Was gilt als Ausstieg aus dem Berufsleben?
Der zuvor ausgeübte Beruf war der eines Vertriebsmitarbeiters. Eine Unterbrechung der zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübten Tätigkeit erfolgte durch Arbeitslosigkeit oder Elternzeit. Diese Umstände sind aber nicht als Ausstieg aus dem Berufsleben zu werten. Eine solche Phase im Berufsleben ist nicht auf Dauer geplant, auch wenn eine solche Phase länger andauern kann. Der Versicherer argumentierte mit einer „wechselnden Erwerbsbiografie“ und meinte, infolge dessen sei ein niedrigeres „Durchschnittseinkommen“ im ursprünglichen Beruf zu bestimmen. Von einem solcherart geänderten Einkommen auszugehen, würde jedoch den Versicherungsschutz zu stark aushöhlen, sodass der Vertragszweck der Berufsunfähigkeitsversicherung damit aufgehoben werde, erläutert das Gericht.
Denn die Funktion der Berufsunfähigkeitsversicherung besteht darin, die bisherigen Lebensumstände sicherzustellen und einen individuellen und sozialen Abstieg des Versicherten im Berufsleben und in der Gesellschaft zu verhindern (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 26.06.2019, Az. IV ZR 19/18). Eine Änderung des Berufs käme bei einem freiwilligen Berufswechsel, mithin zum Beispiel einer – nicht krankheitsbedingt erfolgten – Eigenkündigung, in Betracht. Mit einer Eigenkündigung sei der Einfluss der ursprünglichen Berufstätigkeit auf die Lebensstellung des Klägers zugleich erloschen (siehe Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG), Urteil vom 08.01.2003, Az. 5 U 910/01 – 77 –, Rn. 23, juris).
Vergleich der neuen Tätigkeit mit vorheriger Tätigkeit möglich?
Die neu aufgenommene Teilzeitarbeit war an der ursprünglich ausgeübten Tätigkeit zu messen. Das OLG postuliert zudem, eine Teilzeittätigkeit sei in der sozialen Wertschätzung mit einer Vollzeittätigkeit in der Regel nicht gleichwertig. Dies ist unabhängig vom damit erzielten Einkommen festzustellen. Der Einkommensvergleich ergab, dass die Teilzeittätigkeit mehr als 20% unter dem vorherigen Bruttojahresverdienst lag. Selbst bei Berücksichtigung des Einkommens fehle es noch immer an einer Vergleichbarkeit.
Es kommt aber nicht allein auf das Einkommen an. Ein Verweisungsberuf darf unabhängig davon nicht „unterwertig“ in Bezug auf seine früheren Qualifikationen und seinen beruflichen oder sozialen Status sein (siehe BGH, Urteil vom 20.12.2017, Az. IV ZR 11/16 – Hufbeschlagschmied-Entscheidung).
Der Versicherer kann demnach nicht durch Verrechnung des Bruttojahresverdienstes mit Arbeitslosigkeit bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit ein entsprechend geringeres „Durchschnittseinkommen“ generieren. Das leidensbedingte Niveau der aufgenommenen Tätigkeit würde durch die Beendigung des Versicherungsfalls anderenfalls zum neuen „Normalzustand“ werden, obwohl sich an den gesundheitlichen Umständen des Versicherungsnehmers nichts geändert hat. Im Ergebnis würde dies zu einem sozialen Abstieg des Versicherungsnehmers führen. Nichts anderes gilt, wenn der Versicherungsnehmer, wie hier, eine andere leidensgerechte Teilzeittätigkeit aufnimmt, so das KG.
Schlussfolgerung
Wird bei der Nachprüfung auf eine neue berufliche Tätigkeit abgestellt, ist jeder Fall anders und muss genau geprüft werden. Die anwaltliche Praxis zeigt: Fehlerhafte Nachprüfungsentscheidungen führen in der Regel zu Nachzahlungsverpflichtungen des Berufsunfähigkeitsversicherers.
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