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29. Juli 2023
Grenze der Versicherbarkeit bei Elementarrisiken
Wo liegt die Grenze der Versicherbarkeit bei Elementarrisiken?

Grenze der Versicherbarkeit bei Elementarrisiken

Die Zunahme von Naturkatastrophen führt zu erheblichen Schäden. Die Versicherbarkeit bestimmter Risiken stößt daher an ihre Grenzen. Wie könnte die Versicherungswirtschaft darauf reagieren, ohne dass die Risikoprämien stark ansteigen? Welche Konzepte könnten die Grenze der Versicherbarkeit weiter hinausschieben?

Interview mit Dr. Ulrich Keunecke, Partner und Leiter Versicherungsrecht bei KPMG Law
Herr Dr. Keunecke, die verschiedenen Krisen der vergangenen Zeit und auch neue Risiken zeigen, dass es Grenzen bei der Versicherbarkeit gibt. Diskutiert wird dann über privat-öffentliche Partnerschaften. Wird die Branche das Thema immer mehr beschäftigen?

In den letzten Jahren haben wir eine Zunahme von Naturkatastrophen wie Hurrikans, Waldbränden und Überschwemmungen erlebt, die zu erheblichen Schäden geführt haben. Gleichzeitig haben sich auch neue Risiken ergeben, beispielsweise Cyberkriminalität und der Klimawandel, die sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen große Herausforderungen darstellen. Diese Entwicklungen haben gezeigt, dass die Versicherbarkeit bestimmter Risiken an ihre Grenzen stoßen kann.

Privat-öffentliche Partnerschaften können eine Möglichkeit sein, diese Herausforderungen anzugehen. Durch solche Partnerschaften können Risiken auf eine breitere Basis verteilt werden, was den Versicherern hilft, das finanzielle Ausmaß von Schäden zu reduzieren und Versicherungsschutz für bisher schwer versicherbare Risiken anzubieten.

Angesichts der zunehmenden Komplexität und des Ausmaßes der Risiken wird die Zusammenarbeit zwischen privaten Versicherern und öffentlichen Institutionen voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen.

Mit Blick auf den Klimawandel und dessen Folgen stellt sich die Frage nach der Versicherbarkeit. Am Beispiel von Elementarschadengefahren wie Hochwasser oder Starkregen: Von welchen Kriterien hängt die Versicherbarkeit dieser Risiken vorwiegend ab?

Die Versicherbarkeit von Elementarschadengefahren wie Hochwasser oder Starkregen hängt von verschiedenen Kriterien ab. Versicherungsunternehmen führen eine umfassende Risikobewertung durch, um die Wahrscheinlichkeit und das potenzielle Ausmaß von Schäden durch Elementarschadensgefahren zu bestimmen. Faktoren wie geografische Lage, Gelände- und Bodenbeschaffenheit, historische Daten zu vergangenen Schäden und meteorologische Daten werden berücksichtigt. Je besser das Risiko bewertet werden kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es versicherbar ist.

Um das Risiko angemessen bewerten zu können, benötigen Versicherungsunternehmen zuverlässige und umfangreiche Daten über Elementarschadensgefahren. Dies kann Informationen über lokale Niederschlagsmuster, hydrologische Daten, geografische Informationen und historische Schadendaten umfassen. Das Vorhandensein hochqualitativer Daten kann die Versicherbarkeit verbessern.

Die Versicherbarkeit von Elementarschadengefahren hängt auch davon ab, inwieweit präventive Maßnahmen ergriffen werden, um das Risiko und potenzielle Schäden zu minimieren. Dies umfasst beispielsweise den Bau von Schutzmaßnahmen wie Deichen oder Rückhaltebecken gegen Hochwasser oder die Verbesserung der Entwässerungssys­teme bei Starkregen.

In einigen Fällen können Versicherungsunternehmen aufgrund des hohen Schadenpotenzials oder der begrenzten Kapazität auf dem Versicherungsmarkt bei der Versicherung bestimmter Risiken zurückhaltend sein. Die Versicherbarkeit kann somit auch von der Nachfrage und den Präferenzen der Versicherungsnehmer abhängen.

