Ein Artikel von Dr. Dirk Rathjen, Vorstand der Institut für Vermögensaufbau (IVA) AG
Nachhaltigkeit in der Geldanlage ist ein Thema, das die Finanzbranche derzeit umtreibt wie kaum ein anderes. Eine große Frage ist, welche Finanzprodukte, insbesondere Fonds, eigentlich nachhaltig sind. Viele Fondsgesellschaften bieten Fonds an, die zwar als nachhaltig beworben werden, sich bei genauem Hinschauen jedoch als Mogelpackungen erweisen.
Um dieses „Greenwashing“ zu vermeiden, suchen unter anderem Versicherer und Berater nach verlässlichen Indikatoren, welche Fonds wirklich nachhaltig sind. Ein naheliegendes Kriterium ist die Einstufung des Fonds nach Offenlegungsverordnung (SFDR). Wenn Fonds nach Artikel 8 (ökologische oder soziale Merkmale werden beworben bzw. gefördert) oder 9 (eine nachhaltige Investition wird angestrebt) der SFDR kategorisiert sind, sollten Anleger sicher sein können, nachhaltig zu investieren. Dennoch gibt es regelmäßig Berichte, dass viele der nach Artikel 8 oder 9 eingestuften Fonds nicht nachhaltig seien.
Was ist die Ursache des Problems?
Wie so häufig ist es eine Frage der Definition. Die meisten Menschen haben eine diffuse Vorstellung, was sie sich unter „Nachhaltigkeit“ vorstellen sollen. Andere haben zwar klare Vorstellungen, diese unterscheiden sich aber massiv. Anleger, die unter „Nachhaltigkeit“ primär die Bekämpfung des Klimawandels verstehen, finden eine Aktie wie Tesla nachhaltig, weil das Unternehmen Elektroautos herstellt. Wer unter „nachhaltig“ hingegen den fairen Umgang mit Mitarbeitern und Kunden versteht, ist über solch ein Unternehmen möglicherweise entsetzt. Wer beides berücksichtigt, kann zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Wenn also ein Fonds, der Climate Change im Namen trägt und nach Artikel 9 klassifiziert ist, in Tesla investiert, kann dies nach seiner Definition nachhaltig sein, für viele Anleger aber ein Grund zur Empörung. Dies hat nichts mit Greenwashing zu tun, sondern mit den zahllosen völlig unterschiedlichen Definitionen von „Nachhaltigkeit“. Der Climate-Change-Fonds zielt nicht auf ganzheitliche Nachhaltigkeit ab, sondern nur auf einen einzelnen Teilaspekt. Ganzheitlichkeit ist ein Schlüssel zur Auflösung der Missverständnisse.
Woran krankt die Einstufung in der Praxis?
Die EU hat im Rahmen ihres Green Deals eine Reihe von Verordnungen erlassen, die sich mit Nachhaltigkeit befassen. In Artikel 2 Absatz 17 der Offenlegungsverordnung steht: „… nachhaltige Investition (bezeichnet) eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt … oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt … vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen.“
Bei der Definition gibt es drei große Knackpunkte:
- „eines Umweltziels“ – In der Praxis heißt das beispielsweise: Ein Solarzellenhersteller, der besonders viel Wasser verbraucht und überdurchschnittlich viele Arbeitsunfälle hat, ist für einen Fonds, der nur den Klimawandel bekämpfen soll, gut geeignet. Er darf nur keinen „erheblichen Schaden“ anrichten. Was genau „erheblicher Schaden“ bedeutet, darf jeder Produktanbieter einstweilen selbst entscheiden. Ganzheitlichkeit ist nicht vorgegeben.
