Ein Artikel von Marcel Braun, CEO der hendricks GmbH
Aktuell gibt es in Deutschland rund 30 Anbieter von Manager-Haftpflichtpolicen – im Branchenjargon Director’s and Officer’s Liability Insurance (D&O) genannt. Getrieben durch teils besorgniserregende Schadenquoten einzelner Anbieter kam es in den Jahren 2020 und 2021 in Einzelfällen zu Prämienanhebungen von bis zu 1.000%. Damit einher gingen Deckungsausschlüsse in der D&O-Versicherung – unter anderem in den Bereichen Nachhaftung, Kontinuität und Insolvenz. Seit Jahren schon kommt es zu immer größeren D&O-Inanspruchnahmen.
Jüngstes öffentliches Beispiel ist Arcandor: Kürzlich urteilte ein Gericht 13 Jahre nach der Insolvenz des Handelskonzerns, dass Ansprüche des Insolvenzverwalters in Höhe von über 54 Mio. Euro gegen ehemalige Aufsichtsratsmitglieder gerechtfertigt sind. Und das ist bei Weitem kein Einzelfall – gerade bei Insolvenzen scheint es mittlerweile die Regel zu sein, dass Führungskräfte im Nachhinein in Haftung genommen werden. Bei der zahlungsunfähigen Fluggesellschaft Germania etwa fordert der Insolvenzverwalter insgesamt 381 Mio. Euro von mehreren Managern.
Doch auch abseits öffentlich bekannter Namen und Insolvenzsituationen kommt es in Unternehmen immer häufiger zu umfangreicheren Forderungen gegen das (ehemalige) Management. Erst kürzlich hatte hendricks mit den Folgen einer wenig erfolgreichen Unternehmensakquisition (M&A) zu tun. Im Rahmen der Due Diligence war es zu Fehlern gekommen, die der Geschäftsführer der Käufergesellschaft nicht erkannt hatte. Der Deal wurde realisiert, gilt mittlerweile aber als „Flop“. Die Folge: Die Eigentümer der Gesellschaft forderten 110 Mio. Euro vom betreffenden Geschäftsführer. Nach jahrelangem Rechtsstreit einigte man sich zuletzt auf einen Vergleich in Höhe von 11 Mio. Euro. Auch wenn dieser Betrag sicherlich weit von der ursprünglich dreistelligen Ausgangsforderung entfernt ist, ist er doch nach wie vor ein erheblicher Aufwand für den involvierten Versicherungsträger.
Entwicklung von Preisen und Deckungssummen
Als Marktführer für D&O-Versicherungen in Deutschland verfügt hendricks über eine extrem umfangreiche und tiefe Kenntnis des Marktes und eine eigene Schadendatenbank. Man geht davon aus, dass die D&O-Preise in den vergangenen zwei Jahren segmentübergreifend durchschnittlich um rund 30 bis 40% erhöht wurden. Parallel dazu wurden die Deckungssummen sukzessive reduziert. hendricks schätzt, dass sich die weltweit verfügbare D&O-Kapazität mittlerweile auf weniger als 500 Mio. Euro halbiert hat.
Insbesondere für große Konzernunternehmen oder überdurchschnittlich komplexe und hohe Risiken gibt es bereits im aktuellen Marktumfeld nicht ausreichend Kapazitäten zu annehmbaren Preisen. Konnte man beispielsweise vor wenigen Jahren noch Deckungssummen über 700 Mio. Euro weltweit einkaufen, so kommt man heute häufig schon bei 350 Mio. Euro an Grenzen. Viele Versicherer haben ihre Deckungssumme massiv reduziert und erhöhen diese nicht oder nur sehr langsam wieder.
Zu früh für Entspannung?
Zuletzt gab es Anzeichen der Entspannung: So dürften 2022 die meisten Verträge ohne signifikante Aufschläge erneuert worden sein. Lediglich einzelne, aus Sicht der Versicherer unterbepreiste Risiken sollten im laufenden Jahr noch Prämienanpassungen durchlaufen.
