Ein Kommentar von Dr. Alexander Ströhl, AssCompact
Jetzt ist es also Fakt: Finanzberaterinnen und Finanzberater müssen laut Bundeswirtschaftsministerium bei ihren Kundinnen und Kunden im Beratungsgespräch keine Nachhaltigkeitspräferenzen abfragen. Diejenige Abfragepflicht, die beispielsweise für einen Versicherungsmakler bei der Vermittlung einer fondsbasierten Lebensversicherung gilt, haben 34f-Vermittlerinnen und Vermittler also nicht weiter zu befolgen – zumindest vorübergehend, was VOTUM-Chef Martin Klein prompt begrüßt und als Erfolg der Branchenverbände VOTUM und AfW feiert. Doch ist diese Abwehrhaltung gegen eine Abfragepflicht wirklich zeitgemäß? Oder fehlt hier nicht der erforderliche Mut zur Veränderung in der Branche?
Große Informationsdefizite in der Bevölkerung
Eine aktuelle repräsentative Umfrage von Union Investment – der Investmentgesellschaft der genossenschaftlichen Finanzgruppe – zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen mit ihrer Geldanlage keine nachhaltigen Anlageziele bezwecken. So weit so gut, denn wozu eine Pflicht, wenn kaum ein Kunde oder eine Kundin „grüne“ Anlagemöglichkeiten nachfragt. Jedoch wandelt sich das Bild dann doch erheblich, nachdem die Befragten nähere Informationen zu nachhaltigen Finanzanlagen erhalten haben: Plötzlich möchten knapp 32% der informierten Befragten bei der Auswahl von Finanzanlagen auf Nachhaltigkeit achten – ein Plus von 22 Prozentpunkten!
Der Zusammenhang ist also offenkundig: Über Nachhaltigkeit informierte Menschen tendieren häufiger dazu, „grüne“ Investments zu tätigen. Und gerade, weil auf Kundenseite größere Wissens- und Informationsdefizite vorhanden sind, spricht das Ergebnis der Union Investment-Studie doch für eine ESG-Abfragepflicht auch für 34f-Vermittlerinnen und Vermittler. Wenn nicht beim versierten Finanzberater oder bei der versierten Finanzberaterin, wo sonst können sich denn die Menschen verlässlich über Impact, Chancen und Risiken von nachhaltigen Investments erkundigen? Zumindest Teile der Branchenverbände begrüßen aber genau diese Entscheidung, zu den Nachhaltigkeitspräferenzen nicht beraten zu müssen.
Enormes Geschäftspotenzial in der Bevölkerung
Zugleich hat das Forum Nachhaltige Geldanlagen e. V. erst vor wenigen Tagen dem Markt für nachhaltige Geldanlagen eine enorme Dynamik attestiert. Denn: Gerade die Privatanlegerinnen und Privatanleger entfachen durch ihre Investments einen regelrechten Nachfrageboom nach „grünen“ Kapitalanlagen; immerhin lag 2021 das Wachstumsplus im Privatsektor bei sagenhaften 230%! In nachhaltigen Investments liegt also enormes Wachstums- und damit auch Geschäftspotenzial für das Vermittlungsgeschäft.
Sicherlich, einige Finanzberaterinnen und Finanzberater, die bereits die Zeichen der Zeit erkannt haben, können auch auf freiwilliger Basis eine großartige Beratungsleistung für Kundinnen und Kunden im Bereich Nachhaltigkeit bieten. Nichtsdestotrotz bleibt fraglich, warum sich ausgerechnet ein Teil der Branchenverbände durch die Verhinderung einer ESG-Abfragepflicht gegen ein solches Neugeschäftspotenzial wehrt? Will die Finanzberatung also nicht an dem enormen Wachstumsplus partizipieren und davon profitieren? Denn Teile der Branchenverbände begrüßen es stattdessen, zu diesem, so zukunftsbedeutenden Feld der Finanzbranche erst einmal nicht beraten zu müssen.
Es braucht Mut zur Veränderung
Gewiss, es geht um eine regulatorische Pflicht und damit um eine Einmischung der politischen Arena auf die Tätigkeit des Finanzberaters bzw. der Finanzberaterin. Und gewiss weist VOTUM-Chef Klein darauf hin, dass sich die Vermittlerinnen und Vermittler auf dem Weg zur ESG-Abfrage in der Beratung machen sollen.
Aber die Wende hin zu einer klima- und umweltfreundlichen Gesellschaft durch Kapitalinvestments in Kombination mit den vorherrschenden Informationsdefiziten und den Geschäftschancen in der Bevölkerung zeigen doch, dass es sich bei der ESG-Abfragepflicht bereits gegenwärtig um ein Kernelement der Finanzberatung handeln sollte. Diese Erkenntnis spricht also eindeutig für eine regulatorische Verankerung der ESG-Integration in der Finanzberatung – und das bereits ab August 2022. Das zumindest, so ist zu hoffen, würden dann an Nachhaltigkeit interessierte Anlegerinnen und Anleger begrüßen.
