelegt, denn die Umsetzung finde ich suboptimal. Es kollidiert massives Unwissen seitens der Kundschaft zum Thema Nachhaltigkeit mit sehr technischen Eingruppierungskriterien. Ohne Grundlagenwissen wird die an Nachhaltigkeit interessierte Kundschaft womöglich alle Präferenzen ankreuzen mit dem Ergebnis, dass kein Produkt zur Auswahl übrig bleibt. Oder schlimmer noch, dass das Produkt nicht zur Risikobereitschaft des Kunden bzw. der Kundin passt. Ich gehe davon aus, dass die aktuellen Erfahrungswerte zu Anpassungen führen werden. Denn nur eine praktikable Umsetzung dient der Sache.

Sie selbst gewannen den Jungmakler Award 2012. Welche Relevanz genießt Nachhaltigkeit heutzutage in der jüngeren Beratergeneration?

In Gesprächen mit jüngeren Kollegen und Kolleginnen ist deutlich zu spüren, dass Nachhaltigkeit kein einfaches Add-on in Beratungsalltag ist, sondern ein zunehmend fester Bestandteil. Bereits im Maklerbetrieb wird auf einen sinnvollen Umgang mit Ressourcen geachtet, Mobilität flexibler umgesetzt und dadurch auch unnötige Kosten eingespart.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2023, S. 52 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Jennifer Brockerhoff bzw. © Chinnapong – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Jennifer Brockerhoff