Entlastung suggeriert zudem auch die erst Anfang Oktober revidierte D&O-Statistik des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). 2021 sank die Schadenquote nach Abwicklung den Daten zufolge auf 41% – weniger als die Hälfte des Vorjahreswerts (2020: 87%). Der Verband kommt zu dem Schluss, dass die D&O-Versicherer hierzulande nach Verlusten in den Jahren 2017, 2018 und 2020 zumindest im vergangenen Jahr Gewinne eingefahren haben. In den GDV-Zahlen sind jedoch keineswegs alle wesentlichen Versicherer mit ihren Zahlen vertreten. Beispielsweise fehlen etwa Allianz Global Corporate & Specialty und AXA XL als wesentliche Risikoträger. Auch werden aufgrund der immer stärkeren Internationalisierung der Unternehmen Prämienerhöhungen der Versicherer für einzelne Branchen auch mit Blick auf die globalen Ergebnisse dieser Branchenunternehmen in anderen Ländern getroffen.
Aus Perspektive von hendricks ist es deshalb zu früh, hieraus bereits einen nachhaltigen Trend abzuleiten. Vor allem zwei Gründe sprechen dafür, dass wir aktuell nur eine kurze Atempause erleben: Da ist zunächst die Inflation, die Deutschland seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine mit zunehmender Vehemenz erfasst hat. So wird beispielsweise für September nach vorläufigen offiziellen Zahlen von einer Teuerungsrate von 10% ausgegangen. Kurzfristige Entspannung ist nicht in Sicht. Aktuell rechnen die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute auch für das kommende Jahr mit hohen einstelligen Inflationsraten.
Kosten steigen aus verschiedenen Gründen
Das wiederum ist nicht nur für Verbraucher und Unternehmen relevant – es belastet auch D&O-Anbieter und -Rückversicherer in ganz erheblichem Maße. Denn rund 70% der Zahlungen aus D&O-Policen betreffen Rechtskosten. Steigen aber die Stundensätze der Anwälte, erhöht sich automatisch auch die Belastung der Versicherer. Zugleich werden die Vergleichssummen in D&O-Streitigkeiten immer höher – und 90% aller Auseinandersetzungen enden selbst bei Beteiligung eines Gerichts nach wie vor mit einem Vergleich. Diesen Trend bestätigt im Übrigen auch die Statistik des GDV eindrücklich: So stiegen allein zwischen 2017 und 2021 die durchschnittlichen Kosten je D&O-Fall um 270%. Dieser Umstand allein wird also zu Preissteigerungen beitragen – selbst wenn die Zahl der Schadenfälle per se nicht steigen würde.
Mehr Insolvenzen zu erwarten
Doch genau letzteres Szenario zeichnet sich ab. Insbesondere die Zahl insolventer Unternehmen dürfte in den kommenden Quartalen deutlich zunehmen. Laut Statistischem Bundesamt stieg nach vorläufigen Zahlen bereits im August 2022 die Zahl der Regelinsolvenzen um 6,6% gegenüber dem Vormonat. Anfang Oktober warnte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gar vor einer Pleitewelle deutscher Unternehmen. Die Gründe dafür sind hinlänglich bekannt: drastisch gestiegene Energiepreise und Materialkosten, anhaltende Lieferkettenprobleme sowie die Zurückhaltung der Verbraucher angesichts einer höchstwahrscheinlich bevorstehenden Rezession.
Die Erfahrung lehrt, dass es gerade diese Insolvenz- und Restrukturierungssituationen sind, in denen sich Organe plötzlich mit D&O-Ansprüchen konfrontiert sehen. Ist in einem solchen Fall keine D&O-Police vorhanden, die genau diese Fälle deckt und eben keinen Insolvenzausschluss beinhaltet, kann das für den einzelnen Geschäftsführer oder Vorstand verheerende Folgen haben.
