Die Neuwertentschädigung birgt das Risiko einer wirtschaftlichen Besserstellung des Versicherungsnehmers. Schließlich wird nicht nur der Zeitwert erstattet, bei dem Alter und Abnutzung berücksichtigt werden. In der Wohngebäudeversicherung spielt sie heutzutage gar eine besondere Rolle. Ob sie auch gegen den Grundsatz des Bereicherungsverbots des Versicherungsnehmers verstößt, darüber wurde schon des Öfteren gestritten. Um eine ungerechtfertigte Bereicherung zu vermeiden, wenden Versicherer verschiedene Maßnahmen an, etwa den Abzug „neu für alt“.
Sachversicherer prüfen häufiger nach Vorschäden
Die Kanzlei Michaelis weist in einem aktuellen Beitrag zudem auf weitere Tücken der Neuwertentschädigung hin: etwa die Kürzung wegen Unterversicherung gem. § 75 VVG oder einfache und strenge Wiederherstellungsklauseln gem. § 93 VVG. Rechtsanwalt Vincent Jacobsen stellt aber noch eine weitere Entwicklung fest: Sachversicherer würden sich verstärkt auf das Vorliegen von Vorschäden berufen.
Vorschadeneinwand vs. Instandhaltungsobliegenheit
Es sei zunächst wichtig, zwischen dem Vorschadeneinwand bei der Entschädigungsberechnung und der Verletzung der Instandhaltungsobliegenheit zu unterscheiden. Beide hätten unterschiedliche rechtliche Folgen, so Jacobsen.
Die Instandhaltungsobliegenheit verpflichtet den Versicherungsnehmer, sein Gebäude instand zu halten und alters- oder verschleißbedingte Schäden zu beheben. Werden Mängel trotz Erkennbarkeit und gegebenenfalls einer Aufforderung des Versicherers nicht beseitigt, kann dies zu einer Kürzung oder Verweigerung der Entschädigung führen.
Der Vorschadeneinwand ist dagegen unabhängig vom Verhalten des Versicherungsnehmers. Bei einem Totalschaden werden Vorschäden nicht berücksichtigt, da die Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung einer neuwertigen Sache versichert ist. „Im Totalschadenfall sind bestehende Vorschäden insoweit unbeachtlich, denn es werden die Wiederherstellungskosten für eine schadlose Sache oder die Wiederbeschaffungskosten für eine Sache in neuwertigem Zustand ersetzt. Man kann also konstatieren, dass die Neuwertversicherung im Totalschadenfall zur vollen Entfaltung gelangt“, so Jacobsen.
Bei Teilschäden werden jedoch nur die durch das versicherte Ereignis entstandenen Kosten ersetzt, nicht aber Reparaturen für bereits bestehende Vorschäden. In solchen Fällen muss der Versicherungsnehmer nachweisen, dass sich die Vorschäden nicht auf den Schadensumfang ausgewirkt haben. Sind Vorschäden und der aktuelle Schaden nicht eindeutig trennbar, kann eine volle Entschädigung erfolgen, wobei Wertverbesserungen zugunsten des Versicherungsnehmers wirken.
Versicherungsmakler sollten zur Instandhaltung ermuntern
„Es liegt auf der Hand, dass die Grenzziehung im Einzelfall sehr komplex sein kann. Schon die Differenzierung zwischen Obliegenheitsverletzung und Vorschadeneinwand bei der Entschädigungsberechnung ist nicht ganz trennscharf,“ schreibt Jacobsen in seinem Beitrag. Deshalb biete es sich für den Versicherungsmakler an, den Versicherungsnehmer ganzheitlich zur stetigen Pflege der versicherten Sachen anzuhalten und Instandhaltungen zu dokumentieren. Könne die Instandhaltung nachgewiesen werden, erübrige sich in den allermeisten Fällen auch der Vorschadenseinwand. Jacobsen: „Denn dieser greift regelmäßig dann ein, wenn bestehende Mängel vom Versicherungsnehmer nur leicht fahrlässig verursacht bzw. aufrechterhalten werden und eine Obliegenheitsverletzung sanktionslos bleibt.“
Wer mehr zu den für die Beratung und Schadenregulierung wichtigen Unterschiede erfahren will, kann den Beitrag der Kanzlei Michaelis auf deren Website nachlesen. (bh)
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