Im Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung sind mittlerweile allein am Landgericht (LG) München I 86 Klagen eingegangen. Nachdem vor Kurzem bereits ein Urteil erging, wonach einer Kita keine Leistung aus ihrer Betriebsschließungsversicherung zusteht, ist heute auch im Fall eines Münchner Gastwirts eine Entscheidung gefallen. Diesmal jedoch zugunsten des Versicherungsnehmers.
Versicherungsnehmer hat Anspruch
Das LG erkennt dem Gastwirt eine Entschädigungszahlung in Höhe von knapp über 1 Mio. Euro für die Corona-bedingte Betriebsschließung zu. Entgegen der Einwände des Versicherers komme es bei einer Betriebsschließung nicht auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung an. Auch sei der Versicherte nicht verpflichtet gewesen, gegen die Anordnung vorzugehen. Und ebenfalls als unerheblich sah es das Gericht an, ob das Virus im Betrieb des Gastwirts aufgetreten sei oder nicht.
Maßgebliche Vorgabe der AVB erfüllt
Das LG München begründete sein Urteil damit, dass es lediglich darauf ankomme, dass die Wirtschaft aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei. Das sei die maßgebliche Vorgabe aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des zugrunde liegenden Versicherungsvertrags. Diese Vorgabe war mit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 21.03.2020 sowie der nachfolgenden Verordnung erfüllt. Sowohl die Verfügung als auch die Verordnung hatten sich auf das Infektionsschutzgesetz bezogen.
Umstellung auf To-Go war unzumutbar
Im Gegensatz zu der Kita, der zuletzt keine Leistung zugesprochen worden war, sei der Betrieb des Gastwirts vollständig geschlossen worden. Auch ein Verkauf von Speisen zum Mitnehmen fand nicht mehr statt. Der Ansicht des Gerichts zufolge wäre das auch unzumutbar gewesen. Zwar habe das Wirtshaus Außerhausverkauf angeboten, jedoch war dieses Geschäft zu jeder Zeit von untergeordneter Bedeutung für den Betrieb und somit keine unternehmerische Alternative.
Kritik an intransparenten Ausschlüssen
Kritik an den AVB übt das Landgericht im Hinblick auf die Einschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte übertragbare Krankheiten und Erreger. Denn mit dem Wortlaut aus § 1 Ziffer 1 AVB muss der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass der Versicherungsschutz umfassend sei und sich mit dem Infektionsschutzgesetz decke. Schließlich heißt es in dem Paragrafen, dass der Versicherer Entschädigung leistet, wenn die zuständige Behörde den versicherten Betrieb basierend auf dem Infektionsschutzgesetz schließt.
Abgleich zwischen Liste und Gesetzestexten unzumutbar
Wenn es in § 1 Ziffer 2 AVB dann heißt: „Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger …“, sei davon auszugehen, dass ein Versicherungsnehmer nun eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Erreger erwartet und die Aufzählung nicht als Einschränkung des Versicherungsschutzes ansieht. Um den tatsächlichen Versicherungsschutz zu erfassen, müsste er ansonsten die gebotene Auflistung mit dem aktuell geltenden Infektionsschutzgesetz abgleichen. Eine derartige Klausel sei für den Versicherungsnehmer intransparent und somit unwirksam.
Ausschlüsse separat aufgeführt
Einen weiteren Hinweis, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer in § 1 Ziffer 2 AVB keine Ausschlüsse erwarte, sieht das Gericht darin, dass der anschließende § 1 Ziffer 3 AVB den Titel „Ausschlüsse“ trägt und somit den Eindruck erwecke, hier seien sämtliche Ausschlüsse zu finden.
Vertragsschluss zu Beginn der Pandemie
Erschwerend komme hinzu, dass der Versicherer auch nicht darauf abstellen könne, das neuartige Coronavirus sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannt gewesen. Immerhin war der Versicherungsvertrag am 04.03.2020 und somit im Hinblick auf eine drohende Corona-Pandemie geschlossen worden.
Kein wegweisendes Urteil
Gerade im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens, wie dem zuvor genannten Abschlusszeitpunkt, ist fraglich, ob sich aus dem Urteilsspruch eine Tendenz für weitere anhängige Verfahren ableiten lässt. Auch andere Gastronomiebetriebe, die unter Umständen einen höheren Anteil an Mitnahmeverkauf hatten, könnten anders beurteilt werden. (tku)
LG München I, Urteil vom 01.10.2020, Az.: 12 O 5895/20
Bild: © Corri Seizinger; © Iryna – stock.adobe.com
Lesen Sie hierzu auch:
- Wirtschaft sieht Reputation der Versicherer in Gefahr
- Fortsetzung im Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung
- BSV: „Wir entscheiden hier zum Wohle unserer Kunden“
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können