Die Grundfähigkeitsversicherung ist aktuell ins Rampenlicht gerückt. Der Grund: Eine Feststellung in einem aktuellen BGH-Urteil. Diese konnte nämlich so verstanden werden, dass es sich bei einer Grundfähigkeitsversicherung nicht um eine Lebens-, sondern vielmehr um eine Sachversicherung handele. Und diese Auffassung hätte ungeahnte Folgen, etwa für das Kündigungsrecht des Versicherers. Doch die Anbieter beschwichtigen und stellten auf AssCompact Nachfrage zuletzt klar, dass sie die Grundfähigkeitspolice weiterhin als Lebensversicherung einstufen.
Mit Blick auf die Historie der Absicherung von Grundfähigkeiten spielt die Vorsorgelösung spätestens seit den 2000er-Jahren eine Rolle in der Arbeitskraftabsicherung und hat seitdem kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile steigt aber auch die Zahl der Leistungsfälle, sodass ein näherer Blick auf die Entwicklungen und Herausforderungen lohnt. AssCompact hat sich dazu im Markt umgehört.
Grundfähigkeitsversicherung relevant seit etwa 25 Jahren
Canada Life ging im Jahr 2000 auf den Markt und hat seither an Anspruchsberechtigte mehr als 8,31 Mio. Euro ausgezahlt. Dabei beläuft sich die durchschnittliche Monatsrente pro versicherte Person auf 1.291 Euro, wie der Versicherer auf eine AssCompact-Anfrage mitteilt. Insofern konnte Canada Life bereits viel Erfahrung in der Leistungsregulierung sammeln. Andere Versicherer, die erst später auf den Markt gingen, werden erst nach und nach mit Leistungsfällen konfrontiert. Die Allianz bietet die Grundfähigkeitsversicherungen beispielsweise erst seit 2011 an. Die Nürnberger ist seit 2012 mit einem Angebot am Markt, hatte Ende 2023 rund 26.000 Verträge im Bestand und berichtet, dass seit 2019 die Zahl der jährlichen Leistungsanträge steigt.
Dauer der Leistungsregulierung kürzer als in der BU-Versicherung
Die Qualitätsstandards in der Leistungsregulierung lassen sich die genannten Versicherer von Ratingagenturen testieren. So Canada Life von Assekurata, die Nürnberger, die Allianz und die Gothaer beispielsweise bei Franke und Bornberg. Das Analysehaus hat die Leistungspraxis der drei Versicherer untersucht und festgestellt, dass bei den teilnehmenden Versicherern – bezogen auf das Jahr 2023 – die Leistungsregulierung im Durchschnitt gut 137 Tage gedauert hat. Das sind 45 Tage oder 25% weniger als bei BU-Verträgen. Philipp Wedekind, Leiter Rating Vorsorge und Nachhaltigkeit bei Franke und Bornberg, nennt dafür einige Gründe: „Beim Grundfähigkeitsschutz spielt der Beruf keine Rolle. Damit entfällt die aufwendige Prüfung, ob und in welchem Umfang Antragsteller ihren Beruf noch ausüben können. Das spart wertvolle Zeit und für Versicherte auch Nerven.“
Die Ergebnisse sind aufgrund der niedrigen Fallzahlen nicht repräsentativ. In der Tendenz stellen die Analysten aber fest, dass sich die Grundfähigkeits-Anerkennungsquoten deutlich unter denen der BU-Versicherung bewegen. Das liege zum einen an den jungen Beständen, sagt Wedekind. Verletzungen der vorvertraglichen Anzeigepflicht spielten hier naturgemäß eine größere Rolle.
Anerkennung oder Ablehnung?
Es gibt aber auch noch andere Gründe. Zum Beispiel gibt es keinen eindeutigen Leistungsauslöser wie in der BU und häufig werde, wie Wedekind sagt, der vereinbarte Grad der Einschränkung nach der Definition der betroffenen Grundfähigkeit nicht erreicht. Canada Life hat die Erfahrung gemacht, dass auch Leistungsanträge eingereicht werden, bei denen es um psychische Erkrankungen geht, diese aber in der Grundfähigkeitsversicherung nicht versichert seien. Auch verfrühte Anträge, bevor ersichtlich ist, ob die Beeinträchtigung bestehen bleibt, können zudem zu Ablehnungen führen.
Die Nürnberger stellt zwei Dinge fest: Entscheidungen über einen Leistungsantrag bei einem Grundfähigkeitsvertrag können sehr schnell und unproblematisch erfolgen – dies sei insbesondere bei einem vollständigen Wegfall einer versicherten Grundfähigkeit, etwa im Zusammenhang mit einem Unfall oder Schlaganfall, der Fall. Bei Einschränkungen von Grundfähigkeiten infolge Erkrankungen könne die Prüfung, ob die bedingungsgemäßen Voraussetzungen für einen Leistungsfall erfüllt seien, dagegen zeitaufwendiger sein. So können beispielsweise bei Multipler Sklerose Grundfähigkeiten wie „Gehen“, „Treppen steigen“ oder „Sehen“ nachvollziehbar eingeschränkt sein. Ob eine Einschränkung zum aktuellen Zeitpunkt der Leistungsprüfung in dem bedingungsgemäß geforderten Umfang bereits vorliegt, könne manchmal aber nur durch ärztliche Befragungen oder durch eine gutachterliche Untersuchung geklärt werden.
Bei Bausteinauswahl genau hinsehen
Ein generelles Problem wollen die Versicherer dagegen nicht feststellen, was das Verständnis der Definitionen angeht. Sie verweisen darauf, dass die Leistungsauslöser in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen transparent und verständlich beschrieben sind. Im AssCompact Austausch weisen Canada Life und Nürnberger aber darauf hin, dass es bei der Auswahl oder eben Nicht-Auswahl von Bausteinen zu Problemen kommen kann. So etwa, wenn ein Leistungsantrag mit länger andauernden Arbeitsunfähigkeit (AU) begründet wird. „Wenn der AU-Schutz, den wir auch in der Grundfähigkeitsversicherung als optionalen Baustein anbieten, nicht mitversichert ist, müssen wir solche Leistungsanträge ablehnen“, erklärt die Nürnberger.
Dennoch beschäftigt den Markt die Frage, ob Kunden und Versicherer beim Grundfähigkeitsschutz tatsächlich immer dasselbe verstehen. Dazu mehr im zweiten Teil des AssCompact Berichts, der in den nächsten Tagen auf asscompact.de erscheinen wird. Dort geht es um die Einschätzungen eines weiteren Analysehauses und eines Versicherungsmaklers sowie um aktuelle Produkt-Updates. (bh)
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