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7. April 2023
Drohendes Provisionsverbot: Mehr Sachlichkeit, bitte
Drohendes Provisionsverbot: Mehr Sachlichkeit, bitte

Drohendes Provisionsverbot: Mehr Sachlichkeit, bitte

Aus Brüssel droht ein Provisionsverbot und entsprechend folgen die Reaktionen von Provisionsgegnern und Provisionsbefürwortern. Hans-Ludger Sandkühler stellt Argumente gegenüber und fordert eine sachliche Debatte.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Die Angst geht um in Deutschland. Aus Brüssel droht ein Provisionsverbot. Die heilige Kuh des Finanz- und Versicherungsvertriebs ist in Gefahr. Entsprechend panisch und überzogen sind die Reaktionen und es wird mit lautem Getöse Weltuntergangsstimmung verbreitet: Beispiel gefällig? „Vermittlerverbände schlagen Alarm“, „Wenn das Provisionsverbot kommt, zieht die Kommission damit einer ganzen Branche den Stecker“, „enormer Schaden für die großen Volkswirtschaften in Europa“ (geht’s noch dicker?), „Verlust von Arbeitsplätzen und Vernichtung von Existenzen“, „Das Aus für rund 200.000 Versicherungsvermittler“ (huch: Per 01.01.2023 sind im Vermittlerregister insgesamt gerade mal 190.708 Versicherungsvermittler eingetragen – also alle?) Etwas sachlicher: „Ein Provisionsverbot ist kontraproduktiv“, „Gerade die auf eine Beratung angewiesenen Kleinanleger würden binnen kürzester Zeit keine persönliche Beratung mehr erhalten.“ Die Gegenseite formuliert nicht minder pauschal und drastisch: „Verbraucher werden schlecht beraten, weil Provisionen Fehlanreize setzen.“, „Es hat einen Anreiz, immer das Produkt mit der höchsten Provision zu verkaufen. Das Interesse der Verbraucher ist zweitrangig.“

Die gegenwärtige, öffentlich über die Medien geführte Diskussion ist größtenteils unsachlich und ideologisch getrieben. Scheinbar unversöhnlich stehen sich Provisionsgegner und Provisionsbefürworter bzw. Provisionsverteidiger in verschiedenen Lagern gegenüber.

Hintergründe

Dabei offenbart schon die Wortwahl öffentlicher Meinungsbekundungen, dass die Wortmeldung interessengetrieben und nicht zu Ende gedacht ist. Wenn zum Beispiel ins Feld geführt wird, dass bei der „Provisionsberatung“ angebliche Interessenkonflikte gar nicht existieren, werden die verschiedenen Geschäftsmodelle Beratung gegen Honorar und Vermittlung für Provision unzulässigerweise gleichgestellt. Es gibt schlicht keine Provisionsberatung. Es besteht lediglich im Rahmen der Vermittlung für Provision eine Beratungspflicht, die nur ein modularer Bestandteil von mehreren ist (§ 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit § 59 Abs. 1 Satz 2 VVG). Und dass angeblich kein Interessenkonflikt besteht, ist eine pure Behauptung und kein Argument. Natürlich müssen Versicherungsvermittler Interessenkonflikte erkennen und bewäl­tigen (Delegierte Verordnung 2017/2359 der Europäischen Kommission). Dass etwas geboten oder verboten ist, heißt aber nicht, dass es nicht passiert. Mit der Begründung könnte man auch argumentieren: Es gibt keinen Totschlag in Deutschland, weil das ja verboten ist.

Doch auch die Gegenseite offenbart sprachliche Mängel. Dort wird ein Verbot von Vertriebsprovisionen bei „Finanzanlagen“ und Kapital ansparenden Versicherungen gefordert. Unter Finanzanlagenvermittlung versteht man die aufgrund einer Zulassung als Finanzanlagenvermittler gemäß § 34f Gewerbeordnung erlaubte Vermittlung von offenen und geschlossenen Investmentfonds und Vermögens­anlagen im Sinne des Vermögens­anlagegesetzes. Damit wäre der gesamte Bereich der Anlageberatung durch Finanzdienstleistungsinstitute außen vor. Also Provisionsverbot nur für die Bereichsausnahme im Kreditwesengesetz? Wohl kaum.

Gesetzgebung trägt eine Verantwortung

Verantwortlich für solche begrifflichen Eskapaden ist der Gesetzgeber, der offenbar nicht in der Lage ist, ein konsistentes Finanzdienstleistungs- und Versicherungsvermittlungsrecht zu schaffen. Wenn ein Banker zum Kauf eines Finanzinstruments (zum Beispiel eines Wertpapiers) rät und für die Vermittlung eine Provision erhält, heißt das trotzdem „Anlageberatung“ und nicht Anlagevermittlung. Absurder Höhepunkt der Rechtsentwicklung war deshalb die Schaffung eines „Honorar-Anlageberaters“, der für seinen Rat nur ein Honorar vom Kunden empfangen darf. Warum hier nicht – wie im Versicherungsbereich – klar zwischen Vermittlung und Beratung unterschieden wird, erschließt sich nicht.