Manager müssen sich jetzt absichern
Umso mehr kommt es für Manager jetzt darauf an, Vorsorge für Rechtsverteidigung in einem potenziellen Zivil- und Strafverfahren zu treffen und sich entsprechend abzusichern. Dabei liegt es auf der Hand, dass sich im aktuellen Umfeld keine Schnäppchen erzielen lassen. Doch wer nur auf den Preis schielt, springt ohnehin zu kurz.
Mindestens ebenso entscheidend sind die D&O-Vertragsklauseln im Detail. Beispielsweise schließen Versicherer in Zeiten hoher Nachfrage und steigender Schadenbelastung häufig die Deckung für bestimmte Pflichtverletzungen sukzessive aus. Umso wichtiger ist es in diesen Fällen, dass sogenannte Kontinuitätsklauseln enthalten sind. Sie stellen zumindest sicher, dass diese Deckungsausschlüsse nur auf künftige Pflichtverletzungen Anwendung finden. Für etwaige Pflichtverletzungen in der Vergangenheit kommen sie hingegen nicht zum Tragen – was für den Manager ein erhebliches Stück zusätzliche Sicherheit bedeutet. Genau aus diesem Grund sind Kontinuitätsklauseln wesentlicher Bestandteil der hendricks D&O- und Strafrechtsschutzpolice.
Die persönliche D&O
Ebenso lohnend ist die ernsthafte Auseinandersetzung mit einer zusätzlichen individuellen Absicherung (Personal D&O). Über 90% der D&O-Verfahren enden in einem Vergleich. Gerade im Insolvenzfall, aber auch bei außergerichtlichen Vergleichen müssen sich die Organe einer Gesellschaft oft mit einem bisweilen hohen Eigenbetrag beteiligen oder sehen im Schadenfall, dass der Versicherer einen weitgehenden Insolvenzausschluss aufgenommen hat. Hier offenbart sich dann oftmals die mangelnde Absicherung und Beratung des Managers, denn seine Selbstbehaltspolice deckt nur bei einem rechtskräftigen Urteil den Selbstbehalt, nicht aber bei einem Vergleich. Auch folgt die Selbstbehaltspolice der Konzernpolice, die möglicherweise aber eben einen Insolvenzausschluss beinhaltet. In dieser Situation – keine Deckung über Konzernpolice und fehlende Abdeckung des persönlichen Eigenbetrags – hilft nur eine individuelle Personal D&O-Versicherung, die diese Risiken abdeckt. Ein weiterer Vorteil: Die oftmals angepriesene Selbstbehaltspolice wird hinfällig.
Fazit in drei Punkten
Unter dem Strich lassen sich damit drei zentrale Punkte für die kommenden Monate festhalten.
Erstens: Eine weitere Entspannung im D&O-Markt ist nicht absehbar, vielmehr spricht derzeit vieles für einen erneuten Preisanstieg. Dies gilt umso mehr, als die Versicherer den zentralen Fehler der jüngeren Vergangenheit noch vor Augen haben – es wurden Risiken zu Dumping-Preisen gezeichnet.
Zweitens: In den kommenden Quartalen wird der Besitz einer D&O-Police für Manager so wichtig wie selten zuvor werden, was die Nachfrage und Schadenzahlen tendenziell weiter ansteigen lassen wird.
Drittens – und auch auf die Gefahr der Wiederholung hin: Wer nur auf den Preis schielt, springt zu kurz. Denn hohe Preise sind kein Garant für optimalen Schutz. Die Konditionen der einzelnen Anbieter variieren im Detail nach wie vor signifikant. Eine kompetente und erfahrene Beratung kann Managern hier erhebliche Vorteile sichern. Denn eines ist klar: Wer viel Geld für seine D&O ausgeben muss, möchte zumindest sicher sein, dass er im Schadenfall nicht im Regen steht.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 12/2022, S. 30 ff., und in unserem ePaper.
Bild: © lassedesignen – stock.adobe.com
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