- „wirtschaftliche Tätigkeit“ – Die EU klassifiziert nicht Unternehmen als solche, sondern ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wie die Produktion von Stahl oder Strom. Da es zehntausende Produkte und Dienstleistungen gibt, die Taxonomie der EU aber nur für einen kleinen Bruchteil Nachhaltigkeit spezifiziert, lassen sich nur wenige Unternehmen nach der Taxonomie vollständig bewerten, rund 5%. Für die übrigen 95% ergibt die Anwendung der Taxonomie Ergebnisse wie „3% der wirtschaftlichen Aktivitäten sind nachhaltig, 2% nicht nachhaltig, 95% nicht nach Taxonomie einstufbar“. Hinzu kommt: Die Taxonomie existiert bisher erst für Umweltaspekte. Für soziale Aspekte liegt sie noch gar nicht vor. Es lässt sich somit einstweilen kein einziges Unternehmen nach der Taxonomie als sozial nachhaltig einstufen. Deshalb können sich Fondsgesellschaften schlecht auf die Taxonomie in ihrem jetzigen unfertigen Zustand stützen. Eine Analyse von Morningstar aus dem Juli 2022 zeigte entsprechend, dass nur 27% der Artikel-8/9-Fonds überhaupt einen Mindestanteil taxonomiekonformer Investments angaben. Von diesen wiederum bezifferten 90% der Fonds diese Quote auf null.
- Die Klassifizierung wird von den Produktanbietern selbst vorgenommen, nicht von einer neutralen Instanz. Sie ist also kein Gütesiegel. Artikel 8 und 9 stammen aus der Offenlegungsverordnung, nicht aus einer Green-Label-Verordnung. Die Klassifizierung ist somit nicht als Qualitätsstempel zu verstehen.
Sind Artikel-9-Fonds nicht strenger als Artikel-8-Fonds?
Die DVO 2022/1288 stellt klar, dass Fonds, die Nachhaltigkeit anstreben (Artikel-9-Fonds) nur nachhaltige Investitionen tätigen sollen, während Artikel-8-Fonds auch andere Investitionen tätigen können. Allerdings wird hier keine ganzheitliche Nachhaltigkeit verlangt. Ein Fonds, der das Umweltziel Klimawandel anstrebt, muss Aspekte wie Wasserverbrauch, Abfall oder Behandlung von Menschen nur so weit berücksichtigen, dass kein „erheblicher Schaden“ angerichtet wird.
Artikel 9 fordert nicht, dass Investitionen ganzheitlich nachhaltig sein sollen. Im Rahmen der Auswertungen der Fondspaletten deutscher Lebensversicherer für den „Fondspolicenreport Nachhaltigkeit“ wies das Institut für Vermögensaufbau (IVA) nach, dass die angebotenen Artikel-9-Fonds bei ganzheitlichen ESG-Bewertungen im Durchschnitt nicht besser abschnitten als die Artikel-8-Fonds. Ein Handelsblattartikel vom 13.06.2022 stellte ebenfalls fest, dass die für ihn vom IVA untersuchten Artikel-9-Fonds aus ganzheitlicher Perspektive nur auf mittelstrenge Nachhaltigkeit kamen.
Was tun?
Ganzheitliche ESG-Ratings anschauen. Sie basieren auf hunderten von Kriterien, unter anderem den 64 PAIs der EU bzw. vergleichbaren Indikatoren. Die ganzheitlichen ESG-Ratings von ISS finden sich zum Beispiel auf fondsweb.de, die von Sustainalytics auf morningstar.de. Die Noten der einzelnen Unternehmen und daher auch der Fonds unterscheiden sich mitunter sehr stark, daher sollte man jeweils mehrere ESG-Ratings für jeden Fonds anschauen. Einige Versicherer lassen ihre Fondsportfolios vom Institut für Vermögensaufbau nach einer Vielzahl von ESG-Ratings durchleuchten und bewerten. Die Portfolios bekommen zwischen einem und fünf Bäumen. Zusätzlich gibt es einen Prüfbericht, der erläutert, wie die Noten zustande kommen.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2023, S. 54 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Vlad Chorniy– stock.adobe.com
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