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5. Oktober 2023
BU: Tendenzen und Erfahrungen aus der Leistungsregulierung

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BU: Tendenzen und Erfahrungen aus der Leistungsregulierung

BU: Tendenzen und Erfahrungen aus der Leistungsregulierung

Der Versicherer muss „mitspielen“

Ein Leistungsfall scheint immer eine von Beginn an ungleiche Sache zu sein. Vergleichen wir es mit einem Fußballspiel: Es spielt der 1. FC Kunde gegen den BSV Zitronia. Die Zitronia aber hat nicht nur die besseren Spieler und Trainer, sie darf auch immer das Schiedsrichtergespann stellen. Der, der die Leistung bezahlen soll, entscheidet, ob er das will. Und obwohl Versicherer so tun, als ob sie dabei sehr objektiv seien, sind sie es natürlich nicht. Sie sind aktiv Beteiligte.

Somit bleibt eine wichtige Erkenntnis: Da der Versicherungsnehmer in der Nachweispflicht ist, muss der Versicherer mitspielen, um die Leistungen auch zu bekommen. Gerade so diffizile Erkrankungen wie psychische Beschwerden können nicht direkt nachgewiesen werden. Kein MRT kann eine Depression farblich aufzeigen, mit einem Blutbild kann kein Depressionsfaktor bestimmt werden. Die Apparatemedizin kann derartige Erkrankungen nicht nachweisen. Fachärzte können nur versuchen, sie glaubhaft zu machen. Und das macht es natürlich sehr leicht, Zweifel anzumelden. Das heißt, der Ver­sicherer muss auch gewillt sein, seinen Pflichten nachzukommen. Was, so die Erfahrungen in den letzten Jahren, bei einigen Versicherern wirklich angekommen zu sein scheint. Um es kurz zu machen: Die Leistungsregulierung ist ein hausinternes, kulturelles Thema. Ist die Unternehmenskultur schlecht, ist es meist auch die Regulierung.

Probleme beim Nachweis von Erkrankungen

Ein Paradebeispiel für diese Szenarien bietet sich derzeit mit den sogenannten Post-Covid- und Post-Vac-Symptomen (PCS bzw. PVS). Die Leitlinienempfehlung des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) definiert „Long Covid“ als gesundheit­liche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von vier Wochen fortbestehen. Als PCS werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als zwölf Wochen nach Beginn der Infektion vorhanden sind. Als PVS werden in der Öffentlichkeit nach einer Impfung (nicht notwendigerweise einer Covid-Schutzimpfung) auftretende schwerwiegende Nebenwirkungen bezeichnet. Die Krankheitserscheinungen bei PVS nach Covid-Schutzimpfung sind in etwa die gleichen wie bei PCS.

Für einen an PCS/PVS erkrankten Patienten ist die Behandlung meist wenig zufriedenstellend, weil die Medizin erst dabei ist, das Virus und seine Wirkungsweise zu verstehen. Daher gibt es noch keine Erfolg versprechende Therapie, sondern nur den Versuch, einzelne Symptome zu heilen. Entsprechend stellt sich die Behandlung dar: Zunächst erfolgt die hausärztliche Diagnostik, dann gibt es gegebenenfalls Überweisungen zu Fachärzten. Da es keinen Facharzt für PCS gibt, werden in der Regel Lungen­fachärzte, Kardiologen, Neurologen, Psychiater, Rheumatologen oder HNO-Ärzte bemüht. Diese können das PCS-Syndrom auch nicht nachweisen, sondern betreiben Ausschlussdiagnostik. Der Kardiologe kontrolliert beispielsweise, ob eine Herzmuskelentzündung vorliegt. Meist verlaufen diese Untersuchungen aber ohne Befund. Die schlussendlich gestellte Diagnose ist oft ME/CFS, oder vereinfacht „chronisches Müdigkeitssyndrom“, und glänzt auch nicht gerade durch ihre Beweisbarkeit. Tritt im Laufe der Zeit keine Besserung ein, folgt die Rehabilitation. Mal ambulant, mal stationär. Oft verlaufen diese Maßnahmen ohne nennenswerten Erfolg.

Als Versicherter zweifelt man dann, ob man seine gesammelten Berichte der Fachärzte, die ja nur Ausschlussdiagnosen beinhalten, als Nachweis überhaupt einreichen kann. Das kann man natürlich, denn das ist ja das Einzige, was man vorweisen kann. Und hier schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Artikels: Versicherer mit einer vernünftigen Einstellung akzeptieren dies als Nachweis für das Vorliegen einer bedingungs­gemäßen Berufsunfähigkeit, weil das derzeit als leitliniengerechte Behandlung angesehen wird. Unternehmenskultur eben.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 09/2023 und in unserem ePaper.

Bild: © Sergey Nivens – stock.adobe.com

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Ein Artikel von
Stephan Kaiser