Die Versicherbarkeit von Elementarschadengefahren kann nicht zuletzt auch von den regulatorischen Rahmenbedingungen abhängen. Der Staat könnte beispielsweise spezielle Versicherungspools oder Rückversicherungsprogramme einrichten, um den Versicherungsschutz für besonders gefährdete Gebiete zu erleichtern.

Am Beispiel der Elementar wird zugleich deutlich, dass sich die Versicherer aus Hochrisikobereichen wie ZÜRS 4 zurückziehen und keinen oder nur noch reduzierten Versicherungsschutz anbieten. Können Versicherer überhaupt noch eine Immobilie im hochwassergefährdeten Gebiet versichern?

Die Verfügbarkeit und Bedingungen des Versicherungsschutzes hängen von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des spezifischen Standorts, der historischen Überschwemmungsdaten, der lokalen Infrastrukturmaßnahmen zur Risikominderung und der individuellen Risikobewertung durch den Versicherer. In einigen Fällen können Versicherer Immobilien in hochwassergefährdeten Gebieten immer noch versichern, jedoch zu höheren Prämien oder mit Einschränkungen und höheren Selbstbeteiligungen.

Ferner könnte der Staat wie gesagt etwa spezielle Versicherungspools oder -programme bereitstellen, um den Versicherungsschutz in solchen Gebieten aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus können präven­tive Maßnahmen zur Risikominderung wie zum Beispiel der Bau von Hochwasserschutzeinrichtungen oder die Verbesserung der Entwässerungssysteme die Versicherbarkeit erhöhen.

Entstehen angesichts des klimawandelbedingt gestiegenen und schwer kalkulierbaren Risikos damit nun erhebliche Versicherungslücken?

Der Klimawandel führt zu einer Zunahme von extremen Wetterereignissen und Naturkatastrophen, die zu schweren Schäden an Immobilien, Infrastruktur und anderen Vermögenswerten führen können. Diese steigenden Risiken können tatsächlich zu Versicherungslücken beitragen.

Angesichts der steigenden Risiken ziehen sich Versicherer möglicherweise aus Gebieten mit hohem Schadenpotenzial zurück, schränken den Versicherungsschutz ein, erhöhen die Prämien, legen Versicherungsobergrenzen fest oder erhöhen die Selbstbeteiligungen. Dies kann dazu führen, dass Hausbesitzer oder Unternehmen Schwierigkeiten haben, angemessenen Versicherungsschutz zu erhalten, vor allem dann, wenn bereits mehrere Schadenereignisse eingetreten sind.

Der Klimawandel bringt neue und schwer kalkulierbare Risiken mit sich, zum Beispiel langfristige Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs, die potenziell große Teile von Küstengebieten bedrohen können. Solche Risiken können von Versicherungsunternehmen als besonders unsicher angesehen werden, was zu Schwierigkeiten bei der Festlegung von Prämien und Versicherungsbedingungen führen kann.

Wie könnten Versicherungslösungen künftig aussehen, ohne die Prämien in astronomische Größenordnungen steigen zu lassen?

Neben den bereits genannten Maßnahmen wie verbesserte Datenanalyse und Risikomodellierung, der Zusammenarbeit zwischen Versicherern und staatlichen Stellen können etwa Investitionen in präventive Maßnahmen zur Risikominderung die Schadenhäufigkeit und -kosten reduzieren. Versicherungsunternehmen könnten Anreize schaffen, um Hausbesitzer und Unternehmen dazu zu ermutigen, bauliche Maßnahmen zum Schutz vor Elementarschäden wie etwa Hochwasserschutzmaßnahmen oder verbesserte Entwässerungssysteme, umzusetzen.

Parametrische Versicherungen könnten an Bedeutung gewinnen. Sie basieren auf vordefinierten Messgrößen wie zum Beispiel Niederschlagsmengen oder Windgeschwindigkeiten. Anstatt individuelle Schäden zu bewerten, wird eine vorher festgelegte Schwelle überschritten, um eine Entschädigung auszulösen. Parametrische Versicherungen können effizienter sein, da sie den administrativen Aufwand und die Unsicherheit bei der Schadenbewertung reduzieren können.

