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21. Februar 2023
Betriebsunterbrechung: Bewährungsprobe für alle Beteiligten
Betriebsunterbrechung: Bewährungsprobe für alle Beteiligten

Betriebsunterbrechung: Bewährungsprobe für alle Beteiligten

Kommt es nach einem Schaden zu einer längeren Betriebsunterbrechung, heißt es, kühlen Kopf zu bewahren. Das gilt insbesondere angesichts von Inflation und Lieferkettenstörungen. Was ist bei der Betriebsunterbrechungsversicherung nun zu beachten?

Ein Artikel von Tobias Wessel, Rechtsanwalt, Bereichsleiter Sachversicherung bei WILHELM Rechtsanwälte

Betriebsunterbrechungen – etwa nach einem Brand oder einem Naturereignis – sind Ausnahmesituationen für jedes Unternehmen. Wie lässt sich der akute Sachschaden eingrenzen und schnell beheben? Können Mitarbeiter weiter – notfalls andersartig – beschäftigt werden? Was ist mit vertraglichen Verpflichtungen, etwa gegenüber Kunden? Kann eine Ersatzproduktion für den Zeitraum der Wiederherstellung eingerichtet werden? Und in welcher Höhe ersetzt der Versicherer den Ertragsausfall?

Komplexe Schadenregulierung

Für die hier aufgeworfenen Fragen gibt es keine pauschalen Antworten. Je nach Art und Branche des betroffenen Betriebs sowie Art des zugrunde liegenden Sachschadens unterscheidet sich die Rückkehr in den Normalbetrieb grundlegend. Das macht Betriebsunterbrechungsschäden so komplex und ist ein Grund für die häufigen streitigen Auseinandersetzungen zwischen versicherten Unternehmen und Versicherern in der Schadenregulierung. Klassisches Streitthema ist die Höhe des Ertragsausfalls und der Umfang der zu ersetzenden Kosten.

Versicherte Kosten: Der Teufel steckt im Detail

Grundsätzlich gilt: Der Versicherer leistet Entschädigung für den Ertragsausfall sowie für Kosten zur Wiederaufnahme des Betriebes. Zum versicherten Ertragsausfall gehören zum einen Betriebsgewinne, die der geschädigte Betrieb (als Versicherungsnehmer) infolge der Betriebsunterbrechung in der vertraglich definierten Haftzeit (oft zwölf Monate) nicht erwirtschaften konnte. Zum anderen sind vom Versicherungsschutz auch Fixkosten umfasst, die trotz Stillstands des Betriebes anfallen – also beispielsweise Kosten für Löhne und Gehälter, Mieten, Zinsen, Gebühren und Steuern. Kosten, die im Schadenfall nicht weiter anfallen, sind nicht ersatzfähig.

Schon bei den Kosten kommt es häufig zu Diskussionen mit dem Versicherer: Nach den Bedingungen werden versicherte Kosten nur ersetzt, soweit ihr Weiteraufwand rechtlich notwendig oder wirtschaftlich begründet ist und die Kosten auch ohne die Unterbrechung angefallen wären. Wann ein Weiteraufwand notwendig und begründet ist, können die Versicherungsbedingungen aber nicht im Vorhinein regeln und ist deshalb nach betriebswirtschaftlichen Kriterien im Einzelfall zu entscheiden. Hier können Versicherungsnehmer und Versicherer unterschiedlicher Meinung sein.

Streitthema Abschreibungen

Ein klassischer Anlass für Streit ist die Kostenposition der Abschreibungen: Diese sind nach den allgemeinen Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherungs-Bedingungen (FBUB 2010) bzw. nach den allgemeinen Bedingungen für die Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherung (AMBUB 2011) zwar grundsätzlich von den versicherten Kosten umfasst. Versicherte Unternehmen sollten jedoch darauf achten, dass die Abschreibungen auf Grundlage des tatsächlichen betrieblichen Werteverzehrs zu ermitteln sind. Eine Berechnung auf Grundlage der bilanzierten Abschreibungen kann dazu führen, dass der Versicherer hohe Abschreibungskosten als erspart ansieht und dem Versicherungsnehmer dadurch Liquidität verloren geht.

Zu beachten ist außerdem, dass gebrauchsbedingte Abschreibungen auf Sachen nach aktuellen Versicherungsbedingungen nicht erstattet werden, wenn die Sache infolge des Sachschadens während der Betriebsunterbrechung nicht eingesetzt wird. Ältere Versicherungsbedingungen (bis einschließlich 2008) machen diese Einschränkung häufig nicht.

