Ein Beitrag von Rechtsanwalt Oliver Renner, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei WÜTERICH BREUCKER RECHTSANWÄLTE PARTNERSCHAFT mbB
Die Haftung für Produktschulungen/Vertriebsveranstaltungen gegenüber Anlegern – konkret von Schulungs- und Vertriebsleitern von Kapitalanlagen wegen falscher Auskünfte und/oder Gutachten sowie fehlerhafter Schulungs- und Vertriebsunterlagen gegenüber Anlegern von Kapitalanlagen gerichtet auf Schadensersatz – war bereits Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Vor dem Hintergrund der zum Schutze des Anlegers unternommenen Änderungen bei der europäischen Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) könnte diese Haftung vermehrt in den Fokus rücken.
Grund hierfür ist, dass sich die Aufklärung des Anlegers weg vom sogenannten „point of sale“ hin zum Emittenten vorverlagert hat. Dies zeigt sich bspw. darin, dass Produktanbieter bereits anzugeben haben, für welche Kundenkategorie sowie für welches Anlageziel das angebotene Kapitalanlageprodukt geeignet ist. Durch die Prospektprüfung hat zudem nicht mehr nur eine formale, sondern nunmehr auch eine inhaltliche Prüfung auf Kohärenz stattzufinden. Der Berater muss letztlich eine Geeignetheitserklärung sowie Verlusttragfähigkeitserklärung abgeben und seine Empfehlung begründen.
Auch die aufsichtsrechtlichen Vorgaben der Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) sind zu beachten. Nach einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Celle (OLG Celle) kann bei einem Verstoß sogar eine deliktische Haftung drohen, die weitreichende Konsequenzen auch ggf. für den Versicherungsschutz hat. Nachfolgend wird eine Auswahl von bislang ergangener Rechtsprechung dargestellt, die eine Haftung bei jeweils unterschiedlichem Sachverhalt bejahte.
Werbemitteilungen gemäß § 14 FinVermV
Werden Werbemitteilungen, die als Gegenstand von Produktschulungen verwandt werden, vom Vermittler gegenüber dem Anleger verwendet, so müssen diese nach § 14 FinVermV redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Wenn hierin eine irreführende lineare Rendite von 16,4% pro Jahr über einen Investitionszeitraum von fünf Jahren in Aussicht gestellt wird, obgleich die Renditeerwartung im Basisszenario auf 11,4% gesunken war, wird hiermit nach Auffassung des OLG Celle eine in die Irre geleitete Ertragserwartung vorgespiegelt. Dies kann eine Haftung aus Delikt nach § 823 Abs. 2 BGB begründen (OLG Celle, Urteil vom 11.05.2023 – Az. 11 U 119/22).
Überprüfungsverfahren der BaFin
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG Stuttgart) handelt ein Geschäftsführer eines Treuhandkommanditisten sittenwidrig und macht sich den Anlegern nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig, wenn er es unterlässt, bei einem Beitritt zu einer Vermögensfondsgesellschaft den Kapitalanleger darüber aufzuklären, dass die BaFin gegen das Beteiligungsunternehmen ein Überprüfungsverfahren wegen des Verdachts unerlaubter Bankgeschäfte eingeleitet hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.12.2008 – Az. 19 U 94/08).
Überprüfungsverfahren der BaFin sind auch im Rahmen von Schulungsveranstaltungen zu beachten. Der Bundesgerichtshof (BGH) konkretisiert die Haftung, wobei hierzu der individuelle Sachverhalt zu beachten ist. Das bloße Unterlassen der Information allein reicht nicht aus, um eine Haftung begründen zu können. Allein die Kenntnis von einer noch entfernt liegenden Möglichkeit, dass die Geschäftstätigkeit gemäß § 37 Kreditwesengesetz untersagt werden könnte und die Anleger hierdurch Schäden erleiden würden, genügt nach Auffassung des BGH nicht. Sittenwidriges Verhalten liegt nur dann vor, wenn trotz positiver Kenntnis von der Chancenlosigkeit der Anlage geschwiegen wurde, also in Kenntnis des Umstands, dass eine Untersagung der Geschäftstätigkeit unmittelbar bevorstand (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – Az. VI ZR 4/09).
Negative Presseberichterstattung
Auch wenn der Leiter einer Vertriebsgesellschaft negative Presseberichterstattungen herunterspielt und/oder Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verschweigt, kann er einer Haftung gegenüber späteren Anlegern ausgesetzt sein (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2004 – Az. 1 U 58/04).
Hier ist also auf den Einzelfall zu achten. Wenn Kenntnis von Überprüfungsverfahren der BaFin oder negative Presseberichte vorliegen oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen am Laufen sind, sollte dies in jedem Fall nicht ohne weitergehende Prüfung unerwähnt bleiben, da sich hierdurch ggf. Haftungsrisiken ergeben könnten.
