Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) hat sich mit zwei Eilanträgen zu den Bewertungsregeln des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts befasst. Die Finanzrichter haben entschieden, dass die Vollziehung der entsprechenden Grundsteuerwertbescheide wegen „ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ auszusetzen ist (Beschlüsse vom 23.11.2023; Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23). Somit konnten Steuerpflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung der Grundsteuer nach dem sogenannten Bundesmodell durchdringen.
Dem Gericht zufolge bestünden „nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln“.
Ermittlung der Bodenrichtwerte im Visier der Richter
Die Richter bezweifeln vor allem, ob die Bodenrichtwerte, die entscheidend in die Bewertung eingeflossen sind, rechtmäßig zustande gekommen seien. Das Finanzgericht stellt die Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse in Frage. Nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung könnten Einflussnahmemöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden, heißt es dazu. Zudem äußern die Richter Bedenken bezüglich der Datengrundlage, die zur Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendig ist. In den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse seien Datenlücken zu befürchten, die zu Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen könnten.
Abweichung vom typisierten Grundsteuerwert nachweisen können
Wie das Finanzgericht Rheinland-Pfalz weiter mitteilt, sollten Steuerpflichtige außerdem die Möglichkeit haben – im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen –, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachweisen zu können. Dies leitet das Gericht aus einer verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts ab. Andernfalls könnten wegen einer fast vollständig typisierten Besteuerung erhebliche Härten entstehen. Für einen solchen Nachweis besteht nach Auslegung der Richter keine Verpflichtung eines förmlichen Sachverständigengutachtens.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bewertungsregelungen bekundeten die Richter im Hinblick auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Gleichheitssatz begründe für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung. Den Richtern zufolge sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle. Nicht klar sei außerdem, wie überprüft werden könne, ob die durch das Bewertungssystem erreichten Bewertungsergebnisse „relationsgerecht“ seien, also tatsächlich bestehende Wertunterschiede angemessen abbilden könnten.
Weitere Bedenken der Richter
Zudem meldete das Finanzgericht „ernstliche Zweifel“ daran an, ob die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen. Vor allem die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke geben Anlass zu Bedenken. Nach Einschätzung der Richter könne es zu Wertverzerrungen bei der Grundsteuerwertermittlung kommen. Die Regelungstechnik bewirke „eine gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung“. So würden hochwertige Immobilien systematisch unterbewertet und Immobilien in weniger begehrten Lagen bzw. in schlechterem baulichen Zustand oder mit weniger hochwertigen Ausstattungsmerkmalen systematisch überbewertet. Die Regelungen würden zudem in erheblichem Umfang zu Wertverschiebungen führen, sodass insgesamt nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden könne.
Vollzugsdefizit bei Ermittlung der Bodenrichtwerte
Des Weiteren spricht das Finanzgericht von einem gleichheitswidrigen Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte: Die Werte würden häufig aus der Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt, ohne dass den Gutachterausschüssen effektive Instrumente zur Sachverhaltsermittlung und Verifikation der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung stünden.
Finanzrechtsweg eröffnet
In verfahrensrechtlicher Hinsicht stärkte das Finanzgericht die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten für Steuerpflichtige, indem es von einer umfassenden Eröffnung des Finanzrechtswegs ausgeht. Die Richter sind somit nicht der Auffassung des Finanzamts, das für den Rechtsschutz bezüglich der Bodenrichtwerte die Verwaltungsgerichte als zuständig betrachtete. Die Eröffnung des Finanzrechtswegs vermeidet für Steuerpflichtige eine zweifache Rechtsverfolgung in verschiedenen Gerichtszweigen.
Weg zum Bundesfinanzhof geebnet
Das Finanzgericht weist explizit darauf hin, dass es sich um zwei Einzelfälle handelt, über die zudem erst im einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Die Aussetzung der Vollziehung der ergangenen Grundsteuerwertbescheide habe zwar zur Folge, dass auch die Vollziehung der in den Streitfällen künftig auf den 01.01.2025 zu erlassenden Grundsteuerbescheide von Gesetzes wegen ausgesetzt werde. Damit sei jedoch noch keine Aufhebung der angegriffenen Bescheide und erst recht nicht eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln verbunden, so die Richter weiter.
Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Rechtsgutachten sieht Grundsteuergesetz als verfassungswidrig an
Anfang 2025 tritt die geänderte Grundsteuer in Kraft. Anlass für die Neuregelungen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018. Elf Bundesländer arbeiten mit dem Bundesmodell. Fünf Landesregierungen haben sich für eigene Modelle entschieden. Die neuen Regelungen stießen auf große Gegenwehr und es hagelte Einsprüche (AssCompact berichtete).
Der Eigentümerverband Haus & Grund sowie der Bund der Steuerzahler hatten bereits im April Musterklagen angekündigt. Als Grundlage diente ein Rechtsgutachten von Prof. Gregor Kirchhof. Darin kam der Verfassungsrechtler zu dem Ergebnis, dass das neue Grundsteuergesetz des Bundes verfassungswidrig sei. Kirchhof erachtete gerade die Bodenrichtwerte für ungeeignet, Grundlage für eine Grundsteuer zu sein.
„Die Bodenrichtwerte sind ein wesentlicher Grund, warum die neue Grundsteuer auf sehr wackligen Füßen steht. Für uns sind die beiden Entscheidungen Motivation, in unseren Musterverfahren die Grundsteuer bis nach Karlsruhe zu tragen“, erklärte Kai Warnecke. Präsident von Haus & Grund. (tk)
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