Ein Artikel von Dr. Arnd Böhmer, LL.M., Rechtsanwalt bei der Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH
Gesetze müssen manchmal ausgelegt werden. Das machen Juristen, indem sie die veröffentlichten Motive des Gesetzgebers heranziehen, sich den eigentlichen Regelungszweck des Gesetzes analytisch vor Augen führen oder die Unterschiede zu einer Vorgängerregelung beleuchten. Früher wurden Versicherungsbedingungen genau so ausgelegt. Dann setzte sich in der Rechtsprechung die Einsicht durch, dass dem einfachen Versicherungsnehmer – im Gegensatz zum studierten Juristen – entsprechende Erkenntnismöglichkeiten fehlen. Daher sind mittlerweile nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse haben dabei außen vor zu bleiben. Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) nochmals deutlich entschieden, dass das auch für andere Spezialkenntnisse gilt.
Ein Gebäudebesitzer beklagte Senkschäden
Folgender Sachverhalt stand zur Entscheidung an: Ein Gebäudebesitzer beklagte Senkschäden an seinem Haus, das an einem Terrassenhang stand. Es war davon auszugehen, dass allmähliche Erdbewegungen der letzten Jahre, oder vielleicht sogar Jahrzehnte, für die Risse im Mauerwerk des Hauses verantwortlich waren. Diese führte zu einem erheblichen Schaden an seinem Gebäude, dessen Erstattung er begehrte. Also wandte er sich an seinen Gebäudeversicherer. Denn seine Gebäudeversicherung umfasste auch Schäden durch Erdrutsch. Der Versicherer war aber nicht leistungswillig und argumentierte im Wesentlichen, dass das, was der Versicherungsnehmer schilderte, nicht den Versicherungsfall darstelle, da ein Erdrutsch ein plötzliches, sensorisch wahrnehmbares Ereignis sei und Schäden durch sehr langsame Erdbewegungen eben kein Erdrusch und damit auch nicht ausgleichspflichtig seien. Mit anderen Worten: Der Versicherungsfall liege nicht vor. Der Gebäudebesitzer klagte.
Vorinstanz berücksichtigt Geologenwissen
Mit seiner Argumentation konnte der Versicherer auch in den ersten Instanzen überzeugen. Das zuständige Oberlandesgericht Bamberg folgte dem Versicherer und stellte in seiner Urteilsbegründung zwei Argumente heraus: Zum einen seien all die anderen in der Elementarversicherung abgesicherten Gefahren wie zum Beispiel die Überschwemmung, das Erdbeben oder der Vulkanausbruch punktuelle Ereignisse, sodass man daraus schließen müsse, dass auch nur der plötzliche Erdrutsch vom Versicherungsschutz umfasst sein solle. Zum anderen differenziere die geologische Fachwelt zwischen dem Erdrutsch, der typischerweise spontan erfolge, und dem Erdkriechen, das eine kontinuierliche Erdbewegung beschreibe.
Seite 1 BGH-Urteil: Wenn Expertenwissen nur noch eine geringe Rolle spielt
Seite 2 BGH geht vom verständigen Leser ohne Spezialkenntnisse aus
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können