Neben traditionellen Versicherungslösungen könnten auch alternative Finanzierungsinstrumente und Risikotransfermechanismen eingesetzt werden wie etwa Katastrophenanleihen (Cat Bonds), Rückversicherungsverträge oder andere Formen der Kapitalmarktfinanzier­ung. Diese Instrumente ermöglichen es Versicherungsunternehmen, das Risiko auf Investoren zu übertragen und zusätzliche Kapazitäten für die Abdeckung von Elementarschadenrisiken bereitzustellen.

Und würde das bei einem stark hochwassergefährdeten Immobilienstandort überhaupt noch helfen?

Bei einem stark hochwassergefährdeten Immobilienstandort könnten die genannten Ansätze helfen, den Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Allerdings gibt es Grenzen, insbesondere wenn das Risiko extrem hoch ist. In solchen Fällen könnten andere Maßnahmen erforderlich sein wie beispielsweise die stärkere Fokussierung auf präventive Maßnahmen und Anpassungsstrategien, um die Auswirkungen von Hochwasserereignissen zu minimieren.

Versicherer sind Risikomanager. Ihre Kernaufgabe ist der Risikotransfer. Warum fällt selbst diesen Spezialisten bei Hochrisikobereichen wie der hochwassergefährdeten Immobilie das risikogerechte Pricing immer schwerer?

Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben. Hochwasserrisiken sind oft komplex und vielfältig. Es gibt verschiedene Faktoren, die das Risiko beeinflussen, wie geografische Lage, Höhe des Gebiets über dem Meeresspiegel, Nähe zu Gewässern, historische Hochwasseraufzeichnungen oder lokale Infrastruktur. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren kann die Bewertung und das Pricing des Risikos erschweren.

Der Klimawandel führt zudem zu einer erhöhten Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Wetterereignisse und deren Auswirkungen. Dies erschwert die Vorhersage von Hochwasserrisiken und die Berechnung von angemessenen Prämien. Darüber hinaus können begrenzte historische Daten zu Hochwasserschäden vorhanden sein, insbesondere bei seltenen oder extremen Ereignissen, was die Risikobewertung zusätzlich erschwert.

Außerdem müssen Versicherer langfristige Verpflichtungen eingehen, da Versicherungsverträge oft über mehrere Jahre laufen. Bei hochwassergefährdeten Gebieten besteht die Herausforderung darin, das langfristige Risiko und die potenziellen Schadenkosten über einen längeren Zeitraum zu bewerten. Die Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Klimaentwicklungen und die möglichen Veränderungen in den Hochwasserrisiken erschweren eine genaue Abschätzung der langfristigen Risiken.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich Versicherer aufgrund der steigenden Schadenkosten und des erhöhten Risikos möglicherweise aus Hochrisikobereichen zurückziehen oder den Versicherungsschutz einschränken. Dies kann dazu führen, dass die verbleibenden Versicherer ein höheres Risiko übernehmen müssen, was wiederum das Pricing erschwert.

Und auch die regulatorischen Rahmenbedingungen können die Flexibilität der Versicherer bei der Festlegung von Prämien einschränken. In einigen Ländern gibt es Vorschriften, die die Prämienhöhe begrenzen oder Risikopools erfordern, um die Versicherbarkeit in hochrisikoreichen Gebieten aufrechtzuerhalten.

Die Herausforderungen beim risikogerechten Pricing spiegeln die Komplexität und Unsicherheit der Hochwasserrisiken, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel, wider. Die Branche arbeitet kontinuierlich daran, die Bewertungsmethoden und Prämienmodelle zu verbessern, um den Veränderungen in den Risikolandschaften gerecht zu werden.

Welche weiteren Konzepte/Ideen könnten denn dabei helfen, die Grenze der Versicherbarkeit im Bereich Elementar noch weiter hinauszuschieben?

