Private und soziale Pflegeversicherung folgen übereinstimmenden Grundsätzen: jeder Einwohner ist pflichtversichert, die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung, die Leistungen stimmen überein und für gerichtliche Streitigkeiten sind die Sozialgerichte zuständig. Auch die Begutachtung als Grundlage für die Einstufung der Betroffenen in eine der drei Pflegestufen muss nach dem Willen des Gesetzgebers nach übereinstimmenden Maßstäben erfolgen.
Einen zentralen Unterschied hatte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bisher aber akzeptiert: die von Ärzten oder Pflegekräften des Dienstleisters „MedicProof“ der privaten Krankenversicherung eingeholten Gutachten waren für die Sozialgerichte verbindlich, solange sie nicht „offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen“. Ein Sozialgericht durfte deshalb im Prozess eines Pflegebedürftigen gegen dessen privates Versicherungsunternehmen nur dann den Sachverhalt durch die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens selbst aufklären, wenn das Gutachten der privaten Krankenversicherung erkennbar unzutreffend ist. Diese Abweichung von der Rechtslage bei der sozialen Pflegeversicherung hat das BSG nun beendet.
Uneingeschränkte gerichtliche Prüfung möglich
Rechtsanwalt Lutz Köther von der Kanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr erläutert, dass mit diesem Urteil nun auch die Gutachten, die in der privaten Pflegepflichtversicherung eingeholt werden, uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar seien. „Dies war bislang – aufgrund der angenommenen Schiedsgutachtenqualität – nicht der Fall“, so Köther.
In der sozialen Pflegeversicherung unterliegen die MDK-Gutachten einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung. Zur Begründung, weshalb eine abweichende Verfahrensweise im Bereich der privaten Pflegeversicherung nicht mehr haltbar sei, stellt der Senat auch darauf ab, dass mit Einführung der Auswahlmöglichkeit des Sachverständigen im Bereich der sozialen Pflegeversicherung gerade davon abgesehen worden sei, eine Bindungswirkung einzuführen, obwohl hierzu eine Gelegenheit bestanden habe. Der Senat betont zudem, dass die Besonderheiten der Pflegeversicherung spezieller seien, sodass § 84 VVG nicht anwendbar sei. Vor dem Hintergrund, dass der Senat seine Entscheidung auch ausdrücklich damit begründet hat, dass § 84 VVG durch § 23 Abs. 6 Nr. 1 SGB XI verdrängt werde, dürfte nach Ansicht von Rechtsanwalt Köther auch eine vertragliche Vereinbarung der Schiedsgutachtenqualität – im Wege einer Änderung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen – ausscheiden. Eine abschließende Beantwortung dieser Frage sei allerdings erst nach Eingang der schriftlichen Urteilsgründe möglich.
Auswirkungen
Nach Ansicht von Rechtsanwalt Köther wird als Folge der Entscheidung die MedicProof-Gutachten im Streitfall nur als qualifizierter Parteivortrag zu werten sein. Köther abschließend: „Somit kommt es entscheidend auf das Ergebnis einer gerichtlichen Beweisaufnahme an“ (kb)
BSG, Urteil vom 22.04.2015, Az.: B 3 P 8/13 R
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