Sie vertreten unter anderem die These „Wenn wir den ehrbaren Kaufmann hätten, bräuchten wir keine Regulierung“. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Ehrbarkeit ist ein hoher Wert. Wer ehrbar ist, steht zu seinen eigenen Werten und berücksichtigt zugleich die Werte seines Umfelds. In der italienischen Renaissance und der norddeutschen Hanse war man damit gut beraten: Es galt das Kaufmannswort. In der heutigen globalen und anonymen Zeit bestimmen zunehmend externe Faktoren unsere ökonomischen Handlungen. Das können Anreiz- und Vergütungssysteme in Unternehmen sein, aber auch internationale Standards wie die ISO 26.000 oder die internationale Berichterstattung GRI (Global Reporting Initiative). Die Finanz- und Versicherungsbranche ist davon besonders betroffen.
Um zu verhindern, dass wir über externe Faktoren menschliches Verhalten übersteuern und nicht mehr reflektieren, was wir tun, ist es besonders wichtig, ein Umfeld zu schaffen, das dem Menschen Orientierung gibt und eine ehrbare Haltung und Handlung ermöglicht. Hier haben wir in den vergangenen Jahren – vor allem durch den Compliance-Boom – zu stark übersteuert. Damit wurde der ehrbare Kaufmann unmöglich. Ökonomen nennen diesen Verdrängungseffekt „crowding out“. Es kommt also letztlich auf die richtige Temperatur im Wechselspiel von Compliance und Integrität an.
Regulierung ist durchaus sinnvoll. Wird diese klug, angemessen und undogmatisch eingesetzt, unterstützt sie ehrbares Verhalten. Regulierung erfolgt dabei nicht allein durch internationale Organisationen, die Europäische Union oder den deutschen Staat. Es gibt darüber hinaus die freiwillige Regulierung auf Unternehmensebene (unter anderem Corporate Governance Kodex, Collective Action). Und auch die individuelle Selbstregulierung gehört dazu. Das hat uns der bekannte deutsche Philosoph Immanuel Kant mit seinem kategorischen Imperativ gelehrt: „Handle nach der Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Der ehrbare Kaufmann reguliert sich also selbst.
Warum ist es für Unternehmen so schwierig sich vom Modell Homo oeconomicus zu trennen?
Der homo oeconomicus entscheidet bei gegebenen Überzeugungen (Präferenzen) und sich verändernden Bedingungen (Restriktionen). Eine Verhaltensveränderung, also zum Beispiel die gestiegene Nachfrage nach Aktien oder Autos, lässt sich damit auf eine Größe, die Restriktionen (zum Beispiel das beschränkte Angebot), zurückführen. Die größten ökonomischen Erfolge wurden allerdings gefeiert, um zu zeigen, dass das ökonomische Modell des homo oeconomicus in der Praxis nicht existiert. Die modelltheoretischen Vereinfachungen gelten für die komplexe Wirklichkeit nicht. Deshalb fahren wir Luxusautos und besitzen mehr Kleidungsstücke als wir eigentlich benötigen. Wir handeln irrational, emotional, halt menschlich.
Viele Intermediäre wie Beratungen und Prüfungsgesellschaften verdienen Ihr Geld damit, dass sie Unternehmen erklären, wie sie ihren Restriktionsrahmen so gestalten, dass Menschen sich entsprechend verhalten. Geschäftsprozessoptimierung, Steuerungs- und Controllingsysteme und Prüfungsleistungen gehören zum Standardrepertoire. Nur selten setzen sie dabei an einer echten Überzeugungsänderung der Menschen an. Großkonzerne haben damit einen Teil ihrer Eigenregie aus der Hand gegeben. Im Mittelstand und in familiengeführten Unternehmen hat dieses Modell kaum Einzug erhalten. Immerhin sind also 99,7% aller deutschen Unternehmen von einer Theorieüberfrachtung verschont geblieben. Gelebte Verantwortung in der Region ist hier das Erfolgsrezept.
Was wir benötigen, ist eine viel stärkere Verbindung von Theorie und Praxis kombiniert mit einer pragmatischen Herangehensweise. Das gilt im Übrigen auch für die Beratung und Prüfung. Wissenschaft wird über-, Praxis unterschätzt. Ideal sind Fallstudien, in den man gemeinsam mit den Unternehmen erarbeitet, an welchen Stellen bestimmte Theorien die Praxis bereichern können. Übrigens eine Vorstellung, die ebenfalls aus der Philosophie stammt. Aristoteles war der Überzeugung, dass Menschen nur tugendhaft werden, indem sie sich tugendhaft verhalten. Die bloße Theorie sei da ein schlechter Ratgeber.
Wie stehen die Finanzdienstleister derzeit in Sachen Ethik und Nachhaltigkeit dar?
