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29. Juni 2023
BGH-Urteil im Dieselskandal: Auftakt einer neuen Klagewelle?
BGH-Urteil im Dieselskandal: Auftakt einer neuen Klagewelle?

BGH-Urteil im Dieselskandal: Auftakt einer neuen Klagewelle?

Die Richter am höchsten deutschen Zivilgericht haben die Hürden für Betroffene im Dieselskandal gesenkt. Das Urteil könnte also ein Auftakt für eine neue Klagewelle werden. Wie schätzen daher Rechtsschutzversicherer die aktuelle Situation ein?

Die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) haben eine Kehrtwende in der Rechtsprechung im Dieselskandal vollzogen. Mit aktuellem Urteil vom 26.06.2023 hat der BGH nämlich die Hürden für Schadenersatzansprüche deutlich gesenkt.

Im Zusammenhang mit den sogenannten Thermofenstern reicht nun bereits das Vorliegen eines fahrlässigen Handelns der Autohersteller für eine Entschädigung aus, hat das Karlsruher Gericht in einem Musterverfahren über die Klagen dreier Dieselfahrer gegen Mercedes, Audi und VW entschieden.

Vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags nicht möglich

Allerdings: Auch wenn es für Dieselkäufer infolge des BGH-Urteils einfacher wird, überhaupt Schadenersatzforderungen für einen Diesel mit Thermofenster durchzusetzen, dämpft das Urteil die Hoffnung auf hohe Schadensummen. Denn ohne Vorsatz käme laut BGH eine vollständige Rückabwicklung des Kaufs nicht mehr in Betracht.

Stattdessen greifen bei Fahrlässigkeit die Bestimmungen des sogenannten kleinen Schadenersatzes. Und hier legte das Gericht fest, dass ein Ersatz lediglich in der Bandbreite von wenigstens 5% und höchstens 15% des gezahlten Kaufpreises zu gewähren ist. „Innerhalb dieser Bandbreite obliegt die genaue Festlegung dem Tatrichter, der sein Schätzungsermessen ausüben kann, ohne sich vorher sachverständig beraten lassen zu müssen“, erläutert der BGH und verweist die weitere juristische Aufarbeitung damit an die Vorinstanzen zurück.

Auftakt für eine neue Klagewelle?

Das Urteil könnte also ein Auftakt für eine neue Klagewelle werden. Die juristische Aufarbeitung des Dieselskandals dauert also weiter an. Damit kommen auch auf die deutschen Rechtsschutzversicherer weitere Fälle zu – und zusätzliche Kosten. Erst kürzlich berichtete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) davon, dass die Prozesskosten im Dieselskandal mittlerweile auf über 1,5 Mrd. Euro geklettert sind. Wie beurteilen daher Rechtsschutzversicherer die Lage?

Rechtsschutzversicherer gehen nicht von neuer Klagewelle aus

ROLAND Rechtsschutz begrüßt zunächst die klare und wegweisende Entscheidung im Sinne des Verbraucherschutzes. Dennoch geht der Rechtsschutzversicherer infolge des aktuellen BGH-Urteils nicht von einer neuen Klagewelle aus. Ähnlich bewertet man die Situation auch bei ARAG. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Zum einen sei davon auszugehen, dass sich die meisten Kunden, die im Dieselfall rechtliche Unterstützung wünschten, sich bereits an ihren Versicherer gewandt hätten, heißt es von ROLAND Rechtsschutz. Zum anderen rechnen beide Rechtsschutzversicherer nicht damit, dass sich viele Kunden wegen der festgelegten Bandbreite bei der Entschädigung für den Klageweg entscheiden werden – zumal sich diese Verfahren erfahrungsgemäß sehr lange hinziehen würden.

Gestiegene Erfolgsaussichten könnten zu Kostenrücklauf führen

Mit Blick auf die weitere Entwicklung bei den Prozesskosten äußern sich die beiden Rechtsschutzversicherer vorsichtig optimistisch. „Die Rechtsanwälte werden sich in den aktuell anhängigen Fällen auf die neue Situation einstellen“, heißt es von der ARAG. Denn bislang hätten viele Klagen die Rückabwicklung des Kaufvertrages zum Ziel. Aufgrund dessen, dass eine Klagewelle wohl ausbleiben werde, rechnet man bei der ARAG nicht mit einer massiven Steigerung an Schadenzahlungen. ROLAND Rechtsschutz geht zwar schon davon aus, dass es womöglich nun etwas mehr Schadenfälle gebe. Allerdings werden die Schadensummen vergleichsweise gering sein. Und: Infolge der nun gestiegenen Erfolgsaussichten für Dieselfahrer dürfte sogar mit einem Kostenrücklauf zu rechnen sein.

Beide Rechtsschutzversicherer rechnen daher auch mit keinen signifikanten Folgen für die Prämienentwicklung in der Rechtsschutzsparte infolge des BGH-Urteils.

Kann den Herstellern überhaupt Fahrlässigkeit vorgeworfen werden?

Eine Schwachstelle für Dieselfahrer könnte das BGH-Urteil aber doch noch enthalten – denn die BGH-Pressemitteilung spricht aufseiten der Autobauer von einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum“. Autofirmen könnte also keinerlei Verschulden treffen, wenn sie gar nicht wissen konnten, dass ihr Thermofenster eine unzulässige Einrichtung ist. So hätten laut Bericht der Süddeutschen Zeitung mehrere Gerichte bereits in diese Richtung entschieden, da das Kraftfahrtbundesamt die Thermofenster ursprünglich für unbedenklich hielt. Damit sei den Autoherstellern nicht einmal Fahrlässigkeit vorzuwerfen, so die Schlussfolgerung. Und kann sich der Fahrzeughersteller dadurch vom Verschulden entlasten, haftet er nicht. Denn das deutsche Recht setzt für eine Haftung des Schädigers zwingend ein Verschulden voraus, so der BGH. (as)

BGH, Urteil vom 26.06.2023 – Az. VIa ZR 335/21

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