Angaben zur Einlagensicherung ohne Kenntnis hierüber
Nach einem weiteren Urteil des OLG Celle haftet der Leiter einer Struktur eines Handelsvertretervertriebes den Anlegern aus § 826 BGB wegen Sittenwidrigkeit, wenn er – anstelle wahrheitsgemäßer Anweisung an die Vertreter, wonach sie erklären müssten, dass über die Art der Anlage der Gelder nichts bekannt sei – den Strukturmitarbeitern erklärt, die Anlage erfolge bei einer renommierten ausländischen Bank, die einem Einlagensicherungssystem angehöre, und er damit rechnet, dass diese Aussage an die Anleger weitergegeben wird (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 11 U 107/05).
Das sittenwidrige Verhalten wurde wie folgt begründet: „Dass ihm die Sittenwidrigkeit des Einwerbens und Einwerbenlassens von Geldern für ein nicht einmal im Ansatz umrissenes Anlagekonzept klar war, ergibt sich daraus, dass er Mitglieder seiner Struktur dahin schulte, dass die Anlagen in einem Sicherungssystem abgesichert sein würden, wobei ihm klar war, dass diese das an die Interessenten weitersagen würden, obwohl er tatsächlich derartige Erkenntnisse nicht hatte und über die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und die Entscheidungen der Gesellschaft (der S&D G. Plc) selbst als deren overseas director gar nichts wusste, über diese auch nicht informiert wurde und nicht einmal die geringsten Erkenntnisse darüber hatte, wie mit dem Anlagekapital die in Aussicht gestellte Rendite erwirtschaftet werden sollte und ob diese plausibel sein konnte“ (OLG Celle, Urteil vom 15.12.2005 – 11 U 107/05).
Von vollmundigen Erklärungen sollte man daher Abstand halten, wenn man sie nicht ohne gesicherte Grundlage und Kenntnis vornimmt. Wird dies im Nachhinein offenbar, dann sind einer Haftung Tür und Tor geöffnet.
Garantieversprechen
Eine Haftung für Empfehlungen auf Schulungsveranstaltungen kann sich nach einer Entscheidung des BGH auch dadurch ergeben, dass Anleger unabhängig vom Inhalt des Prospekts durch Täuschung zur Übernahme der Fondsbeteiligung bestimmt wurden.
Im Sachverhalt hat ein Anleger einen Referenten einer Schulungsveranstaltung verklagt. Im Prozess hat der Anleger behauptet, der Referent habe auf Schulungsveranstaltungen den Vermittlern empfohlen, anlässlich von Verhandlungen über den Erwerb von Fondsanteilen gegenüber den Interessenten zu erklären, bei Scheitern des Fonds gewährleiste er persönlich die Erfüllung der Rückzahlungsansprüche der Anleger. In Befolgung dieses Hinweises habe der Anleger gegenüber dem Fondsvermittler bei Abschluss des Vertrages geäußert, der namentlich benannte Referent stehe persönlich O für den Fonds ein. Im Vertrauen auf die Seriosität des Referenten habe der Anleger die Anlage dann gezeichnet. Tatsächlich habe der Referent seine Zusage von vornherein nicht einhalten wollen. Träfe dieser Vortrag zu, so der BGH, so kam es dem Referenten darauf an, dem Fonds mithilfe seiner unrichtigen Erklärung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Als Geschädigter, Ersatz seines negativen Interesses beanspruchen kann, ist der Anleger dann vom Referenten unter Ausgleich aller Vor- und Nachteile so zu stellen, wie der Anleger ohne die Täuschung gestanden hätte (BGH, Urteil vom 28.02.2005 – Az. II ZR 13/03).
Anzuraten ist daher, von persönlichen Haftungs- oder Garantieerklärungen Abstand zu nehmen, wenn hierdurch beim Anleger der Eindruck entstehen könnte, dass der Referent auf Schulungsveranstaltungen hierfür persönlich geradestehen möchte, obwohl dies gar nicht gewollt ist. Dies schafft ggf. Vertriebs- und Kaufanreize, aber auch ein unüberschaubares Haftungsrisiko.
Verharmlosung von Risiken
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm) haftet der Betreiber eines Strukturvertriebs gegenüber Kapitalanlegern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung für Schadensersatz, wenn er die für ihn tätigen Werber dahingehend schult, Risiken der Anlage gegenüber Anlageinteressenten zu verharmlosen oder gar nicht zur Sprache zu bringen (OLG Hamm, Urteil vom 25.02.2010 – Az. I-28 U 78/09).
Aber auch für erstellte Leitfäden, anhand derer Vermittler handeln sollen, kann eine Haftung begründet werden. Wird bei der Vermittlung einer Kapitalanlage ein Leitfaden verwendet, mit dem ein Bild von der Anlage gezeichnet wird, das die nachfolgenden Risikohinweise entwertet oder jedenfalls mindert und wird durch konkrete Angaben in dem Leitfaden maßgeblich zu einer falschen Beratung beigetragen und billigend in Kauf genommen, dass sich der Anleger, beeindruckt durch das Präsentationsgespräch, der Fehler und Widersprüchlichkeiten zwischen Leitfaden und Prospekt oder Beratungsprotokoll nicht bewusst wird und eine Anlage zeichnet, die er ohne die falschen und beschönigenden Angaben im Leitfaden nicht gezeichnet hätte, so haftet das den Leitfaden herausgebende Unternehmen dem Anlageinteressenten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB auf den Zeichnungsschaden (OLG München, Urteil vom 29.04.2013 – Az. 20 U 4151/1 ).