Welche Meinung haben Sie dazu? Schreiben Sie mir gerne: stroehl@asscompact.de
Bild: © Tap10 – stock.adobe.com
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Leserkommentare
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"Diejenige Abfragepflicht,…
"Diejenige Abfragepflicht, die beispielsweise für einen Versicherungsmakler bei der Vermittlung einer fondsbasierten Lebensversicherung gilt, haben 34f-Vermittlerinnen und Vermittler also nicht weiter zu befolgen – zumindest vorübergehend, was VOTUM-Chef Martin Klein prompt begrüßt und als Erfolg der Branchenverbände VOTUM und AfW feiert." Glatte Falschdarstellung! Weder begrüßt Martin Klein das regulatorische Chaos bei den Abfragepflichten der Nachhaltigkeitspräferenzen für die unabhängigen Finanzanlagevermittler:innen, noch hat bisher - zu Recht! - irgendjemand das als Erfolg von VOTUM oder dem Bundesverband Finanzdienstleistung AfW gefeiert. Es gibt in den beiden genannten Verbänden keine un-"zeitgemäße" "Abwehrhaltung" bei diesem Thema. Der AfW ist in verschiedensten Gremien, Brancheninitiativen und Arbeitskreisen extrem aktiv, wenn es darum geht, die Vermittlerschaft für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren, aufzuklären, zu qualifizieren und möglichst einheitliche Vorgaben / Standards zu etablieren - German Sustanability Network, Arbeitskreis Beratungsprozesse, Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V. (FNG), DIN. Ständig halten wir dazu Vorträge und Webinare - für Pools, Verbünde, Versicherer. Hier wird fälschlich der Eindruck erweckt, dass wir uns grundsätzlich gegen das Thema "Nachhaltigkeit" in der Kundenberatung wehren. Ein Klarstellung wäre mehr als wünschenswert!
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Nachhaltigkeit in der Beratung: Thema verfehlt?
Beim Lesen dieses Kommentars von Dr. Alexander Ströhl hat es mir glatt die Sprache verschlagen. Was treibt den Autor, Votum und AfW eine "Abwehrhaltung gegen eine Abfragepflicht" zuzuschreiben? Ich erlebe Norman Wirth als überzeugten und überzeugenden Verfechter für die Integration von Nachhaltigkeit in die Beratung - gemeinsam in der Expertengruppe Nachhaltigkeit des Arbeitskreis Beratungsprozesse ebenso wie beim German Sustainibility Network GSN.
Wir sind uns einig: In der Versicherungs- und Finanzberatung über nachhaltige Kapitalanlagen, Unternehmen und in Zukunft vielleicht auch Schaden- und Unfallversicherungen zu sprechen, ist gut, richtig und wichtig. Das bedeutet aber nicht, das regulatorische Chaos im Zusammenhang mit der Pflicht zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen zum 2.8.2022 zu begrüßen. Wer sich dem Thema nicht nur in der Theorie nähert, weiß längst: Ein späterer Termin zur Einführung wäre wünschenswert gewesen. Nicht, weil Vermittler:innen Nachhaltigkeit in der Beratung nicht können oder wollen, sondern weil wichtige Informationen zu ESG-Aspekten noch fehlen. Sie stehen erst 2023 mit Inkrafttreten neuer Berichtspflichten bereit. Zudem werden die finalen EIOPA-Leitlinien zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen frühestens im Juli und dann zunächst nur auf Englisch veröffentlicht. Die Datengrundlage ist also noch dünn.
Vermittler:innen brauchen praxistaugliche Lösungen, auch in Sachen Nachhaltigkeit. Im Arbeitskreis Beratungsprozesse arbeiten wir daran, gemeinsam u. a. mit AfW, GSN, BVK, BDVM, CHARTA, germanBroker.net, Verband der Fairsicherungsmakler, engagierten Maklern und Versicherern.
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Klarstellung
AssCompact ist mit dem VOTUM-Verband und dem AfW im Gespräch. Der Einsatz der beiden Verbände für Nachhaltigkeit in der Branche und in der Beratung steht außer Frage. In einem Aspekt gab es eine Missdeutung.
Insofern erscheint in Kürze ein Interview mit Martin Klein und Norman Wirth, in dem beide ihre Positionen darstellen und darüber informieren werden, wie es mit den Abfragepflichten weitergehen wird - und warum sich Vermittler und Vermittlerinnen dringend mit dem Thema beschäftigen müssen.
Die AssCompact-Redaktion
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