Die Solvenzquote (SCR-Quote) gibt in einem modellhaften Extremszenario das Verhältnis der Eigenmittel eines Versicherers zu seinen Verpflichtungen gegenüber Versicherten wieder. Sie steht im Mittelpunkt der jährlichen Solvenzberichte, die die Versicherer gemäß Solvency-II-Regime veröffentlichen müssen. Auch für Versicherungsmakler ist sie eine wichtige Kennzahl geworden, wenn es bei der Produktempfehlung um die Bewertung des Versicherers geht.
Nun liegen die ersten Analysen zu den diesjährigen Berichten der Lebensversicherer vor. Demnach ist die Kapitalausstattung der Lebensversicherer in den vergangenen zwölf Monaten im Mittel gestiegen. Die durchschnittliche Solvenzquote liegt laut Ratingagentur Assekurata bei 491%. Das entspricht einem Anstieg von 40 Prozentpunkten zum Vorjahr. Nach aufsichtsrechtlichen Vorgaben sollte die Quote stets bei mindestens 100% liegen. In der Quote von 491% sind sowohl die aufsichtsrechtlich zulässigen Übergangsmaßnahmen als auch die Volatilitätsanpassungen eingerechnet. Diese Bilanzierungshilfen haben einen hohen Einfluss auf die Quotenhöhe und erschweren die Vergleichbarkeit. Versicherer, die die Übergangsmaßnahmen nicht anwenden, verweisen gerne auf diesen Umstand. Versicherer, die dies tun, verweisen wiederum darauf, dass diese Maßnahmen aufsichtsrechtlich absichtlich ermöglicht wurden. Vier von fünf Versicherern wenden Übergangsmaßnahmen an.
Gründe für die Steigerung
Neben dem etwas höheren Zinsniveau am Kapitalmarkt zum Bilanzstichtag 31.12.2018 sowie der eigenmittelschonenderen Produktpolitik der Lebensversicherer trug maßgeblich die ZZR-Methodenänderung zur Steigerung der Quoten bei, erklärt Assekurata die Entwicklung. „Dies erklärt auch, wieso viele Versicherer mit garantielastigem Altbestand in diesem Jahr einen deutlichen Anstieg der aufsichtlichen Quote verzeichnen konnten“, führt Assekurata-Bereichsleiter Lars Heermann aus. „Langfristig wird die marktweit zu beobachtende Neujustierung des Geschäftsmodells hin zu garantieärmeren Produkten die Werte weiter stabilisieren, wobei deutsche Lebensversicherer im internationalen Vergleich bereits heute hohe Solvenzquoten aufweisen.“
Auch der Policen-Aufkäufer Policen Direkt hat die Solvenzquoten analysiert und kommt zu einem ähnlichen Schluss. „Die Versicherer haben den erneuten Solvenztest bestanden. Die stabilen Zinsen von 2018 und sicher auch die Neuregelung der Zinszusatzreserven spiegeln sich in der Verbesserung der Quoten wider, genau wie das Neugeschäft, das sich mehr und mehr von klassischen Garantien verabschiedet“, erklärt Policen-Direkt-Chefaktuar Henning Kühl.
Die gravierendsten Veränderungen
Assekurata verweist aber auch auf die hohen Unterschiede bei den einzelnen Anbietern. Die SCR-Quoten reichen von rund 140% bis knapp über 1.000%. Den Spitzenwert erzielt in diesem Jahr die Swiss Life mit 1.071%, gefolgt vom letztjährigen Spitzenreiter Sparkassenversicherung Sachsen (1.034%) und der Mecklenburgischen (997%). 30 von 84 Lebensversicherern wiesen im Vorjahresvergleich niedrigere Quoten auf. Dabei verzeichnet die Nürnberger den höchsten Rückgang in Prozentpunkten, liegt aber mit 553% (Vorjahr: 761%) weiterhin über dem Branchenschnitt. Demgegenüber kann die Süddeutsche den branchenweit höchsten Anstieg von 469% auf 957% verzeichnen.
Situation nach Nettoquoten – ohne Bilanzierungshilfen
Ohne Zuhilfenahme der Übergangsmaßnahmen wären die Quoten deutlich schlechter ausgefallen. Laut Policen Direkt hätten ohne Bilanzierungshilfen zwölf Anbieter die Messlatte von 100% nicht übersprungen. Die sogenannte durchschnittliche Nettoquote hat das Unternehmen mit 273,67% errechnet. Anhand einer Korridoranalyse beschreibt Policen Direkt die Situation und Spielräume wie folgt:
- 20 Lebensversicherer stehen vor großen Herausforderungen (Nettoquote unter 150%): Bei der Wahl der Produkte für das Neugeschäft und bei der Höhe der Überschussbeteiligung sind sie eingeschränkt.
- 27 Unternehmen weitgehend gerüstet (Nettoquote 150 bis 300%): Diese Anbieter seien weitgehend finanzstark und gerüstet für Extremszenarien. Sie seien in der Lage, den eingegangenen Versprechen unverändert auch in Zukunft nachzukommen.
- 36 Unternehmen mit Spielraum für Garantien (Nettoquote über 300%): Diese Anbieter hätten eine komfortable Solvenzkapitalausstattung und könnten ihren Kunden höhere Leistungen anbieten, zum Beispiel in Form von Überschüssen oder Garantien im Neugeschäft
Berichte finden wenig Aufmerksamkeit
Bereits im Januar hat der GDV darauf hingewiesen, dass die Solvenzberichte die breite Öffentlichkeit nicht erreichen. Gelesen werden die mit hohem Aufwand erstellten Berichte kaum, so das Fazit des Versichererverbands (siehe Grafik). Um die Transparenzziele von Solvency II zu erreichen, sei deshalb eine grundlegende Überarbeitung dringend notwendig.
Auch die Analysten von Assekurata und Policen Direkt mahnen die mangelnde Vergleichbarkeit an. Diese wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sowohl eine Standardformel als auch BaFin-zertifizierte interne Modelle zur Erfüllung von Solvency-II-Vorschriften verwendet werden können. Bei der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA ist das Problem bereits angekommen und wird dort im Rahmen des Solvency-II-Reviews 2020 behandelt.
Weitere Informationen zu den Solvency-II-Publikationen der Versicherer finden sich auf der Website www.solvencydata.de, einer Gemeinschaftsplattform von ISS Software, V.E.R.S. Leipzig und Assekurata. Unter www.solvenzquoten.de hat Policen Direkt Details zu den Solvenzquoten zusammengetragen. (bh)
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