Auch der Vorstand einer Emittentin kann persönlich in Haftung genommen werden, wenn er Vermittler bewusst so schult, dass zentrale Risiken des Produkts verschwiegen werden sollen (LG Memmingen, Urteil vom 05.02.2009 – Az. 3 O 894/08). Sowohl in Schulungsveranstaltungen als auch in schriftlichen Unterlagen sollten daher bestehende Risiken nicht nur nicht verschwiegen, sondern auch nicht verharmlosend dargestellt werden.
Haftung einer Bank
Auch eine Bank kann im Falle einer über Kredit finanzierten Kapitalanlage aufgrund ihrer Beteiligung an Vertriebsveranstaltungen in Haftung genommen werden. Hierüber hatte der BGH in einem Urteil vom 11.01.2022 (Az. XI ZR 215/19) zu entscheiden. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 17.03.2012 veranstaltete die Emittentin in einer Arena den sogenannten „2. Power Day“, eine Werbeveranstaltung, die sich an (künftige) Vermittler richtete, aber auch Anlegern offenstand. Bei dieser Veranstaltung traten ein Filialdirektor der Bank als Teilnehmer einer Gesprächsrunde und der Finanzvorstand der Bank als Referent auf.
Die Kapitalanlage – eine kreditfinanzierte Investition in eine Photovoltaikanlage – war nicht plausibel. Ein wesentliches Risiko des Konzepts hatte darin bestanden, ob die den Rentabilitätsberechnungen zugrunde liegenden Prognosen zum erzielbaren Stromertrag über das stets bestehende Prognoserisiko hinaus überhaupt korrekt erstellt gewesen seien oder nicht. Hier sei die Rentabilität des gesamten Konstrukts letztlich von einer schlichten und ungeprüften Behauptung des Initiators abhängig gewesen.
Der BGH hat hier aufgrund der Teilnahme der Bank an der Veranstaltung eine Haftung angenommen. Grundsätzlich haftet eine finanzierende Bank nicht für das Risiko der Kapitalanlage, also für das finanzierte Risiko.
Ausnahmsweise kommt eine Aufklärungspflicht des Darlehensgebers aber u. a. wegen Überschreitung der Kreditgeberrolle in Betracht. Dies liegt dann vor, wenn die Bank im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Objekts gleichsam als Partei des zu finanzierenden Geschäfts in nach außen erkennbarer Weise Funktionen oder Aufgaben des Veräußerers oder Vertreibers übernommen und damit einen zusätzlichen, auf die übernommenen Funktionen bezogenen Vertrauenstatbestand gegenüber potenziellen Anlegern geschaffen hat. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Darlehensgeber – nach außen erkennbar – Einfluss auf die unternehmerische Planung oder auf die Werbung genommen oder jedenfalls den zurechenbaren Anschein einer weitergehenden Zusammenarbeit mit den Initiatoren des Anlageobjekts erweckt hat oder wenn er die zu finanzierende Kapitalanlage befürwortet und dadurch beim Anleger den Eindruck erweckt hat, die Anlage mit der üblichen Sorgfalt einer Bank und mit positivem Ergebnis geprüft zu haben.
Der BGH hat in diesem Sinne ein Überschreiten der bloßen Kreditgeberrolle bejaht. Die Bank hat mit ihrer Mitwirkung an dem „2. Power Day“ und den von ihrem Filialdirektor und ihrem Finanzvorstand dort getätigten Äußerungen ihre Kreditgeberrolle überschritten, indem sie dadurch gegenüber den anwesenden Teilnehmern der Veranstaltung und damit nach außen erkennbar durch Ausnutzung des speziell in sie als Bank gesetzten Vertrauens Einfluss auf die Werbung für die Investition in den Solarpark genommen und den Eindruck einer Beteiligung an Konzept und Konzeptentwicklung erweckt hat.
Eine Haftung der Bank kommt in einem solchen Fall dann in Betracht, wenn Anleger, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben, aufgrund der Mitwirkung der Bank sich entscheiden, die Kapitalanlage zu zeichnen.
Fazit
Für falsche Versprechungen oder Angaben, die ohne Grundlage und notwendige Kenntnis gemacht wurden, haftet man; auch, wenn Risiken verharmlosend dargestellt werden. Eine Haftung kann aber auch entstehen, wenn sich ggf. jemand geriert, alles zu wissen und dabei verschweigt, dass entscheidungserhebliche Umstände nicht geprüft worden sind. Sich schlauer erscheinen zu lassen, als man ist, funktioniert oft. Wird man aber entlarvt, droht eine Haftung. Man sollte nicht davon ausgehen, dass andere nicht so schlau sind, wie man selbst zu sein glaubt.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2023, S. 116ff., und in unserem ePaper.
Bild oben: © magele-picture – stock.adobe.com; Porträtfoto: © Oliver Renner
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