Argumente auf dem Prüfstand

Werfen wir einen Blick auf einige ausgesuchte, öffentlich vorgebrachte Argumente. Da wird zum Beispiel für den Fall der Einführung eines Provisionsverbots ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden prognostiziert, ohne dies mit Fakten zu unterlegen. Demgegenüber schätzte die vom damaligen Verbraucherschutzminister in Auftrag gegebene Studie über die Qualität der Finanzvermittlung in Deutschland den durch Fehlleistungen in der Finanzvermittlung entstehenden jährlichen Schaden auf 20–30 Mrd. Euro. Dabei wurde als erheblicher Verur­sachungsfaktor der durch die Zillmerung von Vertriebsprovisionen erzeugte Verkaufsdruck ausgemacht. Wer hat nun recht? Die Bundesregierung weiß es offenbar auch nicht.

Wenn es heißt, die Branche bekomme den Stecker gezogen und Existenzen würden vernichtet, kann dies allenfalls Vertriebe betreffen, die ihr Geschäftsmodell in hohem Maße auf gezillmerte Abschlussprovisionen aufgesetzt haben. Dabei ist nach der Kenntnis der Unionsfrak­tion im Bundestag noch keineswegs klar, ob Versicherungsanlageprodukte (VAP) überhaupt von dem möglichen Provisionsverbot betroffen wären.

Interessenkonflikte bestehen in beiden Vergütungssystemen

Vielfach wird befürchtet, dass Verbraucher finanziell gar nicht in der Lage seien, vorab dreistellige Honorare zu zahlen und Kleinanleger deshalb keine Beratung mehr bekommen und auf Absicherung verzichten. Machen wir uns mal ehrlich und vergleichen die Systeme anhand einer Einmalanlage in Höhe von 5.000 Euro und einem VAP mit einem Monatsbeitrag in Höhe von 100 Euro und einer Laufzeit von 30 Jahren (ausweislich der kleinen Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag bewegt sich etwa die Hälfte aller Investitionen auf diesem Niveau).

Bei der Vermittlung einer Einmalanlage von 5.000 Euro fallen beispielsweise einmalig Provisionen in Höhe von 4% und laufend jährlich in Höhe von 1% an. Das sind einmalig 200 Euro und jedes Jahr 50 Euro. Dafür kann ein Berater mit einem Stundenverrechnungssatz von 100 Euro ohne zusätzliche Kosten zwei Stunden beraten. Bei fünf Beratungsstunden pro Tag und 20 Arbeitstagen im Monat kann der Berater selbst auf diesem Niveau im Monat 10.000 Euro Umsatz erzielen.

Bei der Vermittlung eines VAP fallen beispielsweise einmalig Abschlussprovisionen in Höhe von 4% der Beitragssumme (36.000 Euro) und laufend 2% des Beitrags an. Das sind einmalig 1.440 Euro und laufend 24 Euro p. a. In unserem Beispiel kann der Berater (Stundenverrechnungssatz von 100 Euro) 14,4 Stunden beraten oder seinen Stundensatz um 100% erhöhen und dafür immer noch 7,2 Stunden beraten. Das sind Kosten, die beim Verbraucher derzeit – in manchen Fällen deutlich höher – sowieso anfallen. Dafür kann er sich auch eine Beratung leisten.

Wenn ein Berater auf Stundenhonorare setzt, besteht natürlich die Gefahr, dass er die Beratungszeit unnötig über Gebühr verlängert, um so höhere Umsätze zu erzielen. Nur verhält er sich ebenso unrechtmäßig wie ein Vermittler, der seine Interessenkonflikte im eigenen Interesse auflöst. Wer sich nicht an Regeln halten will, dem ist es egal, ob er im Lager der Provisions- oder der Honorarbefürworter steht.

Conclusio: Ideologische Positionen beiseiteschieben

Es ging hier darum, an einigen Beispielen aufzuzeigen, wie interessengetrieben und unsachlich die augenblickliche Diskussion ist. Vielleicht besteht eine Chance, die ideologischen Positionen beiseitezuschieben, Vorurteile über Bord zu werfen und sachlich miteinander zu reden, wie dem Verbraucher wirklich geholfen werden kann. Das Ergebnis kann wahrscheinlich nur zu einer Gleichwertigkeit der Systeme führen. Beratung und Bezahlung gleichwertig – unabhängig von Honorar und Provision. Unabdingbar dabei: Angemessenheit und Üblichkeit der Bezahlung. Gerade Makler und Verbraucherschützer sind gar nicht so weit auseinander. Es gab mal eine Zeit, in der der Referent für Versicherungen beim Verbraucherzentrale Bundesverband davon überzeugt war, dass ihr Berufsbild ausfüllende Versicherungsmakler gleichzeitig Verbraucherschützer sind. Also.

Über den Autor

Hans-Ludger Sandkühler ist Vertriebs- und Versicherungsjurist und verfügt über praktische Erfahrungen aus seinen langjährigen Tätigkeiten als Versicherungsmakler und Rechtsanwalt. Er ist ausgewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2023, S. 98 f., und in unserem ePaper.

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