Krisen verschärfen die Herausforderungen

Zu den bekannten Problemen kommen neue Herausforderungen in der Betriebsunterbrechungsversicherung. Bereits die Corona-Pandemie hatte zu globalen Lieferkettenstörungen und Preissteigerungen für Rohstoffe und Vorprodukte geführt. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs kamen sprunghaft steigende Energiekosten hinzu. Wie wirken sich die vielfältigen Krisen auf die Regulierung von Betriebsunterbrechungsschäden aus?

Die Probleme beginnen bereits bei der Berechnung des entgangenen Gewinns. Beispiel: Infolge eines Werksbrands kann ein Automobilzulieferer zwischen Ende 2019 und Mitte 2020 nicht produzieren. Der versicherte Zulieferer macht zunächst einen Ertragsausfall in Höhe des Vorjahresumsatzes im gleichen Zeitraum geltend. Der Versicherer wendet hiergegen ein: In der Automobilindustrie brach die Produktion pandemiebedingt im April 2020 um mehr als 80% ein. Auch die Umsätze und Neuaufträge in der Zuliefererindustrie verzeichneten einen tiefen Einschnitt. Da der Grundsatz gilt, dass das versicherte Unternehmen so zu stellen ist, als wäre kein Schaden eingetreten, ist auch die Produktionsverringerung im Zeitraum der Betriebsunterbrechung bei der Berechnung des Ertragsausfalls zu berücksichtigen. Gleichermaßen sind allerdings auch die für das versicherte Unternehmen günstigen Entwicklungen wie eine Margenstärkung wegen Nachfrageüberhangs zu berücksichtigen. Zur Schadenschätzung kann damit heute nicht mehr ohne Weiteres auf die Zahlen vergangener Geschäftsjahre zurückgegriffen werden. Die Darlegung des versicherten Schadens ist wegen der volatilen Wirtschaftsentwicklung für das versicherte Unternehmen anspruchsvoller.

Höhere Kosten,längere Wiederherstellung

Auch auf die Kosten der Wiederherstellung sowie die Dauer einer Betriebsunterbrechung hat die aktuelle Situation Auswirkungen. Zwar sind Preissteigerungen nach Eintritt des Versicherungsfalls und während der erforderlichen Dauer der Wiederherstellungsarbeiten in der Feuerversicherung als „erforderliche Kosten“ für die reine Wiederherstellung grundsätzlich gedeckt (in neueren Bedingungen auch explizit durch eine Preissteigerungsklausel). Liegen die Wiederherstellungskosten jedoch im Zeitpunkt des Versicherungsfalls infolge der Inflation deutlich über den vereinbarten Versicherungssummen, drohen eine Unterversicherung und entsprechende Leistungskürzungen, die nach der vertraglichen Vereinbarung (zum Beispiel im KMU-Segment) häufig auch auf die Entschädigungsleistung in der Betriebsunterbrechungsversicherung durchschlagen. Eine Überprüfung des aktuellen Versicherungsbedarfs ist damit unbedingt zu empfehlen (Versicherungssummen, Haftzeitdauer).

Gestörte Lieferketten können zudem dazu führen, dass sich die Wiederherstellung – und damit die Rückkehr in die Produktion – deutlich verzögert, etwa wenn erforderliche Maschinen oder Komponenten derzeit nicht lieferbar sind. Im Extremfall, wenn etwa eine Lieferung notwendiger Teile überhaupt nicht mehr absehbar ist, kann dann eine Sanierung von Maschinen und Anlagen sogar bei einem wirtschaftlichen Totalschaden sinnvoller als eine Neubeschaffung sein. Natürlich nur, sofern die Sanierung technisch noch möglich ist.

Frühzeitig den Dialog suchen

Unternehmen sollten also für unerwartet lange Wiederherstellungszeiträume in der Betriebsunterbrechung Vorkehrungen treffen. Das bedeutet nicht nur, die Haftzeiten in der Betriebsunterbrechungspolice anzupassen, sondern auch das Business Continuity Management zu überprüfen. Lohnt sich bei einer Betriebsunterbrechung beispielsweise der Fremdeinkauf von Produkten zur Erfüllung von Lieferverpflichtungen auch dann noch, wenn die Wiederherstellung 18 statt zwölf Monate dauert? Bis zu welchem Zeitraum und welcher Höhe wären die Kosten von der Versicherung gedeckt? Gerade angesichts der aktuell vielfältigen Unwägbarkeiten ist die intensive Abstimmung zwischen Versicherungsnehmern, Maklern, Versicherern, Juristen, Sachverständigen und Sanierern im und vor dem Schadenfall heute wichtiger denn je.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2023, S. 100 f., und in unserem ePaper.

Bild: © BazziBa – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Tobias Wessel