Unserer Studie nach gar nicht so schlecht, zumindest in Sachen Sichtbarkeit. Nach dem Krisenjahr 2008 haben nahezu alle großen Finanzdienstleister in den Vertrauensaufbau investiert. Vor allem aber haben sie Compliancesysteme aufgebaut, Ethik-Kodizes entwickelt, Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht etc. Viele Verantwortliche sagen, die Krise sei das Beste, das dem Thema Nachhaltigkeit passieren konnte. Der Anstieg der „vertrauensbildenden Maßnahmen“ ist dramatisch angestiegen. Leider lösen solche Maßnahmen oftmals viele der hausgemachten Probleme nicht (zum Beispiel versteckte Kosten, Intransparenz, mangelnde Zahlungsbereitschaft, Verklausulierungen, falsche Incentivierungen). Wenn sich in der Köpfen nichts ändert, wird man immer wieder Wege finden, Restriktionen zu umgehen. Finanzdienstleister haben Geschäftsmodelle, die für eine nachhaltige Entwicklung sehr wichtig sind, vor allem als Kapitalanleger oder Lösungsanbieter. So adressieren sie viele unserer dringlichsten Probleme wie demographischer Wandel, Altersarmut und Gesundheitsvorsorge. Finanzdienstleister sollten sich ernsthafter ihrer traditionellen Rolle annehmen und ethisch und nachhaltig wirtschaften. Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind hier übrigens bestens positioniert. Den meisten fehlt nur ein bisschen Systematisierung, Messung und die strategische Integration ihrer Aktivitäten.
Der Titel der Veranstaltung lautet „Wie Sie durch Verständlichkeit in der Beratung verlorenes Kundenvertrauen wiedergewinnen und sich langfristig Wettbewerbsvorteile sichern.“ Welche Rolle spielt das Thema Verständlichkeit in der Finanzdienstleistungsindustrie und was hat das mit Ethik zu tun?
Verständlichkeit hat eine ganz entscheidende Wirkung. Das Internet hat gelernt, nicht nur das Vertrauen der Käufer auch im Finanzgeschäft zu gewinnen, sondern teilweise die personelle Beratung darin zu übertreffen, vor allem über Vergleicher, sogenannte Aggregatoren. Wenn wir das zuspitzen erleben wir gerade einen Wettbewerb um die Gewinnung des Käufervertrauens. Genauer geht es um das Vertrauen in Organisationen und deren Führungssysteme, in Berater und deren komplexe Produkte. Wir haben dazu selbst Studien durchgeführt und dabei festgestellt: Transparenz – die sich oftmals in Ehrlichkeit und Verständlichkeit äußert – ist dabei einer der wichtigsten Treiber.
Was kann der einzelne Berater tun bzw. welche Schlüsse kann dieser ziehen?
Wir haben ein Instrument entwickelt, mit dem die Berater sich erst mal selbsteinschätzen können; damit können Stärken und Schwächen identifiziert werden. Verständlichkeit in der Beratung, aber auch weitere vertrauensbildenden Faktoren können gelernt bzw. verbessert werden. Das kann man in konkreten Training zu fairer Beratung, fairen Produkten oder fairer Führung erlernen. Ethik und moralisches Verhalten sind lehr- und lernbar – ein Ergebnis aus der antiken Philosophie, das durch sozial- und moralpsychologische Forschungen untermauert wird. Letztlich gehört dazu immer eine einfache Sprache, sich auf das Wesentliche konzentrieren, die relevanten Aspekte transparent und verständlich erklären. Diese Dinge klingen so selbstverständlich, dass man sie nicht hoch priorisiert: Unternehmen investieren zu wenig Zeit und Geld in die Werte ihrer Mitarbeiter. In der konkreten Praxis werden diese Aspekte nicht hinreichend berücksichtigt. Über Jahre sind falsche Verhaltensmuster zur Routine geworden. Manchmal sind Berater selbst erstaunt und erkennen ihre eigenen Präferenzen nicht mehr wieder. Es ist an der Zeit, Veränderungsprozess einzuleiten, eigene Wertvorstellungen und die von Finanzdienstleistern zu reflektieren und ggf. zu ändern. Die Philosophie liefert hierzu eine erstaunliche Orientierung.
Hintergrund
Das sich Vermittler mit Aristoteles und Platon beschäftigen ist wohl eher selten. Doch auch diese Themen können für die Finanz- und Versicherungsbranche von Interesse sein – gerade in Krisenzeiten. Rund 30 Teilnehmer befassten sich am 12. November 2014 im Rahmen eines Workshops von CSRegio an der Universität Bayreuth mit dem Thema „Beratung in der Krise – Wie Sie durch Verständlichkeit in der Beratung verlorenes Kundenvertrauen wiedergewinnen und sich langfristig Wettbewerbsvorteile sichern“. Eröffnet wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Dr. Alexander Brink (Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Bayreuth). Weitere Referenten waren Bankverkaufstrainer Ralf Mayer, Dr. Markus Groß-Engelmann, Geschäftsführender Partner bei der concern GmbH und Thomas Stalla von der Raiffeisenbank Schwandorf-Nittenau. (kb)
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