Ergänzend zu den bereits angesprochenen Konzepten und Ideen können Versicherer etwa durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien wie Satellitendaten, Geoinformationssystemen und Modellierungstechniken ein noch besseres Verständnis der Risiken erlangen und noch präzisere Risikobewertungen vornehmen. Dies ermöglicht eine genauere Preisgestaltung und die Identifizierung von Möglichkeiten zur Risikominderung.

Und durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz können Versicherer neue Erkenntnisse über Risikomuster gewinnen. Dies ermöglicht eine personalisierte Risikobewertung und die Entwicklung maßgeschneiderter Versicherungsprodukte.

Außerdem können Versicherer mit Technologieunternehmen zusammenarbeiten, um innovative Lösungen für die Risikobewertung und Schadenprävention zu entwickeln. Zum Beispiel könnten Sensoren und Internet-of-Things-Geräte verwendet werden, um frühzeitige Warnungen vor Naturkatastrophen zu ermöglichen und Schäden zu minimieren.

Die genannten Konzepte bieten zwar keine Garantie für eine umfassende Versicherbarkeit, insbesondere in Gebieten mit extrem hohen Risiken. Dennoch können sie dazu beitragen, die Versicherbarkeit zu erweitern und den Umgang mit Elementarschäden im Kontext des Klimawandels zu verbessern.

Könnte die Einführung einer Ver­sicherungspflicht gegen Elementarrisiken, wie sie aktuell diskutiert wird, weiterhelfen?

Die Einführung einer Versicherungspflicht gegen Elementarrisiken kann potenziell dazu beitragen, die Versicherbarkeit von Elementarschäden zu verbessern. Eine Versicherungspflicht würde sicherstellen, dass alle Immobilienbesitzer in hochrisikobehafteten Gebieten eine Versicherung gegen Elementarschäden haben. Dies würde die Gesamtdeckung erhöhen und sicherstellen, dass kein Eigentümer ungeschützt bleibt.

Durch die Beteiligung einer breiten Gruppe von Versicherungsnehmern kann zudem das Risiko besser auf viele Versicherungsunternehmen verteilt werden. Dies kann die finanzielle Belastung für einzelne Versicherer reduzieren und die Versicherbarkeit in hochrisikobehafteten Gebieten aufrechterhalten. Eine Versicherungspflicht kann auch Anreize schaffen, langfristige Risikominderungsmaßnahmen umzusetzen.

Ferner würden alle Eigentümer in einem bestimmten Gebiet gleichbehandelt werden. Dies verhindert eine selektive Risikoselektion durch Versicherungsunternehmen und stellt sicher, dass der Versicherungsschutz für alle zugänglich ist.

Aber ohne Nachteile würde die Einführung einer Versicherungspflicht auch nicht ablaufen, oder?

Eine Versicherungspflicht würde indes auch Herausforderungen mit sich bringen. Einige Eigentümer könnten etwa Schwierigkeiten haben, erschwinglichen Versicherungsschutz zu finden, insbesondere wenn das Risiko extrem hoch ist. In solchen Fällen könnten staatliche Unterstützungsmaßnahmen oder Rückversicherungsprogramme erforderlich sein, um die Versicherbarkeit zu gewährleisten.

Insgesamt kann eine Versicherungspflicht gegen Elementarrisiken ein Instrument sein, um die Versicherbarkeit zu verbessern und den Umgang mit den Folgen des Klimawandels zu unterstützen. Allerdings werden immer auch andere Ansätze wie Risikominderung, Forschung und Innovation weiterhin eine Rolle spielen, um eine umfassende Lösung zu erreichen.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2023, S. 38 ff., und in unserem ePaper.

Bild: © Dr. Ulrich Keunecke, KPMG Law bzw. © Christian – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Dr. Ulrich Keunecke

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Jan Lanc (392496) am 31. Juli 2023 - 10:06

Es lässt sich doch jedes Haus versichern, natürlich muss ein exponiertes Risiko mehr kosten aber da könnte die Politik ja mit Förderung helfen. So wären diese lästigen Staatshilfen bei Schäden nicht mehr nötig.